Gemeinsam entwickeln

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50 Jahre österreichische Entwicklungszusammenarbeit zeugen von der gelebten Solidarität mit den Armen. Über 2400 entsandte Fachkräfte leisten seither weltweit Hilfe zur Selbsthilfe.

Armut hat viele Gesichter. Sie zeigt sich nicht nur als materielle Verelendung, sondern auch als Resultat mangelnder Möglichkeiten, an der Gesellschaft teilzuhaben - oder gar von ihr ausgeschlossen zu sein. Um Armen und Ausgegrenzten eine Teilhabe an einem menschenwürdigen Leben zu ermöglichen, bedarf es nicht nur finanzieller Mittel. Die österreichische NGO HORIZONT3000 setzt vorrangig auf Menschen, die einige Jahre ihres Lebens die entwicklungspolitische Aufgabe zu ihrer persönlichen Sache machen - und zwar von Mensch zu Mensch. Derzeit sind rund 80 Frauen und Männer als Projektmitarbeiter in neun Partnerländern tätig. Ihr weltweites engagiertes Eintreten für wahrhafte Beteiligungsgerechtigkeit orientiert sich am helfenden Handeln auf gleicher Augenhöhe, das durch kein Macht- oder Belehrungsverhältnis konstituiert ist. Ihr Anforderungsprofil hat sich im Lauf der Jahre ebenso stark gewandelt, wie die Grundlage ihrer Entsendung: Aus der Entwicklungshilfe erwuchs die Entwicklungszusammenarbeit. Genügte es in den 1960er Jahren noch Handwerk mit christlicher Nächstenliebe zu verknüpfen, sind heute Experten der IT-Branche, Manager und Netzwerker mit hoher Beraterkompetenz gefragt.

Dem Desiderat nach mehr Gerechtigkeit kann die Ausgangsfrage der biblischen Perikope vom barmherzigen Samariter (Lukasevangelium 10,29-37) - gleichsam als ständige Anfrage an uns selbst - grundgelegt werden: Wer ist mein Nächster? Sie mag sich im "global village“ auch dem schieren Humanum verdanken, welches sich John Rawls’ "Theorie der Fairness“ zum Vorbild nehmen kann. Den Bewohnern der reichen Länder kommt es demnach zu, eine Lobby zugunsten Dritter, nämlich der Armen und Benachteiligten, als unsere "fernen Nächsten“ zu entwickeln. Es geht um Anwaltschaft für Menschen, die ihr verbrieftes Recht auf gerechte Teilhabe nicht selbst einfordern können.

Entwicklungspolitik und Teilhabe

Gemeinsam Projekte entwickeln und die Fähigkeiten der Menschen zu fördern, sind zentrale Anliegen von HORIZONT3000. Geschäftsführerin Gabriele Tebbich hebt die Bedeutung der Mitarbeiterausbildung hervor: "Es ist wichtig, das Arbeiten im interkulturellen Kontext in einem höchst unterschiedlichen Umfeld zu lernen.“ Zum besseren Verständnis echter Teilhabe müssen sowohl beschreibende als auch normativ angelegte Definitionsversuche von Partizipation berücksichtigen, dass Entwicklung nie nur für, sondern immer auch mit und durch die Menschen selbst, besonders die Armen geschieht, worauf der deutsche Sozialwissenschafter Johannes Müller verweist. Ziel ist es, das vorhandene Eigenpotential der Menschen zu fördern und einen Start in ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.

Ein relativ schmaler Grat verläuft zwischen fachlicher Beratung, kompetenter Hilfe und Bevormundung aus der Sicht der industrialisierten Gesellschaften. Entscheidend ist, wie man miteinander kommuniziert: partnerschaftlich, dialogisch, inspirativ und ehrlich. Ergebnisorientiert Helfende hören auf die Armen selbst, weil diese selten gehört und noch seltener verstanden werden, resümiert der deutsche Theologe Hartmut Köß seine Erfahrung mit Entwicklungszusammenarbeit. "Es bedarf des Sich-Einlassens in die Lebenswelt und die soziokulturellen Muster der Armen, die eng mit ihrem Schicksal der Marginalität verwoben sind.“ Das bedeutet auch, sich selbstreflexiv des eigenen hermeneutischen Zugangs als Bewohner der ökonomisch überlegenen industrialisierten Welt bewusst zu werden, in dem wir, direkt und indirekt, ob wir es wollen oder nicht, bei jeder noch so behutsam organisierten Hilfestellung kulturelle, soziale und politische Dominanz auf jene ausüben, denen wir helfen wollen, und dabei auch ein Stück weit deren Gefühl verstärken, marginalisiert und randständig zu sein.

