Gegen den totalen Markt

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Der Mensch und seine Verantwortung für die Mitwelt ist das Hauptthema des kritisch-katholischen Querdenkers Carl Amery. Im Furche-Gespräch gibt der achtzigjährige Schriftsteller und Mitbegründer der Grünen in Deutschland Auskunft über seine Motivationen und Hoffnungen.

Die Furche: Warum hat Ihr erstes Buch, "Die Kapitulation". 1963 ein Erdbeben im deutschen Katholizismus ausgelöst, was waren Ihre zentralen Kritikpunkte?

Carl Amery: Die zentralen Kritikpunkte waren eigentlich nichts anders als der Versuch, aus den historischen Schwächen der milieubedingten Kirche in Deutschland zu erklären, warum zum Beispiel in der Nazi-Zeit der Widerstand relativ begrenzt und auf ganz bestimmte innerkirchliche Themen beschränkt war - dass das zusammenhängt mit einer traumatischen Geschichte, die schon auf den so genannten Kulturkampf zurückgeht, wo Formen der kirchlichen Geschlossenheit im gesellschaftlichen Bereich praktiziert wurden, die dann nicht mehr gegriffen haben. Und dann eben diese unselige Vorstellung, dass man politisch auf einer ganz bestimmten Linie stehen muss - insbesondere im Kalten Krieg. Und das war damals die allgemeine Ansicht im Adenauer-Staat.

Dazu kam, dass im Jahr 1963 auch Rolf Hochhuth sein Stück "Der Stellvertreter" auf die Bühne brachte und Heinrich Böll die "Ansichten eines Clowns" geschrieben hat.Und dieser Simultaneffekt hat dazu geführt, dass ein kleiner Hirtenbrief gegen uns erlassen wurde - ohne Namensnennung allerdings. Er behauptete, wir seien dem Konzil in den Rücken gefallen. Aber wahrscheinlich hat ein Kirchengegner die Sache klarer gesehen. Er hat in Schwabing in der Nacht ein Graffito auf eine Kirche aufgesprüht - was damals noch ganz selten war - das lautete: "Die Kirche rülpst in Agonie, da hilft kein Böll, kein Amery".

Die Furche: Wie ist dem Linkskatholiken und Kritiker der Aufrüstung das Thema Umwelt wichtig geworden

Amery: Das war die Zeit, als dieser Versöhnungskurs mit den Marxisten einsetzte unter den katholischen Intellektuellen: Karl Rahner, Johann Baptist Metz - und auf der anderen Seite Leute wie Francois Garaudy oder Milan Machovec. Und plötzlich kam ich drauf, dass das ganze ein Versuch ist, auf der Basis der Hominisierung und Entsakralisierung der Welt die Gemeinsamkeiten von Marxismus und Christentum herauszuarbeiten. Ich spürte: Hier muss gegengesteuert werden. Insofern war mein Buch "Das Ende der Vorsehung" die Warnung vor diesem Kurs der Entnaturalisierung der Welt. Wobei ich natürlich die Säkularisierung eigentlich begrüße, aber es geht darum, dass man sie nicht auf Kosten der verbliebenen nicht-wirtschaftlichen Aspekte der Welt und Mitwelt durchführt.

Die Furche: Der Untertitel des Buches heißt ja "Die gnadenlosen Folgen des Christentums". Ist das Christentum wesentlich schuld am falschen Umgang mit der Mitwelt, an ihrer Unterwerfung?

Amery: Der Untertitel ist eigentlich korrekter, als ich damals selbst begriffen habe. Erstens schließt er gnadenvolle Folgen des Christentums nicht aus. Der Titel beschreibt nicht einen notwendigerweise destruktiv-dogmatischen Ansatz, sondern die Wirkungsgeschichte, die sich ergeben hat aus der zivilisatorischen Entwicklung, die die Botschaft des Christentums in diesem Sinne interpretiert hat. Mir ging es um die grundsätzliche Weltergreifung, die aus dieser Interpretation des Schöpfungsbefehls "Macht euch die Erde untertan!" folgte.

Die Furche: Hat das Christentum überhaupt Ressourcen für einen anderen Umgang mit der Welt und der Biosphäre. Ist ein Schöpfungsverständnis eines Franz von Assisi nur eine schöne Erinnerung, oder hilft uns das heute noch irgendwie weiter?

Amery: Es ist ein Fingerzeig in die richtige Richtung. Das Potenzial, das da drin steckt, ist noch kaum mobilisiert. Nehmen wir zum Beispiel die Energiefrage. Mein Freund Hermann Scheer, mit dem ich ein Buch gemacht habe über die mögliche Sonnenkonversion - die Umstellung der ganzen Energie, den Abstand von der nuklear-fossilen Basis - diese notwendige Energiekonversion steht für ihn auf zwei Säulen: Der Ersatz durch regenerative Primärträger - also Sonne, Wind, Biomasse usw. - und zweitens Effizienzrevolution: dass man aus der gleichen Menge Primärenergie eine Mehrfachleistung herausbringt. Diese Effizienzrevolution läuft ja seit Tausenden von Jahren: Der Unterschied zwischen dem Herd eines germanischen Bauern und einem Kamin ist schon enorm, und der Unterschied zu einem Kachelofen ebenso. Trotzdem ist der Energieverbrauch pro Kopf nie zurückgegangen - die Menschheit hat das immer benützt, um es sich bequemer zu machen. Darum ist eine dritte Säule unbedingt notwendig; die Suffizienzrevolution, und da sind wir bei Franz von Assisi: dass man nämlich "Verzicht" nicht als Verkümmerung versteht, sondern als Emanzipation von Zwängen, die die Religion des totalen Marktes auf dem Weg über den Konsumismus laufend erzeugt. Für diesen Widerstand gegen den Konsumismus sind meiner Meinung nach Ressourcen des lebendigen Christentums unbedingt gefragt.

