Die heutige religiöse Landschaft zeigt ein zwiespältiges Bild.
Zwar bezeichnen sich noch immer viele als gottgläubig. Doch gedeihen einerseits vielfältige Formen einer neuen Religiosität, die nach Spiritualität, nicht aber unbedingt nach einem persönlichen Gott oder Kirche fragt.
Andererseits gibt es einen massenhaften Gewohnheitsatheismus, der mit dem Christentum jede Religion überhaupt verabschiedet.
Gott droht in unserer Gesellschaft verloren zu gehen, so oder so.
Der Verlust Gottes oder die Gottesfremdheit werden von vielen Menschen gar nicht als solche empfunden.
Die Frage nach Gott ist immer schon beantwortet, sein freigewordener Platz anderweitig besetzt.
Christliche Verkündigung sollte nicht bei religiösen Defiziterfahrungen des modernen Menschen ansetzen, sondern bei seinen nachchristlichen Sinnkonstrukten.
Der Kampf der Werte unterwirft den Menschen, der ihnen nachjagt, einer harten, das Leben bedrohenden Leistungsreligion, an der Menschen zerbrechen.
In unserer säkularen Gesellschaft hängt die Möglichkeit, von Gott zu reden, offensichtlich nicht von einer wie auch immer gearteten Frage nach Gott ab, sondern an der Erinnerungsspur der biblisch bezeugten Gottesoffenbarung, unter deren Asche noch immer die Glut einer subversiven Botschaft glimmt. Sie gilt es zu bezeugen und vor dem Vergessen zu bewahren.
Die biblische Tradition mutet uns zu, den der Moderne entschwundenen Gott nicht als abwesenden, sondern als verborgenen Gott, das heißt aber: als allem Augenschein zum Trotz gegenwärtigen und wirksamen zu begreifen.
Mag Gott auch schweigen, so besteht die Hoffnung, dass weder die moderne Skepsis noch der neureligiöse Polytheismus das letzte Wort haben werden.
Ulrich H. J. Körtner ist Professor für Systematische Theologie H.B. an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.
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