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Die Fortschritte in der Zusammenarbeit der Kirchen können nicht über die verbleibenden Unterschiede und Differenzen hinwegtäuschen.

In der Ökumene vollzieht sich seit mehreren Jahren ein Paradigmawechsel, der sich als Übergang von der Konsens- zur Differenzökumene beschreiben lässt. Die Anfänge der ökumenischen Bewegung reichen in das ausgehende 19. Jahrhundert zurück. Nach dem II. Vatikanischen Konzil (1962-1965) öffnete sich auch die römisch-katholische Kirche dem ökumenischen Dialog. Wie Papst Benedikt XVI. kürzlich bekräftigte, ist das ökumenische Engagement der katholischen Kirche "unumkehrbar".

Namentlich in Europa gab es in den letzten Jahrzehnten ökumenische Fortschritte zu verzeichnen. Man erinnere sich nur an die Europäischen Ökumenischen Versammlungen in Basel (1989) und Graz (1997). Für 2007 ist die dritte Ökumenische Versammlung im rumänischen Sibiu geplant. 2001 wurde die Charta Oecumenica unterzeichnet, die Leitlinien für die wachsende Zusammenarbeit der Kirchen in Europa formuliert. Ein konkretes Beispiel für gelungene Zusammenarbeit ist das international beachtete Sozialwort des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich.

Differenzen trotz Fortschritt

Bei allen Gemeinsamkeiten und Fortschritten treten in jüngster Zeit jedoch die verbleibenden Unterschiede wieder deutlicher hervor. Daran haben auch Benedikt XVI., vormals Präfekt der römischen Glaubenskongregation, und sein Vorgänger Johannes Paul II. einigen Anteil, indem sie das dogmatische Profil der katholischen Kirche nach innen und außen wieder schärfer konturiert haben. Auch die anderen Kirchen besinnen sich wieder stärker auf ihr konfessionelles Erbe und Profil. Kritiker beklagen die damit eingetretene Stagnation und Krise der ökumenischen Bewegung. Man sollte aber besser von einem neuen Realismus sprechen, der auch dazu nötigt, die Ziele der ökumenischen Bewegung kritisch zu überdenken.

Verbleibende Differenzen zwischen den Kirchen betreffen nicht nur Einzelfragen wie das gemeinsame Abendmahl oder Amt und Ordination, sondern auch die Grundidee von Ökumene und das vorausgesetzte Kirchenverständnis. Die römisch-katholische Idee des "Ökumenismus" lässt sich vielleicht mit Ökumenevorstellungen der orthodoxen und der anglikanischen Kirchen harmonisieren, kaum jedoch mit dem Ökumenemodell der protestantischen Kirchen, die von Einheit, besser gesagt, von Gemeinschaft in versöhnter Verschiedenheit sprechen. Dieses Modell ist bereits in der "Gemeinschaft evangelischer Kirchen in Europa" (Leuenberger Kirchengemeinschaft) verwirklicht, der 95 lutherische, reformierte, unierte, sowie die methodistische Kirche angehören.

Keine einheitliche Urkirche

Das katholische Modell ist den einschlägigen Texten des II. Vatikanums zu entnehmen. Es lautet "Unitatis redintegratio". Damit ist heutzutage zwar keine "Rückkehrökumene" im klassischen Sinne gemeint, wohl aber die Idee, die Einheit der Kirchen schließe notwendigerweise die Anerkennung des Primates des römischen Papstes ein. "Wiederherstellung der Einheit" setzt voraus, es habe in den Anfängen des Christentums eine und nur eine "Urkirche" gegeben, die später durch Spaltungen getrennt wurde. Diese Sichtweise widerspricht jedoch den Ergebnissen der historischen Forschung zu den Anfängen des Christentums. Und auch in der späteren Kirchengeschichte war die Vielfalt der Kirchen nicht ausschließlich das Ergebnis von "Trennungen".

Allerdings haben die Entstehung des Papsttums und seine Entwicklung bis in die Gegenwart zur Trennung der Kirchen in erheblichem Maße beigetragen. Durch die Dogmatisierung der Unfehlbarkeit des Papstes in Lehrfragen und seines Jurisdiktionsprimats durch das I. Vatikanischen Konzil (1870) hat sich die römisch-katholische Kirche noch mehr als in der Vergangenheit zur Papstkirche entwickelt und von den übrigen Kirchen entfernt. Unbeschadet seines großen ökumenischen Engagements hat Johannes Paul II. die Papstzentriertheit seiner Kirche weiter verstärkt.

Papstamt als Hindernis

Auch wenn das Papstamt nach wie vor das größte Hindernis auf dem Weg zur Einheit der Kirchen ist, wie Paul VI. und Johannes Paul II. eingestanden haben, lässt sich die gegenwärtige Lage der Ökumene doch keinesfalls einfach auf die Formel "Rom gegen den Rest der Welt" bringen. Schließlich bestehen auch unter den übrigen Kirchen zum Teil nach wie vor große kirchentrennende theologische Unterschiede.

