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Gespräch mit der Loge?

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Die Kirche ist seit Leo XIII. in eine neue Phase eingetreten, die erst heute voll und ganz sichtbar wird. Von der Reformation an stand die Kirche in Defensivstellung. Sie suchte sich gegen alle ihr feindlichen Mächte zu verteidigen und zog sich immer mehr in die Festung der gesicherten Lehre zurück, führte den Kampf gegen falsche Lehren und Praktiken mit ihren Anathemen. Noch im Syllabus und auch im Vatikanischen Konzil tritt diese Haltung deutlich hervor. Seit dem Regierungsantritt Leos XIII. wird aber auch eine andere Haltung sichtbar: die Kirche beginnt sich wieder zu öffnen und mit der modernen Welt auseinanderzusetzen. So stellt sie ein neues Sozialprogramm auf, nimmt eine neue Haltung zur Wissenschaft, zur modernen Staatsform der Demokratie, zur modernen Auffassung der Freiheit ein.

Mit der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts wird diese Haltung noch viel deutlicher. Das Gespräch mit den übrigen christlichen Kirchen wird intensiver, vor das Trennende wird das Gemeinsame gestellt, und die Auseinandersetzung mit der Welt der Wissenschaft und Technik wird offenbar. Diese Offenheit tritt an vielen Stellen zutage, so vor allem auch in der Sozialenzyklika Johannes' XXIII. „Mater et magistra nostra“. Im einzelnen sucht die Kirche, deren geistige Autorität bedeutend gewachsen ist, überall die Begegnung und das Gespräch. Ja, man kann sagen: es ist nicht in erster Linie die Kirche, die dieses Gespräch sucht, sondern es sind die anderen, die bisher oft weitab von der Kirche standen und nun eine ernstere Begegnung mit ihr suchen.

Es ließen sich viele Beispiele solcher Begegnungsversuche anführen. Vertreter politischer Parteien, internationaler oder auch nationaler Organisationen die bisher in keinem Kontakt mit der Kirche standen, haben von sich aus die Fühlungnahme mit offiziellen oder inoffiztefle« .Veftretern ders- %fÄf jgHfVr genommen., Es ift/zu Ge,spräc$en ' gekommen, die da und dort schon fruchtbar geworden sind, oder wenigstens die Bereitschaft zu weiteren Auseinandersetzungen gefördert haben.

Unter den Katholiken ist diese Erkenntnis allerdings noch lange nicht durchgedrungen. Es gibt viele, die auch heute noch es lieber sähen, wenn die Kirche mit ihren scharfen Anathemen unübersteigliche Grenzen aufrichtete. Sie mögen wissen, daß die ganze moderne Entwicklung nicht diesen, sondern genau den entgegengesetzten Weg weist. Wie sehr man auch auf die Gefahren, die einer Verhandlungs- und Gesprächsbereitschaft zugrunde liegen, hinweist, dürfen wir, bloß um die Gefahr zu meiden, die Gesprächsbereitschaft kirchenfremder oder vielleicht sogar bisher kirchenfeindlicher Mächte nicht meiden.

Gehen wir auf einen konkreten Punkt ein: es ist das Problem der

Freimaurerei. Dieses Wort weckt bei vielen einen wahren Schrecken. Sie sehen hinter der Freimaurerei eine finstere Macht, eine Verschwörung gegen Thron und Altar, eine Macht, die über alles herrschen will. Es gibt eine Literatur über die Freimaurerei, die alles zusammenzutragen sucht, was ihr nur igendwie zur Last gelegt werden kann. Es kann zwar den Autoren dieser Werke nicht angelastet werden, daß sie einen absichtlichen Verleumdungsfeldzug veranstalten wollen; sie sind guten Glauhens. Anderseits aber können wir diese Literatur auch nicht einfachen billigen, denn sie kann sich nicht auf absolut gesicherte Quellen stützen. Wir leisten der Kirche und der Gesellschaft nur dann einen Dienst, wenn wir in jeder Hinsicht die Wahrheit suchen und die Wahrheit anerkennen. Wie immer die geschichtliche Entwicklung der Freimaurerei gewesen sein mag, welche Ziele sie in diesem oder jenem Land im 18. oder 19. Jahrhundert verfolgt haben mag — das kann heute nicht das Entscheidende sein. Sicher ist, daß die Freimaurerei weder in früheren Zeiten ein einheitliches Gebilde war noch heute es ist, ja heute weniger denn je. Es gibt sehr viele sichere Anzeichen dafür, daß in der Freimaurerei nach dem zweiten Weltkrieg ein nicht geringer Wechsel vor sich gegangen ist. Wenn wir auch nicht in der Lage sind, darüber ein ganz gesichertes Urteil abzugeben, so müssen wir doch wenigstens, um der Wahrheit treu zu bleiben, diese Tatsachen einmal anerkennen.

Im übrigen muß der Katholik wissen, daß die Kirche ihren Standpunkt gegenüber der Loge bis jetzt noch nicht geändert hat und daß auch von Seiten der Logen keine eindeutigen und klaren Anzeichen vorhanden sind für eine Änderung ihrer Prinzipien.

Verallgemeinerungen und Vereinfachungen werden meistens auch Verleumdungen. Die christliche Liebe verlangt ,-wenigstens, daß wir ehrliche Bemühungen zur Kenntnis nehmen und prüfen, daß wir Veränderungen, die vor sich gegangen sind, nicht einfach ignorieren.

