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Gemeinschaftsarbeit über Luther

19451960198020002020

LUTHER, WIE ER WIRKLICH WAR. Von Leon Chris tiani und Hans Asmussen. Schwaben- Verlag, Stuttgart. 280 Seiten. Preis 10.80 DM

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LUTHER, WIE ER WIRKLICH WAR. Von Leon Chris tiani und Hans Asmussen. Schwaben- Verlag, Stuttgart. 280 Seiten. Preis 10.80 DM

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Wer mit Evangelischen einmal in ein letztes, stilles Gespräch kommt, wird immer wieder erfahren, daß für sie jenseits aller Kontroverstheologie die massive Gestalt Luthers, in seiner Haltung und seiner Frömmigkeit, die Personifikation alles dessen ist, wozu sie sich bekennen. Für uns Katholiken ist er, selbst wenn man seine Unflätereien auf die Kirche und das Papsttum dem Grobianismus seiner. Zeit buchen will, der Herostrat, der die abendländische Christenheit zerbrach. Denn neben ihm bleiben in dieser furchtbaren Tragödie des 16. Jahrhunderts, die keine Pharisäer duldet, weil in ihr das Wort des Apostels „oportet haereses esse“ (1. Kor. 11, 19) offenbar wird, die übrigen „Reformatoren“ in der Rolle von Komparsen. So versteht man den oft, neuestens wieder von Ernst Jünger in seinen Lebenserinnerungen gemachten Vorschlag, die Kirche möge Luther in die Reihe der Heiligen aufnehmen, und die Einheit käme von selber. Der Vorschlag hat wenig Aussicht, von beiden Seiten gesehen.

Augenscheinlich von diesem Erlebnis her wollte der irenische und um die Einheit der Kirche bemühte Kanonikus Leon Christian!, bekannt durch seine veröffentlichten Kontroversen mit dem Kalviner Jean Rilliet, für sich und seine Gesprächspartner Luther sehen, „wie er wirklich war“. So entstand dieses Buch. Es bringt dokumentarisch in wörtlichen Berichten von Zeitgenossen über Luther und in ausgiebigen Stücken aus seinen eigenen Werken die Entwicklung Luthers von 1507 bis zu seinem Tod. Zitiert wird vom französischen Autor nach der St.-Louiser Ausgabe der Werke, die auf der Weimarer fußt. Die „Schmalkaldener Artikel“ werden nach der amtlichen Ausgabe abgedruckt. Zwischen den sorgfältig gewählten Abschnitten läuft ein ruhig- sachlicher Verbindungstext, der einfach interpretiert. Das französische Original wurde von Doris Asmussen übersetzt, als Herausgeber der deutschen Ausgabe bürgt für die Verläßlichkeit der Texte kein Geringerer als Hans Asmussen, der die ausgewählten Stücke an der Weimarer Ausgabe der Werke Luthers überprüft. Er distanzierte sich aber von einigen Aeußerungen der Einführung, die Daniel-Rops der Auswahl vorausschickt, ebenso von einigen wenigen Behauptungen des Verfassers.

Wir haben hier das Leben und die Entwicklung Luthers in Dokumenten vor uns. Der ganze Luther ist nicht durch eine Phase seines Lebens zu bestimmen. Das ungeheure Spannungsfeld seines Inneren, von der Angst vor der Verdammnis, die ihn bis an den Rand der Verzweiflung, ja der Blasphemie, ja zum Häß gegen Gott treibt, bis zur Heilsgewißheit, die er in seinen Ablaßthemen noch verwirft, später aber lehrt (S. 243), liegt in seinen eigenen Bekenntnissen vor uns ausgebreitet. Deutlich wird, wie oft eine neue Selbstsicherheit die innere Unsicherheit überspringt, weil ihn in seinem Widerstand die Rückendeckung politischer Mächte stärkte — denen er freilich damit seinen Traum von einer geistgeleiteten Kirche opferte, als er der weltlichen Macht die Ordnungsgewalt zusprach, ja ausweglos zusprechen mußte, denn „die päpstliche und bischöfliche Zeit ist dahin" (S. 198). Die Dokumente belegen, wie Luther, nachdem er die Auslegung der Schrift durch die Kirche verworfen und erklärt hatte, daß allein der Heilige Geist die Bibel zu verstehen lehrt, unbewußt oder stillschweigend voraussetzt, daß er vom Heiligen Geist Berufung habe, die Heilige Schrift auszulegen (S. 156 ff.), eine Ueberzeu- gung, die er mit rücksichtsloser Unduldsamkeit und seiner ganzen Sprachgewalt nach allen Seiten verfocht. In seiner Auseinandersetzung mit Erasmus ist nicht nur die Freiheit des Willens, sondern die Autorität der Bibel selbst in Frage gestellt (S. 174 ff.). Die „Schmalkaldener Artikel" werden als letzter Stand der Lehre Luthers ganz geboten (S. 206 bis 225).

