Gegen Arroganz & Egoismus

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Auszug aus dem neuen Buch von Andreas Khol "Durchbruch zur Bürgergesellschaft".

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Auszug aus dem neuen Buch von Andreas Khol "Durchbruch zur Bürgergesellschaft".

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Die Debatte. Christliche Soziallehre und Bürgergesellschaft Die Bürgergesellschaft ist geprägt von selbständigen Menschen, die eigenverantwortlich, freiwillig und solidarisch handeln. Sie ist geprägt von einer neuen Arbeitsteilung zwischen Staat und Bürger. Die Bürgergesellschaft nutzt die ungenutzten Solidaritätsvorräte, sie stärkt die bereits bestehenden Solidaritätsgruppen. Die Bürgergesellschaft tritt neben den oft kalten staatlichen Wohlfahrtsapparat und macht die mitmenschliche Initiative sichtbar, die Wärme ausstrahlt, Geborgenheit und Beheimatung gibt: Füreinander und nicht Gegeneinander; Helfen, wo der Staat nicht helfen kann, wo der Staat nicht helfen will, wo der Staat nicht helfen darf. Nicht helfen kann, weil ihm die Mittel fehlen; nicht helfen will, weil es den Politikern und ihren Bürokraten ideologisch oder machtpolitisch nicht in den Kram paßt; nicht helfen darf, weil der die Grenze zum Privaten, zur Wertentscheidung, die jedem Bürger höchstpersönlich zusteht, überträte.

Bürgergesellschaft bedeutet konkret: Private, spontane Initiativen oder freie Vereinigungen übernehmen freiwillig und ehrenamtlich Aufgaben zur Verwirklichung des Gemeinwohls und zur Sinnstiftung. Sie organisieren sich entweder locker in Aktionsgruppen, Bürgerinitiativen, Nachbarschafts- oder Diskussionsrunden, ohne rechtlichen Rahmen, oder sie verrechtlichen sich auf Grundlage des Vereinsrechts, finanzieren sich durch Mitgliedsbeiträge, Spendenzuschüsse, wählen ihre eigenen Funktionäre, organisieren ihre Tätigkeit frei und gemeinnützig und sind im wesentlichen unbezahlt, also ehrenamtlich und vor allem freiwillig tätig.

Örtliche Verwurzelung Selbstorganisation, Freiwilligkeit, Ehrenamtlichkeit, Engagement, örtliche Verwurzelung, erprobte Sachkunde, Dialogbereitschaft, demokratische Willensbildung, Bürgersinn: all dies sind Merkmale der Träger der Bürgergesellschaft. In ihr haben jene ein Aufgabengebiet, die sich aus religiösen, weltanschaulichen oder anderen moralischen Gründen zum Dienst am Nächsten und für das Gemeinwohl begeistern lassen. Aber auch die Leistungsbereiten, die "säkularisierten" Menschen, die ganz einfach eine sinnvolle Freizeitgestaltung, eine freudebringende, lustvolle Tätigkeit mit Gleichgesinnten suchen die emanzipiert und selbstbestimmt öffentliche Angelegenheiten mitgestalten wollen, und zwar ohne den Staat: auch sie sind gemeint und unverzichtbar.

* In zahlreichen Gruppen sind mehrere Millionen Menschen heute schon in Österreich tätig. Sie bilden die unsichtbare Struktur unserer Gesellschaft, sie sind die Bürgergesellschaft. Von arroganten Intellektuellen als "Vereinsmeier" abqualifiziert, leisten sie Unersetzliches und gestalten ein Gesellschaftsbild, das jenem angeblich modernen Gesellschaftsbild diametral entgegengesetzt ist, das uns aus den Zeitgeistmagazinen entgegenströmt: die Liegestuhlgesellschaft.

