Glaube und Gewissheit

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Katholiken und politisches Engagement: Ein vatikanisches Dokument gibt Antworten - und lässt Fragen offen.

Gott hat Konjunktur. Am deutlichsten wird das angesichts der Debatte um einen religiösen Bezug in einer künftigen EU-Verfassung. Aber da ist weit mehr: In einer umfassenden Perspektive wird man nicht übersehen können, dass die Ereignisse des 11. September 2001 die Sensibilität für den Grenzbereich zwischen Politik und Religion generell - also nicht nur den Islam betreffend - unerhört geschärft haben.

Politik und Religion: Wer hätte das gedacht! Das war selbst bei Hardcore-Katholisch-Intellektuellen kaum noch mehr als eine Pflichtübung in Erinnerung an die eigene Sozialisation in einschlägigen Zirkeln der sechziger, siebziger und frühen achtziger Jahre. Nun ist das alte tema con variazioni wieder da. Religion als identitätsstiftende Kraft, als Haltegriff in einer als unübersichtlich empfundenen Welt, als letzte Rückversicherung angesichts erodierender ethischer Gewissheiten.

Auch an Österreich ist die Diskussion nicht spurlos vorübergegangen: Diverse Signale der ÖVP an katholische Kernschichten wurden aufmerksam registriert - auch wenn klar ist, dass eine 40-Prozent-plus-Partei ihre Strategie nicht darauf aufbauen kann. Dennoch machte bei Kritikern das Wort von der "Rekatholisierung der Politik" die Runde, während etwa der Publizist Fritz Csoklich vor dem Hintergrund der veränderten Verhältnisse die Katholiken zu neuem Engagement und zur Einmischung in politische Angelegenheiten aufrief (Furche Nr. 50/02, S. 3).

Was aber könnte katholische Politik bedeuten? Wer ist ein katholischer Politiker? Köpfe fallen einem da ein - Stoiber, Schüssel, Prodi etwa. Doch wie lässt sich das inhaltlich bestimmen? Ein kürzlich präsentiertes Dokument des Vatikans setzt sich - ganz der geistigen Großwetterlage entsprechend - genau mit diesen Fragen auseinander. Es handelt sich um eine Art Leitfaden für "Katholiken im politischen Leben" (siehe auch Seite 6), der "grundlegende, unaufgebbare ethische Forderungen" in Erinnerung rufen möchte, bei denen der "Kern der moralischen Ordnung auf dem Spiel steht": Kampf gegen Abtreibung und Euthanasie, Schutz des Embryos (eigens neben der Abtreibung angeführt, wohl im Hinblick auf Embryonenforschung und andere bioethische Themen der jüngsten Zeit), Schutz von Ehe und Familie - aber auch Kampf gegen Ausbeutung, Einsatz für eine gerechte Wirtschaftsordnung sowie für den Frieden.

Der Spielraum, den diese "lehrmäßige Note" katholischen Politikern lässt, ist - trotz aller Betonung der Gewissensfreiheit - ziemlich eng. Dazu kommt, dass diese "unaufgebbaren ethischen Forderungen" zwar, so wird suggeriert, Katholiken in besonderer Weise aufgetragen, aber nicht nur aus dem Glauben heraus begründbar sind, weil sie letztlich "in der Natur des Menschseins selbst" wurzeln. Damit freilich müssten sie allen Menschen "guten Willen" einsichtig sein - womit sich weitere Diskussionen eigentlich schon fast erübrigten.

Um nicht missverstanden zu werden: Aus einer christlichen Perspektive wird man selbstverständlich an den genannten Grundzielen festhalten wollen. Doch besteht ja, erstens, im Falle von Gerechtigkeit und Frieden der Dissens nicht bezüglich der Ziele, sondern der Wege dorthin. Die aber lassen sich weder aus dem Glauben noch aus dem "natürlichen Sittengesetz" herleiten. Was aber, zum anderen, jene Themen angeht, die wohl unmittelbarer Anlass für das vatikanische Schreiben waren, so haben gerade die bioethischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre gezeigt, dass jene Eindeutigkeit und Klarheit, die das Dokument einmahnt, wohl nicht anders zu haben ist, als in einem transzendentalen Rückgriff auf "Gott als Herren des Lebens". Die moderne Gesellschaft als ganze kennt diesen Rückgriff nicht; ob es ihn für gläubige Menschen - die Paul Weß zufolge heute immer "bekümmerte", verunsicherte Gläubige sind - geben kann, muss jeder selbst entscheiden.

rudolf.mitloehner@furche.at

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