Ausschluss bedeutet Leid

Man sollte in diesem Zusammenhang nie vergessen, dass der Ausschluss von Teilhabe und Teilnahme eine Form fundamentalen Leides bewirkt, weshalb gelebte Partizipation als grundlegender Wert unserer conditio humana angesehen werden muss, welcher ganz eng mit Gleichheit, Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit verbunden ist. Schließlich ist der Ruf nach gerechter Teilhabe auch als entwicklungssoziologisches Postulat zu verstehen. Um diesem gerecht zu werden, ist nichts Geringeres als ein dauerhafter und tiefreichender soziokultureller Transformationsprozess erforderlich, denn solange die Armen in ihren Bedürfnissen nicht ernst genommen werden, bleiben sie sozial wie politisch ausgeschlossen. Ein Mentalitätswandel der wohlhabenden, sich selbst genügenden Individuen könnte die Ideale unangefochtener Saturiertheit rasch als Aporien entlarven.

Andererseits gilt es auch, Missverständnisse und Grenzen der Partizipation aufzuzeigen, zumal viel Nüchternheit und Realismus hinsichtlich der Leistungsfähigkeit zur Teilnahme und Selbsthilfe aufzubringen sind. Müller warnt in diesem Zusammenhang davor, einem "Mythos“ zu verfallen, der die Armen romantisiert. "Solche Vorstellungen entspringen meist einem vagen Traum von Volksnähe, sind eine ‚Theorie von oben‘, ohne Kenntnis der Realität. Partizipation erfordert soziale Disziplin - auch von den Armen.“

Befähigung und Option für die Armen

Das Modell der Befähigungsgerechtigkeit trachtet nach gesellschaftlichem Ausgleich. Im entwicklungspolitischen Diskurs durch den gebräuchlicheren Begriff Empowerment ausgedrückt, ist damit häufig eine Vergrößerung des Handlungs- und Entscheidungsspielraums von Menschen (meist Frauen) gemeint. Der Blick soll auf die ungleichen Möglichkeiten gelenkt werden, die jeweils eigenen Talente und Ressourcen zu entwickeln und damit eigenverantwortlich zur Gesellschaft beizutragen. Jedoch: Dieser Schub an Zuversicht und Selbstvertrauen entsteht nicht von allein, sondern bedarf menschlicher Vermittlung, fern jedweder paternalistischen Wohltätigkeit, wie der deutsche Theologe Heinrich Bedford-Strohm betont. Die Option für die Armen spielt nicht Arme gegen Reiche aus, sie appelliert bei den Wohlhabenden an ihre Solidaritätspflicht und hat dabei die Inklusion aller in die wirtschaftlichen und sozialen Prozesse zum Ziel. Angesichts dahinschmelzender Budgetmittel rückt dieses Ziel allerdings in weite Ferne.

Akuter Geldmangel

Das Dreijahresprogramm der österreichischen Entwicklungspolitik 2010-2012 sieht für den Planungszeitraum - und darüber hinaus bis 2014 - vor, "die Budgetmittel mit einem klareren strategischen Fokus als bisher“ einzusetzen, wodurch der Bundesregierung "empfindliche Einsparungen“ für die Entwicklungszusammenarbeit auferlegt werden. Konkret bedeutet dies, sich von der angepeilten Steigerung der öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen auf 0,7 Prozent bis 2015 zu verabschieden. Als eine "bedauerliche politische Entwicklung“ kommentiert Gabriele Tebbich diesen Einschnitt sorgenvoll.

"Das ist sehr kurzsichtig. Angesichts der Globalisierung wäre es weitsichtiger, mehr Geld in die Hand zu nehmen, weil sich ungünstige Entwicklungen bis zu uns ausbreiten.“ Gegenüber globalen Systemkrisen sind die Entwicklungsländer zwar rasch und besonders verwundbar, aber die späteren Folgewirkungen auf die reichen Länder seien umso schmerzlicher.

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