Gegen-Sätze bei Johannes

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In katholischen Gemeinden wird am kommenden Sonntag die Passage des Johannesevangeliums gelesen, in der Jesus die ersten Jünger beruft (Joh 1,35-42). Dabei knüpft der Text immer wieder an den jüdischen Kontext an. Die Jünger sprechen Jesus mit dem Ehrentitel "Rabbi" an, ein Fremdwort im griechischen Originaltext (Vers 38). Zudem sagt ein Jünger: "Wir haben den Messias gefunden." Dieser Begriff ist die griechische Form des aramäischen meschicha - der Gesalbte, auf Griechisch christos. Auch Kephas ist aramäisch: der Fels, der Schimon den Namen Petrus gibt (42).

Jüdische Bezüge sind typisch für das Johannesevangelium. Es erklärt etwa die rituelle Handwaschung vor Mahlzeiten (Joh 2,6) und das Fest Chanukka (Joh 10,22). Dahinter steht aber keine positive Sicht aufs Judentum. Vielmehr werden "die Juden" als Jesu' Gegner und Verfolger dargestellt (Joh 1,11; 5,16; 9,49ff.). Der Text stellt Kontraste auf wie Geist-Fleisch, Licht-Dunkelheit, Erlösung-Verdammnis und ordnet den Juden die negativen Begriffe zu. Am drastischsten wird dies, wenn Jesus ihnen vorhält: "Ihr habt den Teufel zum Vater" (Joh 8,44). Dieser Vers hat die Basis für die Assoziation der Juden mit dem Teufel gelegt.

Wegen der Mischung aus Nähe und Verurteilung des Judentums wird das Johannesevangelium als das jüdischste und zugleich antijüdischste Evangelium angesehen, wie die Wissenschaftlerin Adele Reinhartz schreibt (im "Jüdisch kommentierten Neuen Testament", herausgegeben von Amy-Jill Levine und Marc Zvi Brettler, Englisch). Die antijüdischen Aussagen sind nicht entschuldbar, aber erklärbar durch die Entstehung und Funktion des Textes bei der Selbstfindung der Anhänger von Jesus im Kontrast zum Judentum: Aneignung und Ablehnung -ein spannendes Gegensatzpaar bei der Beschäftigung mit der kommenden Sonntagslesung.

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