Gelebte Solidarität und göttliches Wort

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Eine Uhr läuft einwandfrei, wenn jedes Zahnrad in deren Inneren greift und mit den anderen harmoniert. Dann zeigt sie die Zeit richtig an. In der westlichen Welt sind Uhren aus dem Alltag kaum wegzudenken. Dass das Leben aber auch ohne sie funktionieren kann, weiß Stephan Dähler aus eigener Erfahrung. Der gebürtige Schweizer ist Steyler Missionar und Provinzial der "Gesellschaft des Göttlichen Wortes" ("Societas Verbi Divini" - SVD), wie der Orden offiziell heißt.

Über zwei Jahre verbrachte er vor seiner Priesterweihe in Togo in Afrika. Er nimmt seine Uhr in die Hand und berichtet von einem Erlebnis, an das er noch immer gerne denkt: Im Busch lernte er Ewe, eine von 40 Sprachen des Landes. Doch sein Lehrer kam eines Tages nicht, da es stark regnete. Für einen Mitteleuropäer und einen Schweizer mag diese Situation ungewohnt sein -nicht jedoch für die Einheimischen. Sie waren vom vielen Wasser begeistert, erklärt Dähler. "Meine Uhr legte ich für die Dauer des Aufenthaltes jedenfalls in meinem Nachtkasten." Das Leben laufe hier nach ganz anderen Maßstäben als in Europa.

Heute hier, morgen fort

Dähler: "Wir waren der erste Orden in den USA, der afro-amerikanische Mitbrüder in den eigenen Reihen akzeptierte." Das war in einer Zeit, als das noch nicht selbstverständlich war. Diese Einstellung bestimmte die weitere, erfolgreiche Entwicklung des Missionsordens hin zu einer weltweit agierenden Gemeinschaft, erzählt er. Über 6000 Steyler Missionare leben heute in mehr als 80 Ländern. Dähler ist einer von ihnen -seit über 30 Jahren gehört er zur Gemeinschaft. Gegründet wurde der Orden in Steyl, einem kleinen Ort in den Niederlanden. Heute sind die Steyler Missionare der sechstgrößte Männerorden weltweit. Sie arbeiten wie ein Uhrwerk zusammen. Eines der Zahnräder ist St. Gabriel in Maria Enzersdorf bei Wien -gegründet 1889 von Arnold Janssen, dem Ordensgründer. Hier befindet sich auch der Sitz der zentraleuropäischen Provinz, zu der neben Österreich Kroatien, Frankreich und die Schweiz gehören. In diesen Ländern wirken heute über 100 Priester und 25 Laienbrüder. Über 30 davon kommen von außerhalb Europas. Jeder vierte Steyler Missionar kommt aus Indonesien.

Pater Puplius Buru ist etwa einer davon. Was bewegte ihn dazu, Steyler Missionar zu werden?"Vor mir sah ich immer das Bild eines Missionars, der auf einem Pferd reitet und die Menschen in den Dörfern besucht", erinnert sich der 40-Jährige. "Ich war einfach neugierig und dachte, ich lasse mich auf den Orden und auch die Fremde ein." Enttäuscht wurde er nicht. Österreich kannte er in Indonesien aus dem Unterricht. "Wir lernten europäische Geschichte in der Schule", erzählt er. "Du hast bestimmt mehr über Österreich erfahren als ich in der Schweiz", unterbricht ihn Dähler und lacht: "Heute sind wir beide Wahl-Niederösterreicher."

Mindestens zwei Jahre weggehen

Mindestens zwei Jahre sollen die Missionare in einem anderen Land als in ihrer Heimat leben, wo die Steyler tätig sind. Buru studiert Theologie in Wien und steht kurz vor seiner Abschlussprüfung. 2019 wird er wieder nach Indonesien aufbrechen, um dort Pastoraltheologie zu lehren. Buru: "Ich sehe es als einen Vorteil, heute zwei Welten zu kennen."

"Wir sind ein Missionsorden", sagt Dähler. Mission bedeutet für den Orden, Menschen zu begegnen, die eigene Glaubensüberzeugung mit ihnen zu teilen sowie die Welt lebenswerter zu machen. Die Steyler Missionare verbreiten heute nicht nur das Evangelium in anderen Ländern; sie nehmen auch die Sorgen und Nöte der Menschen wahr und helfen ihnen, erklärt Buru. Der Orden lässt etwa Schulen in bestimmten Weltregionen errichten, ermöglicht sozial-benachteiligten Schülern eine Ausbildung -auch Buru besuchte eine solche. Mit den Steyler Missionaren kommen aber auch junge Menschen aus Europa, sogenannte "Missionare auf Zeit" nach Indonesien. Bernadette Ennemoser ist eine davon. Die 19-Jährige lebt bei den Steyler Missionsschwestern und arbeitet bei einer NGO. Sie setzt sich hier für Menschen ein, die Opfer von Menschenhandel und sexueller Gewalt geworden sind.

Steyler Missionare zeichnet aus, dass sie dort wirken, wo es wenig "religiöses Leben" gibt. Das neuentstehende Sonnwendviertel am früheren Südbahnhofgelände in Wien-Favoriten ist eines davon. Auch dieses gehört zum Gebiet der Pfarre "Zum Göttlichen Wort", das die Steyler Missionare seit drei Jahren seelsorgerisch betreuen. "Wir sind mit den Menschen und nicht über den Menschen", erzählt der Provinzial. Daher tragen die Steyler seit über 50 Jahren keinen Talar mehr. Dieser schaffe Distanz zu den Menschen, sind sie überzeugt.

Offenheit gegenüber Fremden sieht Dähler als Erfolgsgeheimnis der Steyler Missionare. In der Ordenswelt sind sie Spezialisten der Interkulturalität. Allein im 10. Bezirk in Wien wohnen Missionare aus verschiedenen Ländern und Kulturen zusammen.

Dähler wirft einen Blick auf seine Armbanduhr. Seit er in Österreich ist, trägt er sie wieder regelmäßig. Seit Togo aber ist für ihn die Zeit, die er mit Menschen verbringt, viel wichtiger als die Uhrzeit. Pater Stephan Dähler: "Mit den Menschen aus verschiedenen Kulturen mitleben und erfahren, wie sie ticken und was sie bewegt. Ja, das ist genau das, was heute in meinem Leben zählt."

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