"... gegen das Auctoritätsprinzip gerichtet"

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Ende des 19. Jahrhunderts leitete ein Kardinal Schönborn Österreichs Bischofskonferenz. Am 25. Juni jährt sich der Todestag von Franz de Paula Schönborn, Ururgroßonkel des jetzigen Wiener Erzbischofs, zum 100. Mal.

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Ende des 19. Jahrhunderts leitete ein Kardinal Schönborn Österreichs Bischofskonferenz. Am 25. Juni jährt sich der Todestag von Franz de Paula Schönborn, Ururgroßonkel des jetzigen Wiener Erzbischofs, zum 100. Mal.

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Als Ende März 1885 der angesehene Prager Metropolit, Kardinal Friedrich von Schwarzenberg, nach einer rekordverdächtigen Amtszeit von beinahe 50 Bischofsjahren (seit 1836 Fürsterzbischof von Salzburg und ab 1850 von Prag) stirbt, sind sich die bestimmenden Kräfte in der Frage der Nachbesetzung des fürsterzbischöflichen Thrones, Kaiser und Papst, bald einig: Kein anderer als der 41jährige Franz de Paula Schönborn, Bischof von Budweis (Ceske Budejovice), soll neuer Primas von Böhmen werden. Er ist nicht nur der Wunschkandidat aller böhmischen Bischöfe, sondern auch Kardinal Schwarzenbergs selbst, der noch am Sterbebett für Schönborn als Nachfolger votiert.

Der beinahe zwei Meter große Franz de Paula Schönborn ist eine imposante Erscheinung. Rasch legt er die Stufen der kirchlichen Hierarchie zurück. Am 24. Jänner 1844 in Prag geboren entstammt er der österreichischen Linie des Adelsgeschlechtes Schönborn-Buchheim-Wolfsthal. Mit der Wahl des rechtswissenschaftlichen Studiums an der Karl-Ferdinands-Universität in Prag denkt Franz de Paula zunächst an die diplomatische Laufbahn. Aus patriotischer Begeisterung unterbricht er 1866 das Studium und nimmt an den Schlachten bei Nachod (Nachod) und in Königgrätz (Hradec Kralove) teil.

Steile Kirchenkarriere Nach Abschluß des Jusstudiums gibt er seinem Leben plötzlich eine andere Richtung. Als Jesuitenschüler studiert er in Rom und Innsbruck Theologie, was er mit der Promotion an der Gregoriana krönt. Von seinem Förderer Kardinal Schwarzenberg empfängt Schönborn 1873 die Priesterweihe.

Nach Kaplansjahren in Plan (Plana) holt Schwarzenberg seinen Schützling nach Prag, kreiert ihn zum Vizerektor, drei Jahre später zum Rektor des Priesterseminars. Um eine gute wissenschaftliche Ausbildung des Klerus bemüht, trägt Schönborn wesentlich zur Wiedereröffnung des Seminars "Collegium Bohemicum" in Rom 1884 bei.

Bald scheint er als Bischofskandidat auf den Vorschlagslisten auf. Kaiser Franz Joseph ernennt den noch nicht 40jährigen im August 1883 zum Bischof von Budweis. Zwei Jahre später, am Mariä-Himmelfahrts-Tag, nimmt der Wiener Nuntius Seraphino Vanutelli die feierliche Inthronisation Schönborns im Prager Veitsdom vor, der nun die Erzdiözese Prag, mit über sechs Millionen Katholiken die größte Kirchenprovinz Cisleithaniens, leitet.

Das Haus Schönborn bürgt für Qualität im geistlichen Stand: Bis zum damaligen Zeitpunkt sind nicht weniger als 19 Erzbischöfe (darunter ein Kardinal), Bischöfe, Priester und Ordensfrauen daraus hervorgangen.

Die Bischofsjahre des Prager Oberhirten sind von nationalen Spannungen überschattet. Im jungen, sehr frommen und energischen Schönborn, dem böhmischen Adeligen deutscher Abstammung, sieht die Regierung die einzige geeignete Persönlichkeit, diesen schwierigen Posten auszufüllen. Doch kommt die Ernennung Schönborns, von der man sich nationalpolitisch eine konsolidierende Wirkung erhofft, um ein Jahrzehnt zu spät. Inzwischen hat die jungtschechische Partei, deren begeisterten Jan Hus-Kult Schönborn auch in einen Hirtenbrief vehement ablehnt, die politische Führung im Land übernommen.

Sensibel für würdige Gottesdienstfeiern, führt Fürsterzbischof Schönborn den gregorianischen Choral ein. Als Kunstfreund pflegt er nicht nur Freundschaften mit bekannten Künstlern, sondern fertigt selber Stöße von Karikaturen an, vor allem über jene Geistlichen, mit denen er viel zu tun hat. Jährlich hält sich Schönborn mehrere Wochen als begeisterter Anhänger des "Kaltwasser-Apostels" Sebastian Kneipp in Bad Wörishofen auf. Nur in seltenen Fällen begibt er sich außerhalb seiner Diözese, so nach Rom oder zu den Bischofskonferenzen nach Wien.

