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Gewaltlosigkeit — christlich?

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Gegen den „gewaitlosem Wid erstand“, der sich nicht auf die Überlegenheit physischer Macht stützt, sondern das Böse durch das Gute zu überwinden und den Gegner notfalls durch Verweigerung der Mitarbeit und strikte Solidarität der Verfolgten au überzeugen sucht, werden auch von christlicher Seite zwei grundsätzliche Einwände vorgebracht.

Der eine behauptet, daß es überhaupt keine echte Gewaltlosigkait — die ja nicht mit Wehrlosigkeit verwechselt werden darf —, sondern nur Abstufungen der Gewalt gäbe; jede Pression, auch die moralische, erst recht der passive Widerstand oder gar Streik und Boykott, trachte den Gegner ebenfalls zum Nachgeben zu zwingen. Da nun also keine Methode an sich „gut“ sei, könne man sehr wohl auf dem Standpunkt stehen, auch die wirksamste Abwehr einer Aggression, also die mit den stärksten Waffen, sei, weil sie den Kampf abkürze, christlich vertretbar. Wer dies zugeben wollte, sähe sich sofort der Frage gegenüber, ob nicht auch ein Angriff, der einer mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Aggression zuvorkomme, vertretbar sei. Dies bejahen heißt, jede Gewaltan Wendung jeden Ausmaßes tolerieren! Was das bei dem heutigen Stand der Rüstung bedeutet, muß nicht erläutert werden.

Gewiß, auch die Mittel, von denen der „gewaltlose Widerstand“ Gebrauch macht, sind nicht „absolut gut“. Was aber schlechte und darum unter allen Umständen verwerfliche Mittel sind, läßt uns der gottgegebene Maßstab der Zehn Gebote erkennen. Die Achtung vor dem Leben und dem Besitz des Mitmenschen ist im Dekalog begründet. Und zwar ohne Rücksicht darauf, ob jener das Leben „verdient“, also ein „wertvolles Mitglied der menschlichen Gesellschaft“ ist, ob er seinen Besitz erarbeitet oder ererbt hat Man darf ihn weder töten noch bestehlen. Auch nicht, um seine Frau, seine Kinder und Diener von einem unerträglichen Tyrannen zu befreien; auch nicht, um sein Land, das er brach liegen ließ, zu einem „blühenden Garten“ zu machen!

Wenn aber 'unantastbare menschliche Rechte von einem Machthaber bedroht werden, soll gewailtloser Widerstand einsetzen. Mag auch ein Streik einer Erpressung nahekommen, ein Boykott ein wirtschaftliches Zwangsmittel darstellten, beide Methoden werden dann als erlaubt gelten dürfen, wenn ihre Anwendung nur den Gewinn, nicht die Person und die Existenz des Gegners bedroht. Auch ein Schweigemarsch, ein Sitzstreik oder sonstige Solidaritätskundgebungen können zuweilen mehr durch zahlenmäßige als moralische Überlegenheit zum Erfolg führen; da aber diese Mittel persönliche Verantwortung und grundsätzliche stellvertretende Leidenschaftsbereitschaft voraussetzen, wird ihr Einsatz ohnedies nur in wirklichen Notfällen durchgeführt werden! Jedenfalls aber geschieht das Unwiderrufliche nicht, welches jede Kluft vergrößert und Versöhnung verhindert: Der Gegner wird nicht getötet. Er soll nicht „ausradiert“, sondern zur Einsicht gebracht, im schlechteren Fall zum Nachgeben gezwungen, im besten zur Mitarbeit gewonnen werden!

Nur Kasuistik?

