Gespür für die Zeichen der Zeit

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Das Heilige Jahr der Katholiken leitet sich unter anderem aus der jüdisch-biblischen Überlieferung des "Jubeljahres" her. Die christliche Tradition begründete ein mittelalterlicher Papst: Ihm und seiner Zeit ist eine Ausstellung in Rom gewidmet.

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Das Heilige Jahr der Katholiken leitet sich unter anderem aus der jüdisch-biblischen Überlieferung des "Jubeljahres" her. Die christliche Tradition begründete ein mittelalterlicher Papst: Ihm und seiner Zeit ist eine Ausstellung in Rom gewidmet.

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Er war jener Papst, der 1300 erstmals das Heilige Jahr proklamierte. Sein Pontifikat war vom Kampf des Papsttums um die Oberherrschaft über alle weltliche Macht maßgeblich geprägt: Bonifaz VIII. gilt als eine der schillerndsten Gestalten unter den Päpsten des Mittelalters.

Das Jubeljahr 2000 ist der Anlaß für eine große Ausstellung, die soeben im Palazzo Veneziaim Herzen Roms eröffnet wurde: "Bonifaz VIII. und seine Zeit". Die Ausstellung möchte aber nicht nur über das Leben und die Werke einer der umstrittensten Figuren der Kirchengeschichte informieren, sondern auch einen Einblick in den künstlerischen Reichtum Roms im 13. Jahrhundert bieten. Dafür wurden Exponate aus verschiedenen nationalen und internationalen Museen zusammengetragen.

Benedetto Caetani (1235-1303), wie Bonifaz VIII. vor seinem Papsttum hieß, hat die Kirchengeschichte stark geprägt: Die knappen neun Jahre seines Pontifikats sind - wie selten eine andere Zeit - sowohl von tiefgreifenden Veränderungen als auch von blutigen Konflikten gekennzeichnet. Er war von der absoluten herrscherlichen Gewalt des Papstes als Kirchenoberhaupt überzeugt, und zögerte nicht, als Schiedsrichter in das politische Geschehen einzugreifen oder auch persönliche Feinde, die gehaßte Familie Colonna etwa, zu verfolgen.

Rom um 1300, virtuell Die Proklamation des ersten römischen Jubeljahres am 22. Februar 1300 ist auf Bonifaz VIII. Gespür für die Zeichen der Zeit zurückzuführen. Dadurch reagierte er auf das gewachsene religiöse Empfinden vieler Christen, die angesichts der nahenden Jahrhundertwende in Scharen nach Rom gekommen waren. Daß dieses Ereignis zu einem festen Bestandteil der katholischen Tradition werden sollte, hatte Bonifaz VIII. wohl nicht ahnen können.

Die Ausstellung "Bonifaz VIII. und seine Zeit" knüpft an die facettenreichen Persönlichkeit Bonifaz an, um den Besuchern die Stimmung der damaligen Welt zu vermitteln. Marina Righetti Tosti-Croce, der Kuratorin der Ausstellung, ging es darum "auf eine virtuelle Art und Weise das Bild vom Rom des 13. Jahrhunderts nachzuzeichnen, um die Möglichkeit zu bieten, [...] sich einem der höchsten gewiß auch einem der am wenigsten bekannten - Momente des italienischen und europäischen Mittelalters zu nähern." Mit der Unterstützung eines wissenschaftlichen Komitees, geleitet von Angiola Maria Romanini, einer renommierten Expertin der mittelalterlichen Kunst, präsentiert Tosti-Croce den Besuchern das kulturell reiche und pulsierende Leben Roms, so wie es die ersten Pilger kennengelernt hatten.

