Gemeinsam auf Mauern pecken

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Neue Vorsitzende bei der Plattform "Wir sind Kirche": Unter dem Motto: "Aufwecken! Nicht einschlafen lassen!" folgt Ingrid Thurner auf Hubert Feichtlbauer. Mit dem 4. "Herdenbrief" zum Thema Zölibat sorgen die Kirchenvolks-Begehrer für neuen Zündstoff.

Die Kirchenreform ist voll im Gang, auch wenn dies auf der Leitungsebene unserer Kirche kaum wahrgenommen, geschweige denn gewünscht wird", behauptet Ingrid Thurner, neue Vorsitzende der Plattform "Wir sind Kirche", die letztes Wochenende in Wien zur Nachfolgerin von Hubert Feichtlbauer gewählt wurde. Diese Nachfolge anzutreten, fällt nicht leicht: "Seine Fußspuren sind mir entschieden zu groß. Ich werde meinen eigenen Weg suchen und finden, nicht zuletzt mit seiner Unterstützung und Mitarbeit."

Der Versuchung, müde zu werden, hat Thurner tapfer widerstanden: "Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass die Geisteskraft Gottes auch unsere Kirche und deren Führung bewegt. Ich kann und will unsere Kirche nicht weiter schlafen lassen und das Meine zur Kirche der Zukunft beitragen." Thurners Antritt als Vorsitzende von "Wir sind Kirche" beweise, dass der Ruf "Frauen in Führungspositionen"ernst gemeint ist".

Mit dem "Kirchenvolks-Begehren" legte die Plattform "Wir sind Kirche" 1995 einen fulminanten Start hin. Die darin formulierten fünf Forderungen nach dem Aufbau einer geschwisterlichen Kirche, voller Gleichberechtigung von Frauen, der freien Wahl zwischen zölibatärer und nicht-zölibatärer Lebensform, positiver Bewertung der Sexualität als wichtiger Teil des von Gott geschaffenen und bejahten Menschen und "Frohbotschaft statt Drohbotschaft" brachten 505.154 Unterschriften.

Trotz dieser starken Unterstützung des Kirchenvolks war das Echo von Bischöfen und Amtskirche weitgehend gering bis eindeutig ablehnend, daran hat sich in sieben Jahren nicht viel geändert. "Der Ton ist freundlicher, die Haltung blieb gleich: Aussitzen, Totschweigen, Ausgrenzen", fasst Thurner zusammen. "Kardinal Schönborn legte erst jüngst Katholikinnen und Katholiken zumindest indirekt nahe, die Kirche zu wechseln, wenn sie sich mit dem katholischen Kirchen- und Amtsverständnis nicht identifizieren können."

Die Ende Februar an alle Diözesanbischöfe ausgeschickte Plattform-Anregung, eine Kirchenvolksanwaltschaft einzurichten, stieß auf keine oder ablehnende Reaktionen. Einzige rühmliche Ausnahme bildete der Oberhirte der Diözese Eisenstadt, Bischof Paul Iby. Hier existiert bereits eine unabhängige, vermittelnde Ansprechstelle für Menschen, die Wünsche, Beschwerden und Anregungen aller Art an die Kirche vorbringen wollen.

Die Forderungen des "Kirchenvolks-Begehrens" haben, so die Einschätzung des nunmehr emeritierten Plattform-Vorsitzenden Hubert Feichtlbauer, an Brisanz und Aktualität nichts eingebüßt. "Der Hauptmangel der Kirche von heute ist ihr Realitätsverlust. Sie ist wirklichkeitsfremd, langweilig, uninteressant geworden. Die vatikanische Verlautbarungsmühle erzeugt nicht den beabsichtigten Gehorsam, auch nicht Rebellion, sondern Gähnen. Die Kirche hat jeden Sinn für die Rangordnung von Problemen verloren", meint Feichtlbauer.

Als jüngst das Karikaturbuch von Gerhard Haderer für Aufregung sorgte, schlug sich Feichtlbauer zwar auf die Seite amtskirchlicher Kritiker, weil hier nicht die Institution Kirche, sondern ihre Gläubigen als Trottel verspottet würden: "Trotzdem muss man sich wundern, dass die Bischofskonferenz angesichts erschossener Bischöfe, die in Lateinamerika die Option für die Armen ernst nehmen, angesichts der Pädophilie-Skandale, die die Kirche in den USA und anderen Ländern in ihren Grundfesten erschüttert, und mit Blick auf die seelischen Wunden, die die Kirche auch bei uns vielen Frauen, wiederverheirateten Geschiedenen, Priestern ohne Amt, sexuell unkonform Orientierten, unter Druck gesetzten Theologen und anderen zugefügt hat, eine nicht ohne weiteres nachvollziehbare Priorität setzt."

Feichtlbauer: "Die Stimme der letzten Priester wird immer leiser. Viele von ihnen leiden wie wir alle unter einem künstlich aufgepölzten Amtsverständnis. Einerseits wird darauf geachtet, dass Laien und gar Frauen dem Priester nicht zu nahe kommen. Andererseits zwingt die Priesternot zur Übernahme von immer mehr Funktionen durch Laien. Die Folge sind Unsicherheit, Zweifel und Frust. Die Kirchenleitung selbst gefährdet mit ihrem Starrsinn Priestertum und Sakramente. Wir glauben daran, dass der Priester ein Leitbild jeder Zivilisation ist, dass aber über ein zeitgemäßes und überzeugendes Amtsverständnis neu nachgedacht werden muss."

Die Plattform "Wir sind Kirche" legt in diesen Tagen auch das Buch "Zölibat - so nicht! Gottes amputierte Liebe" vor, das Entstehungsgeschichte und dramatische Folgen des Pflichtzölibats aufzeigt. Darin ist auch der "4. Herdenbrief" zu finden. Die Schriftleitung übernahm der heute verheiratete, ehemalige Priester Hans Chocholka. "Es ist Unrecht der Kirchen, Priestern ihr Recht auf Ehe zu verweigern", meint er: "Gott beruft auch Menschen, die kein Charisma zum zölibatären Leben haben!" Ein neues Priesterbild, das für Männer und Frauen gilt, fordert auch Dolores M. Bauer, die den 4. Herdenbrief gemeinsam mit einem Theologen erarbeitete."

Und er bringt ein Beispiel aus dem Süden: "85 Prozent der Basisgemeinden in Chile werden von Frauen geleitet. Die verstehen nicht, dass sie keine Eucharistie feiern dürfen."

Feichtlbauers Appell zum Durchhalten: "Wir brauchen jede und jeden von uns, wenn wir nicht unter die Wahrnehmbarkeitsgrenze absinken wollen. Unsere Kirchenvolks-Begehren-Ziele sind klar mehrheitsfähig, unser Engagement dafür ist es nicht."

Die neue Vorsitzende, Ingrid Thurnherr, dazu: "Ich will Gemeinschaften fördern, wo Menschen um Gott versammelt sind, gemeinsam Brot brechen und Christentum im Alltag leben. Wir werden gemeinsam auf die Mauern pecken, bis der erste Stein herausfällt. Das kann morgen sein oder in hundert Jahren - irgendwann fällt die Mauer!"

Informationen:

http://www.we-are.church.org/at

ZÖLIBAT - SO NICHT! Gottes amputierte Liebe. (4. Herdenbrief). Hg. Plattform "Wir sind Kirche". Schriftleitung: Hans Chocholka. Edition Va Bene, Klosterneuburg 2002. 256 Seiten, brosch., e 21,90

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