Die großen Konfessionen stehen außerdem gemeinsam vor der Herausforderung einer beständig wachsenden Zahl neuer Kirchen, deren Verständnis für die bisherige ökumenische Bewegung sich - gelinde gesagt - in Grenzen hält. Es handelt sich dabei um evangelikale oder charismatische Kirchen, die im weitesten Sinne der protestantischen Tradition zuzurechnen sind. Häufig verbreiten sie jedoch fundamentalistisches Gedankengut und unterhalten zu den so genannten "main churches", also auch zu den in der Reformationszeit entstandenen lutherischen und reformierten Kirchen, keine ökumenischen Beziehungen.

Natürlich kann man sich auf den Standpunkt stellen, all diesen christlichen Gemeinschaften ihr Kirchesein abzusprechen, so wie es bis heute die römisch-katholische Kirche gegenüber den Kirchen der Reformation tut. Die ökumenische Bewegung und ihre Idee der sichtbaren Einheit der Kirchen bliebe dann auf die etablierten Konfessionen beschränkt, die in der Vergangenheit entstanden sind. Auch wenn man nicht alle charismatischen Neuaufbrüchen unkritisch auf das Wirken des Heiligen Geistes zurückführen darf, würde doch eine solches Selbstgenügsamkeit der ökumenischen Bewegung der Dynamik des göttlichen Wirkens in der Geschichte nicht gerecht.

Ökumenische Theologie

Die Aufgabe ökumenischer Theologie besteht nicht nur darin, eine ekklesiologische Bestimmung des Verhältnisses von Einheit und Vielfalt der Kirchen zu geben, sondern auch darin, die Einheit und Differenz von Kirchen und universaler Christenheit zu reflektieren. Es gehört zu den grundlegenden Wandlungen, die sich in der Moderne in der Geschichte des Christentums vollzogen haben, dass sich zwischen dem kulturellen Erbe der modernen Gesellschaften und den Kirchen als organisierter Gestalt christlicher Religion eine Differenz auftut. Die Grenzen des Christlichen lassen sich nicht mehr mit den Grenzen einer Kirche, auch nicht ihrer ökumenischen Summe, zur Deckung bringen. Darin besteht die Herausforderung des Christentums gegenüber einer Gesellschaft, die nicht nur säkular, sondern zugleich multireligiös geworden ist.

Vertretbar erscheint die These, dass das ekklesiologische Problem von Identität und Differenz im Christentum nicht, wie es in der gegenwärtigen Diskussion häufig geschieht, vom Gedanken der immanenten Trinität oder von einem einseitigen "Ökumenismus des Heiligen Geistes" aus zu bestimmen ist, sondern inkarnations- und kreuzestheologisch. Grundlegend für eine künftige ökumenische Ekklesiologie ist daher nicht ein undialektischer Begriff von Einheit, sondern ein theologischer Begriff von Differenz. Entsprechend der Unterscheidung von sichtbarer und unsichtbarer Kirche besteht die eine Kirche Jesu Christi im Glauben. Zumindest nach evangelischem Verständnis ist daher die Katholizität der Kirche Jesu Christi als kreuzestheologisch begründetes Paradox zu deuten.

Es ist der Geist des gekreuzigten und auferweckten Christus, der Gemeinschaft stiftet und bestehende Widersprüche miteinander versöhnt. Die im Glauben erfahrbare Kirche Jesu Christi aber existiert nur in, mit und unter den Bedingungen ihrer Ausdifferenzierung in Konfessionen und Denominationen, die ihrerseits weiteren Binnendifferenzierungen ausgesetzt sind. Das Modell der Einheit in versöhnter Verschiedenheit, welches die Leuenberger Kirchengemeinschaft vertritt, wird diesem Sachverhalt weitaus besser gerecht als das römischkatholische Modell des Ökumenismus, wie es in dem Konzilsdokument "Unitatis redintegratio" beschrieben wird.

Kirche und Judentum

Zur Identität und Differenz im Christentum, die es kreuzestheologisch zu reflektieren gilt, gehört freilich in besonderer Weise die mit dem Begriff des Volkes Gottes thematisierte Differenz und Einheit von Kirche und Judentum. So ist also nicht nur zwischen Kirche und Christentum, sondern nochmals zwischen Kirche und Volk Gottes zu unterscheiden. Wer sich zur bleibenden Erwählung Israels bekennt, kann das Volk Gottes und seine Einheit nicht mit der Einheit der Kirchen gleichsetzen. Das aber ist ein gravierende Mangel bisheriger Einheitsvorstellungen in der ökumenischen Bewegung.

Gerade die bußfertige Auseinandersetzung mit der weithin herrschenden Israelvergessenheit der Kirche bringt die eschatologische Perspektive aller Ekklesiologie neu zu Bewusstsein, die mit dem Symbol des Reiches Gottes bezeichnet wird. Die eigentliche Hoffnung, von der alle ökumenische Arbeit getragen wird, ist nicht die sichtbare Einheit der irdischen Kirche, sondern das Reich Gottes, in welchem die Schöpfung ihre Vollendung finden soll. Nicht um die Einheit der Kirche, sondern um das Kommen des Reiches wird im Vaterunser gebetet. Die sichtbare Einheit der Kirche(n), was auch immer darunter verstanden werden mag, ist jedenfalls keine Vorbedingung für das Kommen des Reiches Gottes.

Der Autor ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Wien.

Buchtipp:

Wohin steuert die ökumene?

Vom Konsens- zum Differenzmodell

Von Ulrich H. J. Körtner

Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen 2005 (August)

266 Seiten, brosch., e 25,60

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