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Alle Wege führen nach Rom - auch die Via Francigena, die

alte Pilgerroute in die Ewige Stadt.

Was tut ein Pilger, nachdem er den Jakobsweg gegangen ist? So mancher, der aus Santiago de Compostela heimkehrt, ist seither vom "Pilgervirus" infiziert. Die Symptome: Die Beine sind unruhig. Die Gedanken kreisen nur noch um das Gehen auf Wegen, die sich am Horizont verlieren. Man wacht nachts auf und fühlt sich allein, weil das vertraute Schnaufen und Schnarchen der 20 oder mehr Menschen fehlt, die mit einem das Lager in der Pilgerherberge teilten. Was tun gegen diese Symptome? Den Jakobsweg noch einmal gehen?

Einer, den das Pilgern nicht mehr losgelassen hat, ist Reinhard Gattinger. Er ist den Jakobsweg im Jahr 2002 gegangen, 33 Tage on the road, 800 Kilometer, von den Pyrenäen bis zur Kathedrale des Apostels Jakobus. Der Gmunder hatte damals gerade sein Jus-Studium beendet. Nach seiner Rückkehr wartete der erste Job, bei einer Bank. Anderthalb Jahre hielt Gattinger es hinter dem Bankschalter aus, verwaltete Konten, vergab Kredite. "Mir wurde bald klar, dass das nicht das Richtige war", sagt Gattinger. "Da ging es nur ums Geld. Zu mir kamen Menschen, die Kredite brauchten, aber denen durfte ich keine geben. Dafür musste ich anderen, die keine brauchten, welche aufschwatzen."

Nach Schalterschluss tourte Reinhard Gattinger mit einer Dia-Show durch die Lande: "Buen Camino - der Jakobsweg". Während er Bilder seiner Reise zeigte und von seinen Erfahrungen als Pilger berichtete, erlebte er etwas, das er in seiner Arbeit kaum kannte: das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. "Es gibt eine unglaubliche Nachfrage nach einem Ausstieg auf Zeit, eine Sehnsucht nach Langsamkeit und ein Bedürfnis nach Orientierung. Ich spürte, dass ich mit meiner Erfahrung den Menschen helfen kann, sich selbst auf den Weg zu machen", erklärt Gattinger. Und so keimte in ihm die Idee, das Pilgern zum Beruf zu machen.

Pilgern als Beruf

Doch zunächst machte er sich selbst wieder auf den Weg, sozusagen, um seine Berufung als Pilger auf die Probe zu stellen. Sein nächstes Ziel: Rom, wohin bekanntlich alle Wege führen. Eine populäre Route dorthin war im Mittelalter die "Via Francigena", der Frankenweg. Wir kennen seinen Verlauf aus dem Bericht Sigerics, des Erzbischofs von Canterbury. Sigeric reiste im Jahr 990 von England nach Rom und zurück, um vom Papst Bischofsstab und Mantel entgegenzunehmen und damit die Insignien, ohne die er sein Amt nicht ausüben durfte. Er reiste durch die Normandie und Burgund, überquerte die Westalpen, den Apennin und gelangte schließlich über Lucca, Siena, am Monte Amiata und am Bolsena-See vorbei, durch Viterbo und Sutri nach Rom.

Entlang dieser Route findet man noch heute viele Kirchen und Hospitäler, die einst für die Pilger gebaut wurden, um ihnen Schutz und Unterkunft zu gewähren, und dieser Route folgte auch Reinhard Gattinger, als er sich im Frühjahr 2005 von Lausanne aus zu Fuß auf den Weg nach Rom machte. 40 Tage benötigte er bis zum Ziel und an jeden Tag erinnert er sich gern zurück. "Natürlich gibt es auch weniger reizvolle Strecken, aber dafür wird man durch die Schönheit der Toskana tausendfach entschädigt", sagt Gattinger. "Die Via Francigena ist wie der Jakobsweg vor 20 Jahren. Man wandert allein und ist weitgehend auf sich gestellt. Es gibt keine durchgehenden Wegmarkierungen und kein Netz von Herbergen." Aufnahme fanden er und seine Begleiter vor allem in Klöstern und Pfarrhäusern. "Je kleiner der Ort war, umso herzlicher sind wir aufgenommen worden", erzählt er: "Die Gastfreundschaft der Pfarrer und Mönche hat mich sehr beeindruckt. Da habe ich die Kirche von einer neuen Seite erlebt, als Ort, wo selbstlose Nächstenliebe praktiziert wird."

In der Aufnahme von Pilgern sieht Gattinger eine Chance für die Kirche: einen neuen Zugang zu öffnen für distanzierte Menschen, wie auch er einer war. Womöglich muss man als Bürger eines Wohlstandslandes erst zum Pilger werden, um zu erfahren, was jener Satz aus dem Evangelium bedeutet: Ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen.

Neue Chance für Kirche?

Der moderne Pilger scheint sich nach solchen Erfahrungen zu sehnen. "Die Mönche auf dem St. Bernhard berichten, dass sich die Zahl der Rompilger, die bei ihnen anklopfen, im letzten Jahr verdoppelt hat", sagt Gattinger. Andererseits sind es immer noch relativ wenige, die zu Fuß in die Ewige Stadt gehen. Es fehle das "Sicherheitsnetz", ohne das sich die meisten Pilger heutzutage nicht auf den Weg machen: gut markierte Wege, sichere Unterkünfte, ärztliche Betreuung in Reichweite. Dieses Netz zu knüpfen, hat sich Gattinger vorgenommen.