Nunmehr erhebt sich ein zweiter Einwand. Diese Methode, sollte sie tatsächlich zum Erfolg führen, wo-' für es Beispiele gäbe, aber keine Garantie, da ja jeder neue Konflikt „anders gelagert“ sei, wäre zwar vernünftig und wahrhaft human. Jedermann hoffe, daß die Menschheit im Laufe der Jahrhunderte so weit heranreifen werde, um Streitfälle auf diese Weise auszutragen ... Aber auf Christos dürften sich ihre Anhänger doch nicht berufen! Denn wer das tue, der müsse dem Gegner einfach .„die andere Wange riinhaiten“ und .dem Räuber des Mantels auch noch den Rock geben! Alles andere sei Kasuistik. In der Bergpredigt lasse sich nicht die leiseste Anregung finden, die man zu Streikrecht und passivem Widerstand ausbauen könne! Gerade Christos erkenne ja den Unterschied zwischen Gefühl njjnd Tat nicht an: Wer den Bruder haßt, ist bereits ein Mörder, wer das Weib des anderen begehrlich betrachtet, ist ein Ehebrecher! Was soll da, unter Berufung auf Ihn, diese ganze Spekulation über zulässige und unzulässige Mittel? Wir sind und bleiben Sünder, und es ist die ungeheuerlichste Anmaßung, ein Paradies auf Erden anzustreben!

Und damit glaubt man bewiesen zu haben, daß die Forderungen Christi einfach unrealdsierbar sind und für das praktische Leben, insbesondere für Politik und Wirtschaft, keine Geltung haben können. Man atmet erleichtert auf.

Keine Dispens vom Dekalog

Freilich sind Christi Weisungen gültig für alle, die nach Heiligkeit streben. Aber der Aufstieg erfolgt über die unteren Stufen zu den oberen. Darum kann auch keiner Pflichten abwerfen, ohne höhere Pflichten zu übernehmen. Für uns mögen wir, wenn wir durch Gottes Gnade dazu imstande sind, auf jede Verteidigung verzichten. Schutzbefohlene aber haben wir zu verteidigen, wie ja auch der Hausvater wacht, um den Dieb in der Nacht zu verscheuchen! Und dafür kann, in Übereinstimmung mit dem göttlichen Gebot, nur der gewaltlose Widerstand in Frage kommen.

Wer könnte frivol genug sein, allen Ernstes zu behaupten, Christus habe gemeint, wir sollen unseren Feind getrost umbringen, sobald wir Zorn gegen ihn fühlen? Oder wir dürfen uns flugs aneignen, was uns von „Haus, Hof, Weib, Vieh“ unseres Nachbarn gefault, da wir ihn sowieso dairum beneiden?

Die Gültigkeit des Dekalogs war für Christus und Seine ganze Umgebung so selbstverständlich, daß sich jede Argumetation erübrigte. Jenen, die „Ohren hatten, zu hören“, zeigte Er den steileren, kürzeren, sicheren Weg zur Seligkeit. Aber weder diese noch die anderen hat Er von der Einhaltung der Zehn Gebote dispensiert!

Und daß Er kein Rigorist war, welcher unter allen Umständen „alles oder nichts“ verlangte, muß jedem Mar werden, der Seine Gleichnisse aufmerksam durchdenkt: schon die Geschichte vom Verlorenen Sohn, vor allem die zunächst beinahe anstößige Parabel vom Ungetreuen Verwalter sollte ihn stutzig machen!

Nein, unter Berufung auf Christus kann sich niemand weigern, bessere Methoden, selbst wenn sie nicht „absolut gut“ sind, an die Stelle verwerflicher zu setzen! Nehmen wir uns doch ein Beispiel am Barmherzigen Samariter, der einfach tat, was er konnte!

Und selbst ein Mann, der nur gelegentlich der Caritas einen Scheck sendet, um sich „Freunde au machen mit dem ungerechten Mammon“, darf vielleicht eher auf Seine Milde vertrauen als diejenigen, welche keinen Versuch unternehmen, keinerlei Risiko eingehen wollen, sich selbst und damit die Welt zu andern, weil sie „Realisten“ sind und „keine Illusionen“ haben! Aus lauter Respekt vor der Absolutheit der Forderungen Gottes kapitulieren sie widerstandslos vor dem Fürsten dieser Welt... Glaube ohne Hoffnung kann zu keinem anderen Ergebnis führen.

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