Gespannte Verhältnisse

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Der Religionssoziologe Nikolaj Schaburow analysiert die Befindlichkeit Moskaus gegenüber Rom an der Schwelle eines Führungswechsels in beiden Kirchen.

Das ohnehin gespannte Verhältnis zwischen dem Vatikan und der russisch-orthodoxen Kirche hat sich gerade in den letzten drei Jahren verschlechtert. Dass Rom 2002 die Apostolischen Administraturen auf dem Gebiet der Russischen Föderation zu Diözesen erhob, löste eine neue Eiszeit zwischen Moskau und Rom aus, die auch Gesten des Papstes, wie die Rückgabe der Kasaner Muttergottes-Ikone an Patriarch Aleksij II. im vergangenen Jahr, nicht nachhaltig verbesserten.

Erst unlängst, am 24. Februar, erklärte der mächtige "Außenminister" der russischen Orthodoxie, Metropolit Kiril von Smolensk", bei einem Berlin-Besuch, die Gründung katholischer Diözesen in Russland berge die Gefahr, die "gemeinsame kanonische Tradition" zu verlieren, denn, so das Argument von Kiril, es sei seit dem Apostel Paulus "Tradition der ungeteilten frühen Kirche", dass es in jeder Stadt nur einen Bischof geben soll. Moskau zu besuchen und den russischen Patriarchen zu treffen, ist seit Jahren ein Herzenswunsch Johannes Pauls II.: Diesem Wunsch allerdings wurde von russisch-orthodoxer Seite nicht entsprochen.

Der russische Religionssoziologe und Leiter des Zentrums für Religionsforschung an der Russischen Staatlichen Geisteswissenschaftlichen Universität in Moskau, Nikolaj Schaburow, gibt im Gespräch Einblick in Denken und Machtverhältnisse der russischen-orthodoxen Kirche, deren Leitung - nicht unähnlich der römischkatholischen Kirche - an der Schwelle eines Führungswechsels steht.

Die Furche: Vor drei Jahren hat die russisch-orthodoxe Kirche noch katholische Priester des Landes verwiesen, nachdem der Vatikan die Apostolischen Administraturen Russlands in Diözesen umgewandelt hat. Ist mittlerweile etwas Ruhe ins Verhältnis gekommen?

Nikolaj Schaburow: Die Spannung besteht weiter, allerdings ist die Schärfe im letzten Jahr zurückgegangen. Es gab einige Verhandlungen, der Vatikan hat die "Ikone der Muttergottes von Kasan" zurückgegeben, hochrangige Vertreter des Vatikans besuchten Moskau. Aber ich denke, es gibt bestimmte Grenzen für eine Annäherung, denn die russisch-orthodoxe Kirche ist an einer wesentlichen Annäherung nicht interessiert.

Die Furche: Warum hat Patriarch Aleksij II. den Papst nicht ins Land gelassen?

Schaburow: Abgesehen davon, dass das auch keine radikale Entspannung gebracht hätte, gibt es mehrere Gründe. Mir scheint es nicht im Vorwurf des Proselytismus und den Problemen der Orthodoxie mit den Unierten in der Westukraine begründet zu sein, sondern darin, dass bei einem Treffen Aleksij II. wie ein russischer Bürokrat hinter dem geistlichen Potenzial und der persönlichen Autorität des charismatischen Papstes verblassen würde.

Zumal Aleksijs Image auch schadet, dass enge Verbindungen zwischen Staat und russischer Orthodoxie bestehen. Die Angst vor einer katholischen Expansion ist jedenfalls weit überhöht und irrational. Als Konkurrenz müsste man schon eher Strömungen des Protestantismus fürchten, die ja mehr Anhänger haben und weitaus aktiver sind. Andererseits genießt der Katholizismus eine gewisse Sympathie in den Kreisen der Intelligenzija.

Die Furche: Wie reagiert die russische Orthodoxie auf den näher rü-ckenden Führungswechsel im Vatikan?

Schaburow: Nicht eindeutig, zumal man nicht um den Nachfolger weiß. Einerseits hat Johannes Paul II. die russisch-orthodoxe Kirche gereizt, weil ihn die russischen Probleme interessiert haben. Andererseits assoziierte man mit einem polnischen Geistlichen expansionistische Pläne bezüglich Russland und der Orthodoxie. Viele denken, dass ein nichtpolnischer Nachfolger weniger aktiv in der Ostpolitik ist, wiewohl manche einem jüngeren Nachfolger auch mehr Aktivität zutrauen.

Die Furche: In der russischen Orthodoxie selbst tobt seit längerem ein Nachfolgekampf.

Schaburow: Ja, wiewohl es Aleksij II. gesundheitlich wieder besser geht. Es gibt ja auch die Theorie, dass potenzielle Nachfolger die Aussöhnung mit Rom hinauszögern, um sie selbst dann als historische Leistung verbuchen zu können. Die Nachfolgerfrage ist aber nicht geregelt.

Der mächtige Leiter des Außenamtes der russisch-orthodoxen Kirche, Metropolit Kiril von Smolensk, ist Favorit, aber auch das ohne Garantie. Konkurrenz kommt vor allem seitens des sehr aktiven und in der Masse beliebten konservativ-nationalistischen Lagers, wobei es bei ihnen keinen klaren Leader gibt. Mefod von Woronesch wurde ja vor knapp zwei Jahren vom mächtigen Kiril degradiert.

Vom liberalen Lager kommt niemand in Frage, da ja sein Einfluss immer geringer wird. Kiril selbst gehört zum pragmatischen Lager. Je nach den Umständen ist er mal liberal mal konservativ. Derzeit ist er der Ideologe des Antiliberalismus.

Die Furche: Ist die Beziehung zwischen Orthodoxie und russischer Staatsführung eindeutiger geworden?

Schaburow: Nein. Jelzin suchte besondere Beziehungen zur Orthodoxie. Putin schien pragmatischer. Der Staat zeigt keine Konsequenz gegenüber der russisch-orthodoxen Kirche, sie behält aber - entgegen der Verfassung - faktisch ihre privilegierte Position im Staat. Das byzantinische Modell wie vor 1918 hält sie für ideal, auch wenn sie offiziell für eine Trennung von Kirche und Staat eintritt.

Andererseits fand auch der Staat, da er nach dem Kommunismus eine Ideologie brauchte, Interesse an der Kirche, die ihre fertige traditionelle Ideologie in Form einer national-patriotischen Identität staatsbildend anbietet. In dieser Rolle kommt sie auch bei einem bedeutenden Teil der Bevölkerung an, obwohl nur drei bis fünf Prozent der Bevölkerung aktive Gläubige sind: laut Statistik bekennen sich mehr Leute zur Orthodoxie, als an Gott glauben.

Auf Regionalebene hat die russisch-orthodoxe Kirche bereits so etwas wie einen staatsreligiösen Status. Aber sie hat keine moralische Autorität, weil sie keine eigenständige Position einnimmt und immer der politischen Konjunktur nach dem Mund redet - sei es beim Antisemitismus, beim Tschetschenienkrieg, bei der Fremdenfeindlichkeit oder in der Causa Yukos.

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