Glaube wie ein Fallbeil

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Zum 120. Geburtstag am 3. Juli:Religiöse Spuren im Werk Kafkas.

Was habe ich mit Juden gemeinsam? Ich habe kaum etwas mit mir gemeinsam und sollte mich ganz still, zufrieden damit daß ich atmen kann in einen Winkel stellen. Es war Anfang Jänner 1914, als Franz Kafka diese Zeilen ins Tagebuch schrieb. Die bedrückende Geschichte "Der Verschollene", die den ausweglosen Weg eines Jugendlichen nach Amerika erzählt, auch er mochte Freiheit gesucht haben, lag schon hinter ihm; ebenso die in einer Winternacht des Jahres 1912 niedergeschriebene, groteske Kurzgeschichte "Die Verwandlung". Verhängnis und Ausweglosigkeit, verknotet mit furchtbar engen biografischen Verhältnissen, für die sich der schmale Franz Kafka zu dick fühlte, machten ihm bewusst, wie wenig Lebensraum er hatte.

Verhängter Atemraum

Doch dem Mann, der keine dauerhaften, tragenden Gemeinsamkeiten mit Anderen entdeckte, schien es, als böte ihm das Judentum einen Ausweg an, einen Atemraum wenigstens, wenn er auch von ihm beinah nichts mitbekommen hatte außer Formalismen und leeren Übungen, die zudem sein überkräftiger Vater ins Lächerliche zog. Und doch hatte er Motive gefunden, die ihn das Judentum bewundern ließen: Die schönen kräftigen Sonderungen im Judentum. Man bekommt Platz. Man sieht sich besser, man beurteilt sich besser.

In den Spannungen des Judentums sah Kafka ein Versprechen, das ihn aus den engen Gassen seiner Ausweglosigkeit lösen könnte. Zwischen die verschiedenen Ausformungen und Zugangsmöglichkeiten zum Jüdischen legte sich ein offener Raum, der so viel versprach an Lebensmöglichkeiten und der doch wieder eingeholt wurde durch die Düsternis des Alltäglichen. Gegen sie hatte er nicht nur das gehalten, was er am Judentum entdeckt hatte, sondern im Verband damit auch eine hartnäckige Skepsis. Sie war die schwache Kraft seiner Neinsage, die ihm verblieb und deren Herkunft er in klarer Selbstschau so auslegte: Geringe Lebenskraft, mißverständliche Erziehung, Junggesellentum ergeben den Skeptiker, aber nicht notwendig, um die Skepsis zu retten heiratet mancher Skeptiker wenigstens ideell und wird gläubig.

Zerfurchtes Judentum

Skepsis: Auch sie drängte sich ihm nicht auf. Sie konnte sich ebenso entziehen wie alle Lebenswirklichkeiten und -möglichkeiten, die ihm wichtig werden konnten. Es ist kein Zufall, dass in diesem Aphorismus - wohl im Winter 1919/20 geschrieben, als für Kafka eine Liebesbeziehung zerfällt und eine neue anhebt - Heirat und Glaube miteinander ausgelegt werden sollen und durch beides die Paradoxie der Skepsis ansichtig wird: Rettung der Skepsis durch Bindung eines Glaubens. Was vor Jahren als Raum erhofft worden war, ist zusammengeschrumpft auf einen Widerspruch, in dem die vormalige Ausweglosigkeit jetzt auch auf der Ebene des Glaubens sich reproduziert. Der Atemraum von gestern ist verbraucht, die Tuberkulose, die Kafka im Jahr 1917 diagnostiziert erhielt, hat die Hoffnungen auf Luft verpuffen lassen.

Und so fand Kafka denn auch Widersprüche in dem Judentum auf, das er gesucht hatte und in dem er sich so unverwandelt wieder erkannte. Dass er sich in ihm besser sehen konnte, bedeutete jetzt, dass das Judentum ihm nun schärfer gegenüberstand und ihm das Verhängnis spiegelte, in dem er selbst sich vorfand. Auf den einstigen Ausweg und Ausblick fällt schon im Jahr 1915 Bitternis, wenn Kafka an das große Zielbild jüdischer Verheißung denkt, an die endlose Mehrung der Glaubenden: Es ist eine bittere Auslegung einer biblischen Verheißung. Es heißt wir werden sein wie der Sand am Meer und die Sterne am Himmel. Nun, getreten wie der Sand sind wir schon, wann wird das mit den Sternen wahr werden? In all seinen Jahrhunderten hat das Judentum an Alter gewonnen. Doch seine akkumulierte Geschichte weist kaum auf Erlösung. Bleibt als Möglichkeit das Christentum?

