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Als vor 50 Jahren, am 13. August 1961, die Berliner Mauer errichtet wurde, teilte sie die Welt in eine westliche und östliche Hemisphäre. Die Teilung der Stadt riss Familien auseinander; Hunderte kamen bei der Flucht in den Westen ums Leben. Wie ein Stachel im Fleisch Osteuropas wurde sie zum Symbol des Kalten Krieges und ließ Europa 28 Jahre lang erstarren.

Es ist Montag abends im Juli 1982, in einem Waldstück in West-Berlin. Eine kleine Gruppe von Journalisten wird Zeuge, wie der 27-jährige Absolvent der Kunsthochschule Stephan Elsner mit Hammer und Meißel ein acht Quadratmeter großes Loch in eine Mauer stemmt und es mit einer blutroten Malerei auf Plastikfolie ausfüllt. Die "Grenzverletzung“, wie er seine Kunstaktion nennt, ist lebensgefährlich, weil es sich bei dieser Mauer um die DDR-Grenzsperranlage handelt. Elsner hat Glück. Nicht die DDR-Grenzer, sondern eine britische Besatzungspatrouille nimmt ihn fest und übergibt ihn der West-Berliner Polizei, die ihn wenig später freilässt.

Erste Mauertote: Ida Siekmann

Andere Grenzverletzungen sind nicht so glimpflich abgegangen. Allein an der Berliner Mauer starben mindestens 136 Menschen, andere Berechnungen gehen von der doppelten Zahl aus.

Die erste Mauertote war Ida Siekmann, die am 22. August 1961 beim Sprung aus einem Fenster in der Bernauer Straße starb. Zwei Tage später erschossen Transportpolizisten der DDR den 24-jährigen Günter Litfin, als er versuchte, schwimmend West-Berlin zu erreichen. Der 18-jährige Maurergeselle Peter Fechter wurde 1962 beim Fluchtversuch angeschossen und blieb bewegungsunfähig im Todesstreifen liegen, wo er nach stundenlanger Qual verblutete. Mit 40 Schüssen wurden im Jahre 1966 zwei Kinder im Alter von 10 und 13 Jahren im Grenzstreifen getötet. Und noch wenige Monate vor dem Mauerfall besiegelten Todesschüsse das erst 20-jährige Leben des Chris Gueffroy. Die beteiligten Grenzsoldaten erhielten das Leistungsabzeichen der Grenztruppen und wurden mit je 150 Mark Prämie ausgezeichnet.

Noch am 15. Juni 1961 hatte DDR-Staatsratsvorsitzender Walter "Spitzbart“ Ulbricht in einer internationalen Pressekonferenz mit überkippender Stimme beteuert: "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ Dabei lagen jedoch die Pläne zur "Operation Chinesische Mauer“ (DDR-Jargon) längst umsetzungsreif in der Schublade.

Jüngere flüchten in den Westen

Seit Kriegsende waren nämlich rund dreieinhalb Millionen Menschen aus der Sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR in den Westen geflohen. Obwohl die DDR ihre Grenzen nach Westdeutschland seit 1952 mit Zäunen, Bewachung und Alarmvorrichtungen sperrte. Nur die in Sektoren geteilte Stadt Berlin blieb als Schlupfloch offen. Die Sektorengrenze zu passieren, ist relativ ungefährlich. Allein in der ersten Jahreshälfte 1961 machen 125.000 Flüchtlinge davon Gebrauch. Und da vor allem jüngere, gut ausgebildete Menschen dieses Wagnis eingehen, droht der Arbeiter- und Bauernstaat auszubluten.

Da rücken in der Nacht auf Sonntag, den 13. August 1961 15.000 Mann aus und riegeln den Ostsektor mit Stacheldraht und Panzersperren ab. Bewaffnete Grenzpolizisten reißen mitten in Berlin das Straßenpflaster auf, Asphaltstücke und Pflastersteine werden zu Barrikaden aufgeschichtet, Betonpfähle eingerammt und Stacheldrahtverhaue gezogen. Die Absperrung läuft mitten durch Berlin. Geschütze und Panzer fahren auf, der S-Bahn-Verkehr zwischen den Westsektoren Berlins und der DDR wird unterbrochen, Straßen, Plätze und Häuser werden geteilt. Wenige Tage später wird der Stacheldraht durch eine Mauer aus Hohlblocksteinen ersetzt. Als der Morgen graut, ist die Grenze dicht. Politisch schon lange geteilt, ist Berlin nun auch faktisch getrennt.