Es soheint in dem angeführten Beispiel wie auch in anderen Punkten weniger die Haltung der Kirche zu ändern zu sein als vielmehr die Haltung mancher Katholiken. Eine zu starre und zu enge Haltung kann mehr schaden als nützen. Wir lehnen ja nicht eine genaue Prüfung der Aussagen und der Annäherungsversuche ab, sondern nur eine pauschale Ablehnung derselben und eine ebenso pauschale Aufrechterhaltung bisheriger Ansichten und Urteile.

Es ist ferner auch zu berücksichtigen, daß die Freimaurerei niemals in allen Ländern von derselben Geistesart war. Und dies gilt heute noch viel mehr. Wenn die Freimaurerei auch eine internationale Organisation ist, so ist sie doch in ihrer Geisteshaltung, vor allem aber in ihrer Einstellung zur Religion nach Ländern und Zeiten sehr verschieden und einem dauernden Wechsel unterworfen.

Wir beobachten ja schließlich und endlich auch in politischen Parteien, wie zum Beispiel im Sozialismus, der einmal in seiner marxistischen und daher antireligiösen Haltung einheitlich war, einen fortschreitenden Wandel, den wir Entideologisierung nennen. Entideologisierung kann allerdings auch als Befreiung von jeder ethischen, metaphysischen und religiösen Fundierung verstanden werden, vor allem in der Politik. In diesem Sinne ist die Entideologisierung nicht weniger gefährlich als die früheren Ideologien, denn so verstanden ist sie die Häresie des Indifferentismus. Dürfen wir an diesen Wandlungen achtlos vorübergehen? Hieße das nicht, an der Zeit, die wir zu wandeln haben, vorbeileben und damit die Verantwortung für die Zeit einfach ablehnen? Die Entideologisierung ist ein Prozeß, der sich heute sowohl in allen politischen Parteien wie auch in anderen Gruppen vollzieht.

Gesprächsbereitschaft und Kontakt-nahme mit geistigen Strömungen und Bewegungen, die uns bisher als antireligiös oder antikirchlich bekannt waren, heißt nicht die Wahrheit preisgeben oder von ihr abgehen. Die Kirche kann nicht von der Wahrheit abgehen. Sie kann nicht mit dem Irrtum Kompromisse machen, weil sie als Lehrerin der Völker von Gott selbst in diese Welt gestellt ist. Aber sie kann mit Menschen, die ihr ferne stehen und nicht ungeteilt ihre Lehre annehmen, sofern sie ihre Bereitschaft kundtun, in ein Gespräch eingehen. Das bedeutet noch kein Aufgeben der Wahrheit.

Der einzelne Katholik ist ja für diese Gespräche und ihren Ausgang nicht verantwortlich. Er kann auch von sich aus keine maßgebende Meinung abgeben. Dies steht ja allein den von der Kirche Beauftragten zu. Das einzige, was vom einzelnen Christen gefordert wird, ist die Bereitschaft, sowohl dem Handeln der Kirche wie auch den außerkirchlichen Mächten vorurteilsfrei gegenüberzustehen und nicht einseitig an einem vorgefaßten Standpunkt festzuhalten. Daß in unserer Zeit sich ein großer geistiger Wandel vollzieht, ist eine überaus erfreuliche und positive Tatsache. Wir dürfen uns jedoch darüber nicht wundern, daß weder hüben noch drüben alle diesen Wandel vollziehen. Geistige Wandlungen gehen nur langsam vor sich. Es steht noch nicht fest, wohin die Entideologisierung führen wird. Weder die Kirche noch irgendwelche außerkirchliche Mächte wollen mit ihrer Gesprächsbereitschaft sagen, daß ihre Positionen sich auf einmal geändert haben; wohl aber glauben sie, daß eine Revision dieser Positionen langsam vor sich gehen und beiden Teilen der ganzen Menschheit zum Vorteil sein kann.

Vom Gespräch bis zu Anerkennung ist ein weiter Weg zurückzulegen. Das Gespräch bildet den Anfang eines Versuches, dessen Ausgang noch lange nicht feststeht. Es müßte aber als Schwäche der Kirche gedeutet werden, wenn sie nicht bereit wäre zu einem Gespräch, das Außenstehende mit ihr führen wollen. Für uns hieße das an unserer eigenen Wahrheit zweifeln. Liegt es nicht in unserer Macht, gerade im Gespräch für die Wahrheit um das Recht zu kämpfen? Und ist diese Form des Kampfes nicht edler als die Bildung feindlicher Blöcke? Kein offener Katholik wird ferner so naiv sein und glauben, daß jemals alle Gegensätze beseitigt werden können und daß die Wahrheit in diesem Äon einen restlosen Sieg erringen wird. Trotzdem werden die wachen Katholiken offen bleiben.

Man wendet gegen diese Haltung ein, daß eine solche Gesprächsbereitschaft von Seiten der Kirche oder der Katholiken mit ihren Gegnern in den eigenen Reihen Verwirrung stifte und die Gefahr der Infiltration mit sich bringe. Gewiß können solche Gefahren nicht von vornherein geleugnet, wohl aber können sie gebannt werden. Und ist die Kirche gegen alle Gefahren gefeit? Sind nicht auch die direkten und offenen Angriffe der Feinde gegen die Kirche selbst für den Rechtgläubigen gefährlich?

Die Katholiken dürfen sich nicht zu einer Scheuklappenpolitik verleiten lassen. Sie müssen sich vielmehr von Tag zu Tag besser rüsten zur offenen Auseinandersetzung. Ghettogeist und Scheuklappenpolitik entsprechen nicht dem Geist des Evangeliums.

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