Auch das bot für Kafka nichts Lebensbejahenderes an. Ein einfacher Seitenblick auf die protestantische Theologie der Hoffnung schenkte ihm keine Erleichterung, ihm, dem Meister der Wörtlichkeit, der sich durch keine Metaphorik täuschen ließ. Dort heißt es, die Seligkeit des Menschen komme mit seiner Rechtfertigung daher. Kafka bedrückte das mehr als der glasklare Blick auf die Sünde und ihre Schrecken. Viel bedrückender als die unerbittlichste Überzeugung unseres gegenwärtigen sündhaften Standes ist selbst die schwächste Überzeugung von der Rechtfertigung unserer Zeitlichkeit in der Ewigkeit. Nur die Kraft im Ertragen dieser zweiten Überzeugung welche in ihrer Reinheit die erste voll umfaßt ist das Maß des Glaubens. So wird der Glaube zu einer wieder paradoxen Überforderung, die Kafka im Bild des Fallbeils verdichtet hat: Der Glaube, wie ein Fallbeil so schwer, so leicht.

Ein religiöser Fremdling

Auch religiös stand Kafka vor verschlossenen Türen und verhängten Fenstern, ein Fremdling, der an den Rändern herumzieht ohne gute Lebensmöglichkeiten. Im Jahr 1917/18 zieht er eine bedeutende Summe, verbunden mit einer Ansage, die zu den Dunkelsten in seinem Werk gehört: Ich habe von den Erfordernissen des Lebens gar nichts mitgebracht, so viel ich weiß, sondern nur die allgemeine menschliche Schwäche ... Ich bin nicht von der allerdings schon schwer sinkenden Hand des Christentums ins Leben geführt worden wie Kierkegaard und habe nicht den letzten Zipfel des davonfliegenden Gebetmantels noch gefangen wie die Zionisten. Ich bin Ende oder Anfang. Dem hohen Wort von Alpha und Omega, im Christentum mit Christus verbunden, steht Kafka doppelt entgegen, und beides verneint die überkommenen religiösen Möglichkeiten: Zum einen kehrt er die Reihenfolge direkt um und weist wahrscheinlich auf den Abbruch, der geschehen ist. Kein Weg mehr. Zum andern baut sich vom Omega zum Alpha nicht mehr die Brücke des Und, sondern wieder der Bruch des Oder. Statt der Bögen der Vollendung des Ganzen die Splitterung schon des Einzelnen. Keine Auffahrt, kein Hingang zu Gott, kein Licht, das einlädt, nur das gefährliche Gefackel am Dornbusch. Der Dornbusch ist der alte Weg-Versperrer. Er muß Feuer fangen, wenn Du weiter willst.

Letzter Blick

Doch im Unterschied zu so vielen Abgesängen auf Gott, Mensch und Welt gelangte Kafka wie mit einem letzten Blick auf einen letzten Weg und Ausweg. Irgendwie hat sich in ihm der Gedanke an etwas Unzerstörbares erhalten, das ihm im Glauben Sein versprochen hat. Und so umschreibt er Glaube auf folgende Weise: Glaube heißt: das Unzerstörbare in sich befreien oder richtiger: sich befreien oder richtiger: unzerstörbar sein oder richtiger: sein. Ohne diesen Glauben an sich und das, was ihn in allen Fährnissen erhält, gibt es kein Leben. Der Mensch kann nicht leben ohne ein dauerndes Vertrauen zu etwas Unzerstörbarem, wobei sowohl das Unzerstörbare als auch das Vertrauen ihm dauernd unbekannt bleiben können. Eine der Ausdrucksmöglichkeiten dieses Verborgen-Bleibens ist der Glaube an einen persönlichen Gott.

Auch hier bleibt alles noch einmal widersprüchlich, weil es einen letzten Durchblick noch nicht gibt. Dieser mag dann wirklich werden, wenn ein Mensch ganz durchsichtig geworden ist wie das Licht vom Licht und alles von sich getan hat, was er als Widerstand dem Ewigen entgegenhalten kann. Wer zu ihm kommt, betritt vielleicht zum ersten Mal das Allerheiligste. Dafür weiß Kafkas letzter Blick vielleicht das Entscheidende: Vor dem Betreten des Allerheiligsten mußt Du die Schuhe ausziehn, aber nicht nur die Schuhe, sondern alles, Reisekleid und Gepäck, und darunter die Nacktheit, und alles, was unter der Nacktheit ist, und alles, was sich unter diesem verbirgt, und dann den Kern und den Kern des Kerns, dann das Übrige und dann den Rest und dann noch den Schein des unvergänglichen Feuers. Erst das Feuer selbst wird vom Allerheiligsten aufgesogen und läßt sich von ihm aufsaugen, keines von beiden kann dem widerstehen.

Das wäre die Seligkeit, die Kafka in all seinen religiösen Wegen gesucht hat und die als sein Vermächtnis übrig geblieben ist: die Attraktion des namenlosen Gottes, mit dem von jeher das Versprechen verbunden war, dass das Leben der Menschen erleuchtet, erleichtert, erhoben, erlöst werden wird.

Der Autor ist Professor für Fundamentaltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.

BUCHTIPP:

Mensch und Gott im Schatten. Franz Kafka und Franz Werfel - Konturen des Exodus.

Von Wolfgang Klaghofer. Peter Lang Verlag, Bern 2000. 209 seiten, kt., e 41,30

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