Dramatische Szenen spielten sich ab: Familien wurden auseinandergerissen, Schüler von ihren Schulen und Gläubige von ihren Kirchen getrennt. Über 50.000 Ost-Berliner verloren ihre Arbeitsplätze im Westen. Fassungslos und verzweifelt standen sich West- und Ostberliner auf beiden Seiten der Grenze gegenüber. Auf der Ostseite halten Kampfgruppen und Volkspolizei die Umstehenden mit Maschinengewehren in Schach, in West-Berlin schirmt die Polizei die Grenzanlagen vor den aufgebrachten Bürgern ab.

Die Mauer sollte für die nächsten 28 Jahre die politische Spaltung Deutschlands und Europas zementieren. Sie wurde weltweit zum Symbol für den Kalten Krieg, der die Welt politisch in eine östliche und eine westliche Hemisphäre teilte, und zum Symbol für den Bankrott einer Diktatur, die ihre Existenz nur dadurch zu sichern vermochte, dass sie ihre Bevölkerung in Geiselhaft nahm.

Der Status quo der europäischen Nachkriegsgeschichte war besiegelt. Und der bedeutete für die 16 Millionen im Osten verbliebenen Deutschen: Alleinherrschaft der Sozialistischen Einheitspartei (SED); willkürliche Machtausübung durch bürokratische Apparate; Unterdrückung jeder freien Diskussion durch politische Kontrolle, Zensur und Geheimpolizei; zentralistische Planung und Leitung der zu großen Teilen verstaatlichten Wirtschaft durch eine riesige Wirtschaftsbürokratie; Gleichschaltung der Medien.

Für Investoren war Berlin riskant

Für die Westberliner bedeutete der Status: Ihre Freiheit hing auf Gedeih und Verderb von der Entschlossenheit der westlichen Schutzmächte, vor allem der USA, ab, die Teilstadt zu verteidigen - selbst unter dem Risiko eines Dritten Weltkriegs; ihre Wirtschafts- und Steuerkraft hing zu zwei Dritteln "am Tropf der Bundesrepublik“; ihre Infrastruktur musste innerhalb kürzester Zeit ausgebaut werden, um die größtmögliche Unabhängigkeit vom Umland zu erzielen; ihre Bewegungsfreiheit war extrem eingeschränkt, und alle Verflechtungen mit dem anderen Teil der Stadt waren auf Dauer gekappt.

Trotz allen Leids, das die Mauer über die Menschen brachte, trat in der Folge eine gewisse Beruhigung der Lage ein. Dennoch war das Leben im eingemauerten Westteil alles andere als normal. Ob es die Transitwege, der Schienenverkehr oder die Müllentsorgung waren, stets war man der Willkür der DDR ausgeliefert. Und der Wirtschaft fehlten die freien Zugänge zu den Märkten. Von West-Berlin verlagerten nach dem Mauerbau viele Großunternehmen ihre Hauptverwaltungen, Forschungs- und Entwicklungsabteilungen an andere Standorte in der Bundesrepublik Deutschland. Für Investitionen galt Berlin als zu riskant.

Und weil die Teilstadt nicht an den westdeutschen Stromverbund angeschlossen war, führten Preissteigerungen für Strom zur Erhöhung der Betriebskosten, die in den hier ansässigen Industriezweigen besonders zu Buche schlugen.

1989 war die Geduld zu Ende

Doch die Berliner hielten durch. So wie sie die Verwüstungen des Bombenkrieges überwunden, wie sie den Hungerwinter der sowjetischen 48er-Blockade durchgestanden und wie sie letztlich auch den Mauerbau relativ ruhig erduldet hatten, so hielten sie auch die folgenden drei Jahrzehnte durch.

Bis 1989 die Montagsdemonstranten in Leipzig, Dresden und Ost-Berlin quasi mit ihren Schultern die Mauer eindrückten. Deshalb bezeichnen manche Historiker den 9. November 1989 als das eigentliche Ende des Kalten Krieges. So wie das zugemauerte Brandenburger Tor lange Zeit das Symbol des Ost-West-Konflikts war, so war dessen Öffnung auch Symbol für einen neuen, friedlicheren Frühling in Europa.

Künftige Generationen werden erkennen, dass nur das eingeschlossene West-Berlin die deutsche Frage am Leben erhalten hat. Der unnatürliche Zustand einer zerrissenen Stadt war wie ein Stachel im Fleisch Osteuropas. Er hat die Wunde der europäischen Teilung niemals ganz abheilen lassen. Erst mit der Wiedervereinigung der Stadt wurde das Zusammenwachsen Europas möglich.

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