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Gesamtdarstellung des Kirchenrechts

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DIE GESCHICHTE DES KIRCHENRECHTS, Band IV. Von Willibald Flöcbl. Herold- Ver lag, Wien. 47 Seiten. S 106.80.

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DIE GESCHICHTE DES KIRCHENRECHTS, Band IV. Von Willibald Flöcbl. Herold- Ver lag, Wien. 47 Seiten. S 106.80.

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Der berühmte protestantische Rechtslehrer Ulrich Stutz in Berlin hatte wiederholt darauf himgewie- sen, daß sich die Geschichte des Mittelalters nur bei Kenntnis auch der kirchlichen Rechtsentwicklung voll und ganz verstehen lassen. Professor Stutz ist auch der Schöpfer der „Kirchlichen Rechtsgeschichte” als einer eigenen, modernen Wissenschaftsdisziplin, der er selbst eine sehr knappe zusammenfässende Darstellung widmete, die 1914 in 2. Auflage erschien. Zur Abfassung einer wiederholt angekündigten ausführlicheren Darstellung war Stutz leider nicht mehr gekommen. Sein Schwiegersohn, der in Wien aufgewachsene spätere Tübinger Rechtslehrer H. E. Feine (t 1965), hat dann auf Grund des Stutzschen Grundrisses eine handbuchartige „Kirchliche Rechtsgeschichte” in einem Band verfaßt, die 1964 in 4. Auflage erschienen ist. Einen Ergänzungsband für die orientalischen Kirchen wolte der Wiener Historiker Dr. jur. et phil. Heinrich Felix Schmid verfassen, doch ist er zufolge seines frühen Todes leider nicht ‘ mehr dazugekommen.

Der Kanonist der Wiener Juristenfakultät Willibald. M. Plöchl, der vorher an den Universitäten Nym- wegen und Washington tätig war, hatte schon verhältnismäßig früh den kühnen Plan gefaßt, eine zunächst auf drei Bände berechnete Gesamtdarstellung der „Geschichte des Kirchenrechts” zu verfassen. Im Abläuf der Jahre wurde dieses Vorhaben auf fünf Bände erweitert. Die zwei ersten Bände liegen bereits in 2. Auflage (1959 und 1962) vor, Band III ist 1959 und der hier speziell anzuzeigende Band IV 1966 erschienen. Mit einem im Manuskript erfreulicherweise schon sehr weit gediehenen V. Band soll das Werk seinen Abschluß finden.