Die Liegestuhlgesellschaft ist das Zerrbild einer Gesellschaft, die ins 21. Jahrhundert zu torkeln droht - eine Gesellschaft, geprägt von Demokratie-, Sinn-, Wert- und Solidaritätsverlust, geprägt von einem staatlichen Alleinverantwortungsanspruch für den einzelnen, dem eine ebensolche Anspruchsgesinnung der Menschen entspricht: "Rabenvater Staat" ist für mein Kind verantwortlich - so jüngst eine Demonstration von Alleinerzieherinnen vor dem Bundeskanzleramt - , nicht ich selbst! Der Staat ist Träger einer umfassenden Staatsfürsorge geworden: Damit verbunden sind Egoismus und schleichende Entmündigung; Abbau der Eigenfürsorge und der Eigenverantwortung, Abbau von Solidarität. An die Stelle der Nächstenliebe, an die Stelle der Solidarität tritt der Staat als anonymes Fernwärmesystem. Und damit entsteht die Liegestuhlgesellschaft: Die einen liegen im Liegestuhl und schauen zu - der Liegestuhl wird vom Staat bereitgestellt - , wohl befürsorgt, aber geprägt vom sinnlosen Leben - die anderen stöhnen unter der Arbeit, der Bürokratie und der Steuerlast. Der Bürger wird damit zunehmend zum Kunden im Selbstbedienungsladen Staat. Ein Selbstbedienungsladen, in dem man sich selbst verwirklicht und gerade nur das tut, was Spaß macht. In der Gemeinschaft Verantwortung für sich selbst und den Mitmenschen zu übernehmen, das ist unmodern, so sagen die Vertreter des Zeitgeistes in der veröffentlichten Meinung.

Wir glauben, daß in den Institutionen der Bürgergesellschaft Junge und Alte Lebenssinn erfahren können, daß in den Institutionen der Bürgergesellschaft die Grundwerte der Solidarität, der Toleranz, der Leistung und andere heute oft als Sekundärtugenden verunglimpfte Grundwerte vermittelt werden, und wir glauben schließlich, daß in einer solchen Bürgergesellschaft die Demokratie neue Stärke erhält.

* Der Gedanke der Bürgergesellschaft fußt zwar auf guten, bewährten Grundsätzen, die sich über das Jahrhundert entwickelt haben: Selbstorganisation durch Subsidiarität, Partnerschaft und der Solidarität; Freiheit durch Emanzipation vom Staat, Verantwortung für sich und die Mitmenschen. Dennoch, die Bürgergesellschaft ist etwas Neues und formt sich in jedem Land anders - als Antwort auf die Zustände im Land, als Antwort auf Mißstände, Unzulänglichkeiten, auf Solidaritäts-, Freiheits- und Demokratieverluste.

POLITISCHES BUCH Bürgergesellschaft - der Weg aus der Krise?

ÖVP-Klubobmann Andreas Khol hat den nächsten Versuch unternommen, Österreich den Weg in Richtung Bürgergesellschaft zu weisen. Schon im März des vergangenen Jahres wollte er sein Buch "Mein politisches Credo. Aufbruch zur Bürgersolidarität" als dritten Weg zwischen Turbokapitalismus und Wohlfahrtsstaat und als christlich-soziale Antwort auf Entsolidarisierung und auf die zunehmenden Schwierigkeiten des menschlichen Zusammenlebens im Zuge des Neo-Liberalismus verstanden wissen. Die Bürger sollen die Lösung ihrer unterschiedlichen Probleme durch mehr Eigenverantwortung und weniger Staat selbst in die Hand nehmen. Staatliche Daseinsvorsorge soll in gesellschaftliches Verantwortungsbewußtsein übergehen.

Träger dieser neuen Gesellschaft sollen bereits bestehende Solidargruppen wie die rund 100.000 Vereine, die Genossenschaften, religiöse Einrichtungen, soziale Initiativen und ähnliches sein.

Autor und Buch wurden von Parteifreunden und manchen Kommentatoren arg zerzaust und verhöhnt ("Spießbürgesellschaft" u. ä.).

Aus der Kritik und der Auseinandersetzung mit seiner Vision heraus hat Kohl sein zweites Buch zum Thema geschrieben: "Durchbruch zur Bürgergesellschaft" (Molden Verlag, 254 Seiten, öS 298.- (E 21,66), heißt es, in dem er versucht, seine Vorstellungen zu konkretisieren.

Aufschlußreich sind dabei die empirischen Befunde, die der Autor ins Treffen führt: Es gibt, so zeigt eine Untersuchung des Fessel-Institutes, eine größere Bereitschaft der Österreicherinnen und Österreicher zur freiwilligen Solidarität, zu Nachbarschaftshilfe und Gemeinwohlarbeit als allgemein angenommen wird. Ebenso interessant sind die ausländischen Beispiele, mit denen Khol seine Vision zu belegen versucht.

Ein großer Teil des Buches ist dem Bericht "Heimat Bürgergesellschaft" und dem von der ÖVP im April beschlossenen Manifest gewidmet. Die Linzer Soziologie-Professorin und Furche-Kolumnistin Irene Dyk hat diesen Bericht kritisch analysiert (Seite 3). E.T.

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