Die Stadt befand sich Ende des 13. Jahrhunderts in einer goldenen Zeit, in der zahlreiche architektonische Werke realisiert und Künstler intensiv gefördert wurden. Die Stimmung war geprägt von starken internationalen Einflüssen, wozu nicht zuletzt auch Bonifaz VIII. beitrug: Noch als Kardinal kam er mit dem französischen Hof in Kontakt, dessen Ideen und Modelle nachhaltig sein künstlerisches Empfinden beeinflußten. Der Papst jedoch begründete Rom nicht nur aufs Neue als Zentrum des Glaubens und der Märtyrer. Er setzte auch einen wichtigen bildungspolitischen Impuls durch die Gründung der Universität, des "Studium Urbis", wodurch Rom erst eine Rolle im wissenschaftlichen Geschehen auszuüben begann, an der Seite bereits etablierter Universitäten wie jener in Paris oder in Bologna.

Die Ausstellung ist in sieben Abschnitte gegliedert. Sie beginnt mit einer reichhaltigen Sammlung von historischen Münzen, die wie Steinchen eines Puzzles die vielschichtigen Machtverhältnisse am Ende des 13. Jahrhunderts erahnen lassen. Es folgen Objekte mit engerem Bezug zur Person Bonifaz VIII., wobei vor allem zwei Fragmente des Mosaiks des päpstlichen Grabes hervorzuheben sind, die jeweils vom Puschkin Museum in Moskau und vom Brooklyn Museum in New York stammen. Sie werden zum ersten Mal gemeinsam ausgestellt. Erst Anfang des vergangenen Jahrhunderts tauchten diese Fragmente verstreut in internationalen Antiquariaten auf, nachdem Ende des 16. Jahrhunderts das Grab von Papst Bonifaz VIII. beim Abriß der konstantinischen Peterskirche in verschiedene Teile zersprengt worden war.

Der römischen Kurie ist der dritte Abschnitt der Ausstellung gewidmet. Zahlreiche Beispiele zeigen, welche wichtige Rolle die Kirche für die Entwicklung der Kunst übernommen hatte. Auch eine Serie von Siegeln mit verschiedenen religiösen Motiven ist zu sehen. Sogar der Chefkoch des Papstes hatte sein eigenes Siegel.

Modell des Lateran Der Künstler Arnolfo di Cambio (um 1245 - 1310) steht im Mittelpunkt des vierten Abschnittes. Der Schüler Nicola Pisanos war ein hochgeschätzter Bildhauer und Architekt. Italienreisende treffen seine unverwechselbaren Werke immer wieder, beispielsweise in Perugia oder in Orvieto.

Sehr unterschiedliche Objekte werden zum Thema "Antikes und Modernes in der Stadt [Rom]" gezeigt, alle mit der Absicht, Eindrücke der urbanen Realität zu Beginn des 14. Jahrhunderts zu vermitteln. Besonders aussagekräftig ist das Modell des mittelalterlichen Laterans, das erstmals 1911 im Rahmen der Weltausstellung gezeigt wurde. Dank seiner Größe - 2,3 mal 3,6 Meter - ist es möglich gewesen, die Bauten rund um die Basilika von San Giovanni im Detail darzustellen. Die letzten zwei Abschnitte zeigen Zeugnisse des christlichen Roms: Statuen, Truhen und zahlreiche Manuskripte aus Museen in- und außerhalb Italiens.

Die Ausstellung "Bonifaz VIII. und seine Zeit" ist in ihrer Vielschichtigkeit und ihrem Umfang äußerst sehenswert. Nicht zuletzt deshalb weil anläßlich des Jubeljahres 2000 eine beeindruckende Fülle an Material zusammengetragen wurde. Die langen Öffnungszeiten - am Freitag und Samstag sogar bis 23 Uhr - erleichtern einen Besuch, sei der Aufenthalt in Rom auch noch so verplant.

Die Ausstellung im Palazzo Venezia in Rom ist bis16. Juli am Sonntag sowie Dienstag bis Donnerstag von 9 bis 19 Uhr, Freitag und Samstag von 9 bis 23 Uhr geöffnet.

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