Während Band I und II die Geschichte der Kirchenrechtsentwicklung im christlichen Altertum und Mittelalter enthalten, ja bis 1517 herauf führen, sind die weiteren drei Bände der Neuzeit gewidmet. Band III (1959) bringt vor allem das Verfassungs- und Personenrecht, einschließlich des Missions- und des Ordensrechtes. Band IV, der hier vor allem zu würdigen ist, enthält eine sehr eingehende Darstellung des Sakramentenrechtes und der kirchlichen Gerichtsbarkeit einschließlich des Ordens-, Weihe-, Selig- und Heiligsprechungsprozesses. Noch stärker als bei der Behandlung des Mittelalters zeigt sich gerade bei der Darstellung der Neuzeit, daß für gar manche Partien noch monographische Vorarbeiten fehlen. So mußte Plöchl auf die primären Rechts- quellen wie auf Kirchenrechtsdarstellungen früherer Jahrhunderte zurückgreifen, die eben den jeweiligen Rechtszustand der behandelten Zeitabschnitte wiedergeben. In Anbetracht dieser oft recht mühsamen und zeitraubenden Stofferarbeitung war es auch richtig, daß Plöchl gerade für die neueren, von der Forschung bisher weniger behandelten Jahrhunderte auch eine ausführlichere Darstellung wählte. Dies führte auch dazu, daß die noch aus- stehenden Kapitel über das kirchliche Strafrecht, das Wirtschaftsund Soziailrecht sowie über die Entwicklung der Kirchenrechtswissenschaft, das kirchliche Schulrecht und die Rechtsquelen einem V. Band Vorbehalten bleiben, dessen Manuskript noch im kommenden Frühjahr abgeschlossen werden sol. Während es den großen Kirchenrechtsiehrern deutscher Zunge während der letzten Generationen, wie Phillips (t 1872), Hinschius (t 1898) und der Österreicher Rudolf R. v. Scherei (t 1918), nicht gegönnt war, ihre breil angelegten und reichlich mit „Einiei- tungshistorie” versehenen systematischen Darstellungen zu Ende zu führen, besteht erfreulicherweise berechtigte Hoffnung, daß von Plöchl Kirchenrechtsgeschichte bereits ir absehbarer Zeit der V., dieses Wert abschließende Band erscheinen wird Wer einen zeitlich fast 2000 Jahre umspannenden ungeheuren Rechts- stoff bearbeitet, der zudem keine nationalen Grenzen kennt, sondern sich über den ganzen jeweiligen orbis catholicus erstreckt, und diesen in der einem Einzelforscher gegönnten Lebenszeit bewältigen will, tut besser, sich bei einzelnen noch offenen Forschungsproblemen nicht allzu lange aufzuhalten, um nicht den Abschluß des Gesamtwerkes in Frage zu stellen. Der Fachmann weiß, daß es vor allem die übergründliche, keine Zeitgrenzen berücksichtigende Forschungsweise von Friedrich Maiaßen (9. April 1900 zu Innsbruck- Wilten) gewesen ist, die es verhindert hat, daß von seiner auf fünf Bände geplanten monumentalen „Geschichte der Quellen und der Literatur des kanonischen Rechts im Abendland bis zum Ausgang des Mittelalters” nur ein einziger Band (Graz 1870) erschienen ist. Zudem liegt dem einen Wissenschaftler mehr die monographische Behandlung einzelner Probleme, während des anderen Stärke wiederum in der ebenso wichtigen Zusammenfassung gelegen ist. Plöchl verfügt jedenfalls über eine starke synthetische Kraft, die ihm hoffentlich schon recht bald die Vollendung seines großen Lebenswerkes ermöglichen möge. Einige Ungenauigkeiten vor allem im wissenschaftlichen Apparat, die wohl vornehmlich auf seine Mitarbeiter zurückzuführen sein dürften, lassen sich zudem leicht bei weiteren Auflagen beheben. Eine Zeitungsanzeige ist nicht der richtige Ort, um sich über nur den Spezialisten interessierende Detailfragen zu ergehen. Im Interesse gerade der kanonistisch nicht speziell vorgebildeten Leserkreise, denen dieses Werk doch auch gerade das mittelalterliche Kirchenrecht erschließen will, wäre es sehr zu wünschen, daß bei Zitierung der großen, zum Teil vielbändigen sehr umfangreichen systematischen Handbücher nicht nur jeweils der Band, sondern auch die entsprechenden Seiten angeführt würden. Die meisten dieser großen systematischen Darstellungen sind ja Fragment geblieben und entbehren deshalb eines die Werke erst richtig aufschließen- dien Registers.

Im übrigen sei hier nur zusammenfassend noch bemerkt, daß Plöchls große, bereits mehr als 2100 Druckseiten umfassende Geschichte des Kirchenrechts nicht nur für Theologen, Juristen und Historiker, sonders darüber hinaus auch für Forscher auf dem Gebiete der Volksund Heimatkunde insbesondere als Nachschlagewerk von großer Wichtigkeit ist. Gerade bei Ausarbeitung meines Buches über „Ostern in Tirol” konnte ich wiederholt erfahren, welch großen Einfluß gerade das Kirchenrecht auch auf die Entwicklung des christlichen Jahresbrauchtums genommen hat.

Obwohl die Kirchenrechtswissenschaft eine internationale Disziplin darstellt, gibt es sonst keine einzige ähnlich ausführliche und den gesamten gewaltigen Rechtsstoff in ein einheitliches rechtsgeschiichtliches System zusammenfassende Darstellung. Daß diese überaus schwierige und vieljährige Hingabe erfordernde, auch im Ausland anerkannte wissenschaftliche Leistung gierade von einem österreichischen Rechtslehrer stammt, darf jedenfalls als ein Ruhmesblatt der Wissenschaft unseres Vaterlandes gelten.

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