Gefühlswelt als terra incognita?

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Oft scheinen Freundschaften zwischen Männern anders zu funktionieren als jene von Frauen. Stimmt das? Geschlechterforscher Martin Fischer über virile Formen der Nähe.

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Oft scheinen Freundschaften zwischen Männern anders zu funktionieren als jene von Frauen. Stimmt das? Geschlechterforscher Martin Fischer über virile Formen der Nähe.

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Die eigenen Gefühle auszudrücken, gehört zum Wesen von Freundschaft. Doch vielen Männern fällt das nicht leicht, erklärt der evangelische Theologe und Geschlechterforscher Martin Fischer im FURCHE-Gespräch.

DIE FURCHE: Die Erfahrung sagt, dass Männerfreundschaften meist anders strukturiert sind als jene von Frauen. Zugespitzt gehen Männer auf ein Bier und reden über Fußball, während Frauen bei einem Kaffee ihr Innerstes ausschütten. Wieviel Wahrheit steckt in diesem Klischee?

Martin Fischer: Es gab tatsächlich Untersuchungen, wo als entscheidendes Differenzkriterium festgestellt wurde, dass Frauen eher face-to-face-und Männer eher side-by-side-Freundschaften pflegen. Beim ersten Modell sitzt man einander bildlich gesprochen gegenüber und tauscht sich konkret und persönlich aus, beim zweiten steht man nebeneinander und tut gemeinsam Dinge. Aber die Variabilität ist natürlich viel größer.

DIE FURCHE: Welche Varianten gibt es aus Ihrer Sicht?

Fischer: Es gibt etwa jene traditionelle Variante, die man meist im Kopf hat, wenn man in der Öffentlichkeit von "Männerfreundschaft" spricht -und die unter Politikern gern gepflegt wird. Die Freundschaft zwischen dem soeben verstorbenen Helmut Kohl mit Fran¸cois Mitterand wurde hier immer als Beispiel herangezogen. Diese Freundschaft kann von wechselseitigem politischem Fortkommen geprägt sein, aber auch von tiefem Vertrauen, das sich entwickelt hat -etwa wenn man gemeinsam unterwegs ist in der Natur. Das Wandern eignet sich ja sehr gut, einander persönlich begegnen zu können, ohne viel reden zu müssen. Es gibt auch jene Variante, die aus reinem Eigeninteresse verfolgt wird und bei der man Leute instrumentalisiert -wobei hier das Wort "Freundschaft" unter Anführungszeichen stehen muss. Aber oft begegnen Männer einander tatsächlich auf einer emotionalen Ebene und erzählen, was sie bedrückt: sei es in der Beziehung, beruflich oder familiär. Und natürlich gibt es auch noch jene Variante, wo Männer einfach im homosozialen Raum -also ohne Frauen - zusammenkommen und sich gehen lassen, weil sie sich nicht gegenüber Frauen beweisen müssen. DIE FURCHE: Wobei die Art der Männerfreundschaft Ihnen zufolge vor allem vom Milieu abhängig ist

Fischer: Die Literatur hat tatsächlich gezeigt, dass sich Freundschaften nicht entlang von Oberoder Unterschicht oder von Bildungsniveaus differenzieren, sondern stärker über bestimmte Milieus. Bei Angehörigen des "Unterhaltungsmilieus" steht tendenziell das gemeinsame Tun im Vordergrund, während jene des "Selbstverwirklichungsmilieus" eher daran interessiert sind, einander auch wirklich im Gespräch zu begegnen. Wobei es gerade im Selbstverwirklichungsmilieu auch auffallende narzisstische Funktionen von Freundschaft gibt, wenn es etwa um Selbstinszenierung geht.

DIE FURCHE: Apropos "homosozialer Raum": Gibt es Unterschiede darin, wie homo-oder heterosexuelle Männer Freundschaften pflegen?

Fischer: Ein Unterschied liegt darin, dass sich schwule Männer tendenziell auf Grund ihres Nichtentsprechens einer heteronormativen Sexualität notgedrungen mit dem eigenen Männlichkeitsbild auseinandersetzen müssen - und dadurch leichter lernen, ihre Innenperspektive wahrzunehmen und sie nicht als terra incognita zu betrachten. Und inwieweit man lernt, mit dem eigenen Gefühlsleben in Kontakt zu treten, ist eine entscheidende Komponente für Freundschaft. Aber festzuhalten ist, dass diese Unterschiede nicht prinzipieller Art sind, dass es also nicht so ist, dass nur schwulen Männern ihr eigenes Gefühlsleben zugänglich wäre und es ihnen leichter fiele, sich mit anderen in einem vertrauensvollen Gespräch auszutauschen, sondern dass diese Verhaltensweisen erlernt und gepflegt werden. Und Männern wird eben noch immer häufig gesagt: Zeig keine Schwäche, hol dir keine Hilfe, du checkst das -selbst.

DIE FURCHE: Aber warum wäre es überhaupt wichtig, dass sich Männer verstärkt anderen öffnen?

Fischer: Weil dies Teil der emotionalen Selbstversorgung ist und sie ansonsten von anderen abhängig bleiben. Simone de Beauvoir hat in "Das andere Geschlecht" wundebar die Konstellation der balancierten Paarbeziehung beschrieben. Dazu gehört auch, dass man selbständig leben kann, wobei sich Beauvoir in erster Linie auf die finanzielle Selbständigkeit bezogen hat. In der traditionellen Paarbeziehung hat das lange Zeit so funktioniert, wie es Paul Michael Zulehner beschrieben hat: Der Mann sorgt für das Einkommen (der Familie), die Frau für das Auskommen, also für die emotionale Versorgung. Doch Frauen sind ökonomisch zunehmend autonomer geworden, die Männer aber hinken bei der emotionalen Selbstversorgung hinterher.

DIE FURCHE: Kann man schon Buben diese emotionale Selbstversorgung beibringen?

Fischer: Ja, indem man sie dazu ermutigt oder zumindest nicht daran hindert, über ihre Gefühle zu sprechen und den anderen wahrzunehmen. Wenn Mädchen Puppen spielen, tun sie ja stundenlang nichts anderes, als sich permanent auf ein Gegenüber einzustellen und sich zu fragen: Wie geht es dir? Was brauchst du? Das ist hier natürlich eine Projektion, aber immer geht es auch um eine Schulung der Aufmerksamkeit. Die könnte man aber ebenso anhand von Playmobilfiguren schulen oder bei ähnlichen Spielen, wo es nicht nur darum geht, ob mein Auto größer oder stärker ist. Oft müssen Eltern das gar nicht forcieren, sondern es reicht schon, solche Spiele zuzulassen. Wenn aber heute von Eltern noch immer Sätze fallen wie "Sei kein Luschi!" oder "man up!", wie wir aus aktuellen Studien oder Reportagen wissen, dann ist das der Öffnung gegenüber dem anderen nicht gerade förderlich.

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