Die Furche: Was passiert, wenn sich nichts ändert? Welche Gefahr steht uns bevor? Und warum ist Ihnen dieses Thema zum Lebensthema geworden?

Amery: Ich glaube, das Entscheidende war, dass ich plötzlich gesehen habe, dass sich meine durch den Krieg und die Nazi-Zeit erzeugte linke Neigung, die ich nach wie vor habe - ich möchte die Welt verändern, und das links - verbunden hat mit einem konservativen Anliegen, eine Welt der Nicht-Virtualität zu bewahren, ohne die wir keine Lebensgrundlage haben. Und diese Kombination hat mir eigentlich mein Lebensthema erst geschaffen. Seitdem fühle ich mich als mit mir selber identischer Kulturkritiker.

Die Furche: Ihr jüngstes Buch heißt "Global Exit". Was sind denn seine zentralen Thesen?

Amery: Der Titel ist ein Kalauer, darum habe ich ihn auf Englisch gemacht: "Exit" kann heißen "Schluss der Vorstellung", kann aber auch die Ausfahrt aus der Massenautobahn bedeuten. Und so ist der Titel gemeint. Der Untertitel "Die Kirchen und der totale Markt" definiert klar, wo ich hin will. Wenn ich mir die geistige Landschaft anschaue, so ist die Linke seit 1989 so gut wie ohnmächtig, sich der zentralen Überlebensthemen noch zu bemächtigen, während in den Christentümern, ich sage nicht Kirchen, sich etwas konsequent formieren lässt vom Schutz des Lebens her, vom Slogan des konziliaren Prozesses "Friede, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung", was sich als Grundsatzopposition definieren lässt. Das versuche ich in diesem Buch anzusprechen. Meine alten Freunde aus der säkularisierten Kulturwelt haben alle gesagt: Bist du wahnsinnig, mit den alten Tanten, mit den Kirchen willst du etwas auf die Füße stellen. Während ich plötzlich von einer ungeheuren Resonanz aus den Kirchen selbst heraus angefordert werde.

Die Furche: Die Christen haben einst die römische Reichsreligion verweigert. Was müssten sie heute verweigern?

Amery: Sie müssten sich gegen den Satz von der Alternativlosigkeit des gegenwärtigen Marktsystems wenden.

Die Furche: Was können einzelne Christen, was können Christengemeinden tun?

Amery: Eigentlich geht es darum, dass man dem Einzelnen, der jetzt heroisch auf das Müsli zurückfällt, Mut macht durch ein Kleinklima und später ein größeres Klima - ohne Verkrampfungen. Auf keinen Fall ein Sektenverhalten. Das halte ich für eine tödliche Gefahr, auch innerhalb der Kirchen. Ich warne in einem ganzen Buchkapitel vor dem Glauben, dass man mit frommen Grüppchen noch weiterwurschteln kann. Das widerspricht dem historischen Auftrag. Der ist auch kulturell-zivilisatorisch - schon von der Verantwortung her.

Das Gespräch führte Cornelius Hell.

Die Zukunft des Planeten

Carl Amery (Pseudonym für Christian Mayer), 1922 in München geboren, studierte nach dem Besuch humanistischer Gymnasien in Freising und Passau Neuphilologie in München; er konnte sich der Mitgliedschaft in der Hitlerjugend entziehen und bis 1943 mit informellen Resten katholischer Jugendorganisationen in Verbindung bleiben. Nach einer kurzen Zeit als Wehrmachtssoldat in Afrika kam er in amerikanische Kriegsgefangenschaft - er arbeitete als Baumwollpflücker in Amerika. 1948/49 studierte er mit einem Stipendium an der Catholic University of America in Washington. Er war Mitglied der legendären "Gruppe 47" und 1989-91 Präsident des PEN-Zentrums der Bundesrepublik Deutschland. Amery hat viele politische Debatten des Landes nachhaltig geprägt. Seine bekanntesten Romane sind "Die Wallfahrer" und "Das Geheimnis der Krypta". Bekannt wurde Carl Amery mit seinem kirchenkritischen Essay "Die Kapitulation". 2002 erschien "Global Exit. Die Kirchen und der totale Markt".

TV-TIPP: Mitmensch und Mitwelt.

"FeierAbend" mit Carl Amery.

Von Franz Gruber und Cornelius Hell.

Donnerstag, 15. August, 20 Uhr, ORF 2

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