Gegen das Schweigen

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In der Wendeliteratur wird die Erinnerung an die DDR wachgehalten.Die Autoren nennen klar beim Namen, was heute keiner mehr hören will.

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In der Wendeliteratur wird die Erinnerung an die DDR wachgehalten.Die Autoren nennen klar beim Namen, was heute keiner mehr hören will.

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Während sich Ost- und Westdeutsche die Kosten der Wiedervereinigung vorrechnen, provozieren ostdeutsche Literaten eine andere Art der Auseinandersetzung mit der DDR. So bekennt etwa Stasimann Klaus Uhltzscht in einem Interview, kurz nach dem Fall der Mauer: "Die Geschichte der Wende ist die Geschichte meines Schwanzes" Der Mann mit dem unaussprechlichen Namen stolpert als Karikatur des DDR-Bürgers durch Thomas Brussigs Roman "Helden wie wir", wild entschlossen zur Demontage sämtlicher Wende-Mythen.

Klaus Uhltzscht hat einen Stasifunktionär als Vater und eine Hygieneinspektorin als Mutter, die bis zum seinem Schließmuskel alles kontrollieren. Seelisch, geistig und körperlich impotent, aber gut dressiert, wird Uhltzscht perfekter Stasimann. Das Ende der DDR beginnt für ihn mit einer Verletzung an seinem besten Stück, das sich infolge einer Operation stark vergrößert. Klaus Uhltzscht erschreckt damit als Exhibitionist die Grenzsoldaten, die prompt ihre Amtspflicht vergessen. Klaus' Mitbürger stürmen in die Freiheit. Die Wende ist perfekt. Und ihr Held ist einer wie wir - einer wie Klaus Uhltzscht: neurotisch, spießig, größenwahnsinnig.

"Ich habe aus Wut über die Verdrängung der DDR zu schreiben angefangen", bekennt Autor Brussig, "Mein Roman sollte ein Appell sein zur Auseinandersetzung mit der Feigheit, Dummheit und Verblendung, die in der DDR war. Darüber sprechen ist eine Sache, die Scham hervorruft. Da hab ich mir gedacht: Ich schreibe was über den massenhaften Mitläufer schlechthin. So mit dem Hintergedanken, daß die Leute denken: Wenn der über seine Schuld sprechen kann, kann ich das auch."

Nach der Wende hat es so ausgesehen, als seien Romane wie "Helden wie wir" gar nicht notwendig. Deutsche Vergangenheitsbewältigung war in Mode: Informelle Mitarbeiter gestanden im Fernsehen, warum sie bei der Stasi waren; Psychologen organisierten deutsch-deutsche Zwiegespräche; Anti-Verdrängungs-Päpstinnen wie Margarete Mitscherlich warnten davor, ein zweites Mal in diesem Jahrhundert deutsche Schuld untern Teppich zu kehren. Und heute?

Auf der Suche nach der zentralen Untersuchungshaftanstalt des Staatssicherheitsdienstes der DDR im Ostberliner Stadtteil Hohenschönhausen muß man hartnäckig sein: der Busfahrer, der versprochen hat, an der richtigen Haltestelle Bescheid zu geben, transportiert den ungebetenen Fahrgast mit grimmigem Blick am Gebäude vorbei. Passanten auf der Straße brummeln etwas von "anderen Sorgen" oder kennen kein Stasigefängnis - obwohl die Haftanstalt mit ihren weithin sichtbaren Wachtürmen und dem Stacheldraht um die Ecke liegt und heute eine offizielle Gedenkstätte ist. Die Verdrängung der DDR und ihrer Altlasten funktioniert perfekt - und wer wollte es ihren ehemaligen Bürgern angesichts Arbeitslosigkeit und wachsender Armut auch verdenken.

Dennoch: Wer bei einer Führung in Hohenschönhausen miterlebt, wie der nette ältere Herr in der Gruppe die Fassung verliert, weil er die Zelle wiedererkennt, in der er monatelang gesessen hat - der begreift etwas vom Zorn Thomas Brussigs über das große Schweigen, das sich heute über die ehemalige DDR gesenkt hat. Viele Schriftstellerkollegen aus dem Osten schreiben seit der Wende mit ihm gegen dieses Schweigen an: Monika Marons Heldin in "Stille Zeile sechs" (1991) rechnet mit einem Funktionärs-Übervater ab; Wolfgang Hilbigs Hauptfigur sucht nach seinem im System verlorengegangenen "Ich" (1993); Erich Loest zeichnet in "Nikolaikirche" (1995) die letzten Jahre der DDR nach; Jürgen Fuchs wühlt sich in "Magdalena" (1998) durch seine eigene Stasi-Akte.

Wenige Werke dieser sogenannten Wendeliteratur wagen - wie "Helden wie wir" - eine Persiflage, karikieren so unverfroren derb alle DDR-Klischees. In den meisten Abrechnungen überwiegen Bitterkeit und Zorn über verlorene Lebensjahre. Von "Ostalgie" ist nichts zu spüren. So unterschiedlich die genannten Autoren sind - eines fällt auf: Erinnerung an die DDR gerät allen zur Abrechnung mit einem System der Gewalt.

Neuanfang unmöglich Dieses System ruhte auf Eckpfeilern, die in allen Werken der Wendeliteratur eine Rolle spielen: auf der Macht despotischer Überväter; auf der Erziehung, die nur ein Ziel kennt: Kinder zu funktionierenden Rädchen im System zu machen; auf dem allmächtigen Kontrollsystem Staatssicherheit, das eine künstliche Wirklichkeit von überall lauernden Staatsfeinden produziert; und auf der Sprache, in der das Individuum verlorengeht, weil es sich in den Formeln und Phrasen der Staatssicherheit verfängt.

Solche Strukturen prägen sich in Herzen und Köpfen ein. Sie machen einen Neuanfang unmöglich. Eine "Wende" im eigentlichen Sinne hat laut den meisten Werken der Wendeliteratur nie stattgefunden. Im Gegenteil: Das Rad der Zeit dreht sich weiter. Die Opfer der DDR sind vielleicht in einer neuen Diktatur die Täter. "Dann gäbe es immer nur Schuld und niemals ein Entkommen aus einer Ordnung, mit dem Körper nicht und in der Sprache nicht", läßt Kurt Drawert in "Spiegelland. Ein deutscher Monolog" (1992) seinen Erzähler sagen. Drawert hält die Erinnerung an die DDR wach - auch wenn das schmerzt. Diese Literatur kennt kein "so schlimm war es ja auch nicht". Sie nennt klar beim Namen, was heute keiner mehr hören will.

So wie Erich Loest, sächsischer Schriftsteller und siebeneinhalb Jahre Häftling im Zuchthaus Bautzen: "Wer in der DDR, dieser Diktatur, gelebt hat, war durch Anpassung schuldig - es sei denn, er habe im Zuchthaus gesessen. Der Grad der Schuld steigerte sich mit den Privilegien, mit der Höhe der Position. Es gibt nichts Gutes im Falschen und keine Unschuld im Leben in der Diktatur!"

Die Autorin hat eine Dissertation zum Thema: Schuldfrage DDR in der Wendeliteratur verfaßt, die demnächst im Matthias-Grünewald-Verlag erscheint.

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