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Geniales Flugblatt

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Wie ist es möglich, christliche Überzeugungen politisch umzusetzen? Kann man sich für mehr Demokratie einsetzen und zugleich überzeugtes Mitglied einer Kirche sein, die für sich selbst die Demokratie ablehnt? Mit solchen Fragen befaßten sich vorwiegend junge Akademiker(innen) aus Ungarn, der Slowakei, Tschechien und Osterreich auf einem Symposium des Katholischen Akademikerverbandes von 2. bis 4. Mai in Eisenstadt

Wie Christen ihre politische Verantwortung sehen, hängt weitgehend von ihrem Kirchenbild ab, stellte die Präsidentin der Katholischen Aktion, Eva Petrik, in einem Grundsatzreferat fest. Sie warnte vor der Neuinstallierung einer politisch abstinenten oder restaurativen Kirche - gestrige Kirchenbilder, die im Osterreich der Zwischenkriegszeit eine verhängnisvolle Bolle gespielt haben.

Daß die moderne Demokratie im biblischen Menschenbild der Gleichheit aller vor Gott wurzelt, war eine zentrale Aussage des Innsbrucker Theologen Wolfgang Palaver. Die Welt der Gleichheit führt jedoch nicht automatisch zu Frieden und Harmonie; sie braucht ethische und spirituelle Werte wie die Bereitschaft zur einseitigen Vorleistung oder zum Riskieren eigener Rechte.

Ihre persönlichen Erfahrungen als Politikerin schilderte die Grün-Abgeordnete Tere-zija Stoisits: „Ich habe ein Schlüsselerlebnis gehabt als Politikerin, was Kirche leisten kann, nämlich im Jänner 1993, als es einen breiten Zusammenschluß von Menschen in Österreich gegeben hat gegen das Ausländervolksbegehren der FPO. Das war das Schlüsselerlebnis, daß nicht die politischen Organisationen oder Parteien oder etwa die Grünen, sondern daß es die Kirche war - in diesem Fall die Katholische Aktion -, die am raschesten, am effektivsten und am eindeutigsten vermittelt hat, worum es geht. Wir haben alle noch diskutiert und sind herumgesessen in Vorständen und Gremien, und die Kirche hat ein Flugblatt verteilt, das ich heute noch für genial halte - und nicht vielleicht, wie die Grünen es imstande sind, maximal 15.000 Stück in ganz Österreich, sondern 750.000. Und da habe ich mir gedacht: Siehst du, es ist schon schön, wenn man eine römisch-katholische Abgeordnete ist. Wobei ich zugebe, nichts dazu beigetragen zu haben.”

Aber Stoisits stellte auch klar: „Am meisten stört mich an der Kirche, daß da jemand aus Rom geschickt wird, der dann Millionen Österreicher repräsentiert - ohne jede demokratische legitimation. Das akzeptiere ich, solange sich diese Sprecherfunktion und Rolle nur auf innerkirrhliche Angelegenheiten beschränkt. Wenn aber dann versucht wird, ohne demokratische Legitimation eine Position in der demokratischen Öffentlichkeit zu erlangen, dann halte ich das für absolut nicht legitim.”

Durch viele Diskussionen der Eisenstädter Tagung zog sich die Überzeugung, daß man trotz fundamentaler Meinungsunterschiede Koalitionen in Sachfragen schließen muß, um politisch etwas verändern zu können.

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