Zusammen mit einem Freund hat er den Verein "Eurovia" gegründet, für den er nun hauptamtlich arbeitet, nachdem er den Job bei der Bank an den Nagel gehängt hat. Eurovia widmet sich dem Aufbau einer Infrastruktur für die Via Francigena, um den Veteranen des Jakobswegs und denen, die von den Pilgermassen in Nordspanien abgestoßen werden, eine gangbare Alternative zu bieten. Eine verbindliche Route muss festgelegt und markiert, Herbergen müssen errichtet und Pilgerpässe ausgestellt werden. Außerdem hat Gattinger eine DVD gedreht, die Lust aufs Pilgern machen soll.

Für diese Aufgaben sucht er bei der öffentlichen Hand und bei Firmen um Förderung an, denen er Eurovia als CSR-Projekt empfiehlt. CSR steht für "Corporate Social Responsibility" und damit für einen unternehmerischen Ansatz, der den eigenen Betrieb in einem ethischen Umfeld verortet und bereit ist, soziale Verantwortung zu übernehmen. Wenn Gattinger betont, dass eine Pilgerreise höhere Leistungen motivieren, den Teamgeist stärken und zu größerer Zufriedenheit im Beruf führen kann, dann wirkt das zunächst wie den potenziellen Sponsoren nach dem Mund geredet. Doch es klingt dasselbe Motiv an, das ihn zur Aufgabe seines Jobs bei der Bank bewogen hatte: den Menschen mit seiner Arbeit zu versöhnen, ihm Freiräume zu schaffen und so zu einer gerechteren Wirtschaft beizutragen. Pilgern sei "aktive Wellness", fügt er hinzu, und die Via Francigena ein tausend Kilometer langes Wellness-Hotel, wo man nicht nur zu sich selbst, sondern zu einer europäischen Identität finden könne.

Pilgern als "aktive Wellness"

Heißt das auch: zum Glauben finden? Gattinger beantwortet diese Frage für sich selbst positiv. Das Pilgern habe ihm einen Zugang zur kirchlichen Frömmigkeit eröffnet. Esoterische oder naturreligiöse Vorstellungen, wie sie mit dem Jakobsweg oft verbunden werden, lägen ihm eher fern, und er glaubt auch nicht, dass sie sich in großem Maße an der Via Francigena entzünden werden, die schon wegen ihres Ziels "katholischer" sei als der nordspanische Pilgerweg.

Wie das katholische Rom nach einer wochenlangen Reise zu Fuß wirken kann, geht aus dem "Tagebuch eines Pilgers" hervor, das der pensionierte Schuster Giovanni Trevisan verfasst hat, nachdem er im September 2004, in selbst genähten Sandalen, von seinem Haus am Comer See in die Ewige Stadt gegangen ist. Giovanni hat nur die Volksschule besucht. Doch in seinem Text drückt sich sehr anschaulich das Befremden aus über den Massenbetrieb auf dem Petersplatz, wo bei der Audienz die Mobiltelefone klingeln, und vor allem darüber, dass dem Fußpilger von Seiten der Kirche in Rom keinerlei Hilfe, nicht einmal ein Willkommen zuteil wurde.

Giovanni fühlte sich von der römischen Kirche derart abgewiesen, dass er schrieb: "Wir sind hier nicht gut angesehen, als ob wir Lepröse wären. Ich dachte immer, die Menschen pilgern des Glaubens wegen. Doch was ich hier erlebe, bringt mich eher weg vom Glauben." Ein trauriges Fazit. In den Massen der Rompilger, die mit Bus, Bahn und Flugzeug anreisen, geht der einzelne Fußgänger buchstäblich unter.

"In Rom beginnt man erst allmählich an die Fußpilger zu denken", sagt Reinhard Gattinger. Jüngst sei eine Urkunde entworfen worden, die den Ankommenden überreicht werden soll, wie die "Compostellana" in Santiago, und sein Verein stehe in Kontakt mit der "Opera Romana Pellegrinaggi", der päpstlichen Agentur für Pilgerreisen, um die Aufnahme in Rom besser zu organisieren. Doch wenn der Pilger nach langer Reise am Ziel ankommt, hat er das Wesentliche ohnehin hinter sich. "Das Ziel ist wichtig", stellt Gattinger klar: "Ohne Ziel gibt es keine Orientierung, und man empfindet das Pilgern beim ersten Hindernis als sinnlos. Aber das, worum es eigentlich geht, ist das Gehen." Das sieht Giovanni, der Schuster vom Comer See, sicherlich genauso.

DVD-TIPP: VIA FRANCIGENA

Der Frankenweg - Zu Fuß nach Rom

Filmdokumentation von Georg Kerschbaum, Gregor Buchhaus, Reinhard Gattinger. 102 Min. e 20,50

Zu beziehen über: www.eurovia.tv

AUSSTELLUNGS-TIPP:

PILGERN IN EUROPA

Via Francigena - Jakobsweg

Fotoausstellung von Reinhard Gattinger

BildungsZentrum St. Benedikt, 3353 Seitenstetten, Promenade 13.

www.st-benedikt.at - Bis 7. Oktober.

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