Mit dem hohen Prager Kirchenamt traditionellerweise verbunden ist die Kardinalswürde, die Schönborn von Papst Leo XIII. am 24. Mai 1889 erhält. Noch im November gleichen Jahres übernimmt Schönborn den Vorsitz in der Österreichischen Bischofskonferenz, die zum damaligen Zeitpunkt insgesamt 36 Mitglieder aus der cisleithanischen Reichshälfte umfaßt. Schönborn präsidiert die mindestens einmal jährlich stattfindenden Konferenzen des bischöflichen Komitees, das mit dem heutigen Ständigen Rat der Bischofskonferenz vergleichbar ist, und die Vollversammlungen des Gesamtepiskopats. Letztere tagen unter Schönborns Führung in bedeutend kürzeren zeitlichen Abständen.

Sehr aktuelle Themen Themen, die die Bischöfe um die Jahrhundertwende beraten, klingen erstaunlich aktuell: Entsakralisierung und Entchristlichung der Gesellschaft, die gefährdete Sonntagsruhe, Fragen der Pfarrorganisation, die Aus- und Übertrittsbewegungen, die Entfremdung zwischen Kirche und Arbeiterschaft machen dem Episkopat Sorge, aber auch die "kirchenfeindliche" Presse und die Sicherung von Religionsunterrichtsstunden. Schönborn konstatiert "eine von unten nach oben, namentlich auch im jüngeren Clerus bemerkbare Bewegung, welche gegen das Auctoritätsprinzip gerichtet ist". Die Erörterung pastoraler Gegenmaßnahmen nimmt breiten Raum ein und überlagert andere Problemfelder. Gegen die im Egerland sich rasant ausbreitende "Los-von-Rom"-Bewegung läßt Schönborn seinen Beichtvater, den berühmten Kanzelredner und Jesuitenpater Viktor Kolb, predigen.

Während die Bischöfe für viele Zeitfragen sehr wohl einen Blick haben, bleibt eine Aktion spektakulär: Im Frühjahr 1895 versucht Österreichs Episkopat in Rom eine päpstliche Verurteilung der christlichsozialen Bewegung zu erreichen, der sich bereits zahlreiche Kapläne angeschlossen haben. Unter der Führung Kardinal Schönborns, der als Aristokrat den Bestrebungen der demokratisch orientierten, neuen politischen Strömung nichts abgewinnen kann, zeigt eine bischöflich beauftragte Delegation das Verhalten der Christlichsozialen beim Papst an. Diese werden als antisemitisch (!), aufrührerisch, friedensstörend und die bischöfliche Autorität untergrabend beschrieben. Aber die "Kaplansbewegung" erlangt keine päpstliche Verurteilung, sondern den päpstlichen Segen: Leo XIII. ist tief beeindruckt vom sozialreformerischen Programm der Christlichsozialen, das auf den Ideen seiner Enzyklika "Rerum novarum" aufbaut. Den österreichischen Episkopat hingegen tadelt der Papst sogar noch, weil er sich zu wenig der sozialen Frage angenommen habe und im geplanten Hirtenbrief mit keinem einzigen Wort die päpstliche Sozialenzyklika erwähnt. Einziger Trost in der römischen Mission Schönborns: Seit diesem Zeitpunkt stellen die Christlichsozialen ihre Attacken gegen die kirchliche Hierarchie in Österreich ein.

Die Bischöfe bringen unter Schönborns Leitung 1897 die längst fällige Katechismusreform zum Abschluß. Doch die ultramontan-konservativ gefärbte Neufassung des Katechismus von 1777 befriedigt keineswegs, da sie den Erfordernissen derZeit und den Errungenschaften der modernen Pädagogik wenig entsprechen.

Auf päpstlichen Wunsch beginnt unter Schönborns Vorsitz im Jahr 1898 die Ausarbeitung der ersten Geschäftsordnung für die Österreichische Bischofskonferenz, deren einstimmige Approbation durch die bischöfliche Vollversammlung im Jahr 1901 er nicht mehr erleben kann. Inmitten seiner alljährlichen Firmungs- und Visitationsreise erliegt Schönborn in Falkenau (Sokolov) völlig unerwartet am 25. Juni 1899 einer akuten Lungenentzündung. Schönborn ruht an der Seite seines väterlichen Freundes Kardinal Schwarzenberg in der erzbischöflichen Gruft der St. Anna-Kapelle des Prager Veitsdomes.

Die Autorin ist Assistentin für Kirchengeschichte an der Universität Graz.

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