Gesellschaftsdiagnose und Zeitgenossenschaft

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Dem "Gottesgerücht Beine machen" wollte er, als er 1984 dem Ruf an die Universität Wien folgte - auf den ältesten Lehrstuhl für Pastoraltheologie. Formulierungslust und griffige Wortschöpfungen begleiteten den "öffentlichen" Paul M. Zulehner von Anfang an. Ob "Megatrend Religion" oder "Verbuntung" - kaum ein anderer aus der Theologenzunft vermochte seine Thesen über den Zustand von Religion, Glaube und Kirche vis-à-vis der Gesellschaft so auf den Punkt zu bringen wie er. Auch Kritiker seiner Thesen müssen zumindest anerkennen, dass Zulehner sich nie in den theologischen Elfenbeinturm zurückgezogen hat oder in jene wissenschaftliche wie kirchliche Binnensprache verfallen ist, die für die Zeitgenossen draußen nicht mehr verständlich erscheint.

Den großen Wortschöpfungen entsprechen auch die großen Bögen, die Zulehner in seiner religionssoziologischen Arbeit nachzuspüren sucht. Die Wertestudien - für Europa ebenso wie für Österreich -, die unter seiner Federführung entstanden, können bis heute als Versuch gelten, die dispergierenden Entwicklungen in den europäischen Gesellschaften darzustellen und verstehbar zu machen. Diese Art von Gesellschaftsdiagnose war für Zulehner immer auch Auftrag, die Kirchenentwicklung kritisch zu reflektieren und zu begleiten.

Er nahm sich auch früh der Umbrüche an, die der Mauerfall für die kirchlichen Milieus im Westen wie im Osten bedeutete. 1989, bereits vor der Wende, gründete Zulehner das "Pastorale Forum" an der Uni Wien, das für Theolog(inn)en aus dem Osten, die Jahrzehnte von der kirchlichen Entwicklung Europas abgeschnitten waren,eine Anlaufstelle ersten Ranges wurde. Durchaus nicht unähnlich das Engagement Zulehners nach seiner Emeritierung 2008, das ihn auch nach China führte, wo er sich gleichfalls dem Brückenbauen zu einem abgeschotteten Christentum mühte. Er sei so zum "Weltbürger" geworden, schreibt Zulehner im Buch "Mitgift", seiner Autobiografie "andererer Art"(Patmos 2014).

Gleichzeitig blieb Zulehner ein unermüdlicher Anwalt für eine Kirche mit zeitgenössischem Antlitz. Er lässt sich dabei keinen der üblichen Parteiungen in der katholischen Kirche zuordnen - und legte sich im Bedarfsfall mit "links" wie mit "rechts" an. Seit langem gehört der Pastoraltheologe zu den Gesprächspartnern und Freunden der FURCHE, Ende der 1990er-Jahre war er auch Kolumnist dieser Zeitung. Am 20. Dezember feiert Paul M. Zulehner, der Nimmermüde, seinen 75. Geburtstag.

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