In der Fischer-Bücherei (76) hat Prof. Helmut Gollwitzer mit K G. Steck eine Auswahl aus den Werken Luthers den breiten Massen dargeboten. In der Einleitung beklagt er — das fällt auf —, daßzwar über Luther eine kaum überschaubare Literatur bestehe, daß von einer „Luther-Renaissance" gesprochen werde, daß aber von der nahezu hundert Bände starken Weimarer Ausgabe seiner Werke bis zu den Auswahlbänden und Sonderdrucken nichts über den Kreis der Theologen hinaus gelesen werde. Ihr Luther-Bild holten sich die Lutheraner aus zweiter Hand. Hier hätten sie und wir eine Auswahl seiner ersten Hand, für die ein katholischer „Autor“ als gewissenhafter Auswähler und ein evangelischer als Herausgeber zeichnen, beide bestrebt, Luther zu sehen und zu hören, „wie er wirklich war“, an seinen eigenen Bekenntnissen und solchen seiner nächsten Umwelt. Beide betrachten ihre Arbeit als einen Beitrag zum „Kreuzzug für die Einheit der Kirche Christi".

Univ:~Prof. Dr. Michael Pfliegler

DIE ORDNUNG ZWISCHEN KIRCHE UND STAAT. Von Alexander D o r d e 11. Verlag Tyrolia, Innsbruck—Wien—München. 206 Seiten.

Auch Buchbesprechungen, nicht nur Bücher, haben ihr Schicksal. Als ich im Juni 1958 zu einer Konferenz nach Straßburg fuhr, wurden mir im Zug Aktentasche und Mantel gestohlen. Ich erstattete zwar sofort die Anzeige, versprach dem hl. Antonius einen Finderlohn, gab mich aber dennoch keiner großen Hoffnung hin. In dieser Aktentasche war auch das Besprechungsexemplar des obgenannten Buches.

Eines Tages im Sommer wurde ich vom Gendarmeriekommandanten meines Aufenthaltsortes aufgesucht. Er hatte ein Fernschreiben, in dem mitgeteilt wurde, daß von der deutschen Polizei ein Herr H. L verhaftet worden war, in dessen Besitz sich Gegenstände befänden, die den Schluß zuließen, daß ich irgendwie Objekt dieses „reisenden Gepäcksdiebes“, wie die schöne amtliche Bezeichnung lautete, geworden war. Anscheinend war die Interpol nicht ganz sicher, ob ich nicht vielleicht ein Komplice wäre, denn die Wiener Kriminalpolizei ging allen Ernstes daran, zu erforschen, in welchem Zusammenhang ich mit dem „reisenden Gepäcksdieb“ gestanden war. Glücklicherweise konnte ich mich von allen Verdachtsmomenten reinwaschen, und man kam zur Lieberzeugung, daß meine einzigen Beziehungen zu Herrn H. I. nur in der Eigenschaft eines Bestohlenen bestanden. Herr H. I. muß aber ein sehr gutes Gf- dächtnis haben, denn unter den Gegenständen, die ich vor wenigen Tagen von der Asservatenverwaltung eines deutschen Gerichts erhielt, befand sich auch das Besprechungsexemplar.

Und so komme ich nun in die Lage, dieses Buch auch tatsächlich zu besprechen: Wie der Verfasser selbst angibt, handelt es sich um einen historisch- systematischen Grundriß, der aus Vorträgen an der Volkshochschule Wien-West hervorgegangen ist. In äußerst flüssiger und leichtfaßlicher Darstellung wird der Werdegang der Grundsätze des Verhältnisses von Staat und Kirche und die Einführung in diese Grundsätze geboten. Das Buch ist wirklich lesenswert. Schade nur, daß der Verfasser zur Gänze auf die Bibliographie verzichtet hat, denn der Leser wird oft angeregt, noch mehr über die einzelnen Probleme zu erfahren. Es ist ja gerade der Hauptwert dieses

Buches, ungemein anregend zu sein. In unserer Zeit, in der die Probleme Kirche und Staat wieder in Fluß geraten sind, ist die Arbeit Dordetts ein äußerst wertvoller Behelf, der eine'große Lesergemeinde verdient.

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