Glauben ist ein Risiko

Werbung
Werbung
Werbung

Furche Nr. 23/4. Juni 1980

Schon vor 25 Jahren bewegte das Gespräch zwischen Naturwissenschaft und Religion, wie nachstehender Beitrag des Wiener Computerwissenschafts-Pioniers Heinz Zemanek zeigt:

Es ist nicht die Aufgabe der Religion, naturwissenschaftliche Fragen zu beantworten, aber sie hat es getan, und sie ist keineswegs unfähig dazu. Die Theologen sind allzu kleingläubig geworden. Natürlich konkurriert die biblische Beschreibung nicht mit jener, die sich aus der Anwendung mathematischer Theorien ergibt.

Mir kommt vor, daß die Schöpfungsgeschichte der Genesis nicht nur stabiler, sondern für das Volk der Gläubigen nützlicher ist als die Ergebnisse der Kosmologien. Wenn er die nötige Geduld und das feste Vertrauen hat, wird der gläubige Christ gelassen warten, bis die Naturwissenschaft genügend Einsicht hat, um zu erkennen, daß die biblische Schilderung zu ihren Fakten paßt. [...] Das Christentum bietet seit 2000 Jahren nicht nur Trost und Ausweg an. Es darf feststellen, daß Naturwissenschaft und Technik von heute in seiner Geisteswelt aufgewachsen, von seiner Transzendenz getragen worden sind. Man vergißt sehr gerne, daß die Kardinäle, die Galilei gegenüberstanden, ebensosehr die Naturwissenschaft vertreten haben wie die Kirche.

Erst später hat die Naturwissenschaft eine glaubensunabhängige und glaubensfeindliche Mentalität entwickelt, was nicht so klug war, wie die Protagonisten dieser Entwicklung glaubten. Stellen wir doch einmal das Verhältnis zwischen Wissen und Glauben in das Licht einer ... sprachlichen Betrachtung. Wissen heißt, etwas erfahren haben und für verläßlich halten als Tatsache oder als logischen Schluß (ich weiß, daß es gestern geregnet hat). Das Wort glauben hat eine etwas diffizilere Semantik, es vermag nämlich sowohl Zweifel wie auch Vertrauen auszudrücken. Es kann erstens bedeuten, daß man einer Tatsache nicht ganz sicher ist (ich glaube, daß es gestern geregnet hat) und zweitens, daß man Vertrauen in die Tatsachenmitteilung eines anderen hat (ich glaube dir, daß es gestern geregnet hat).

Glauben vermag aber auch noch weit höhere Verhältnisse auszudrücken: das Vertrauen in einen Menschen ganz allgemein (ich glaube an dich) und in den Schöpfer (ich glaube an Gott - im Gegensatz, zu: ich glaube schon, daß es Gott gibt). [...] Man kann die objektiven, auf das Meßbare reduzierten Befunde der Naturwissenschaft für die einzige legale und akzeptable Wahrheit halten. Aber einer solchen Anschauung steht nicht nur die unbehebbare Informationsunvollkommenheit des Menschen entgegen: sie bedeutet darüber hinaus eine Weigerung, alles das zur Kenntnis zu nehmen, was der menschliche Geist über die schlichte Tatsache hinaus zu erfassen vermag. - Wer nur an objektive Tatsachen glaubt, hat den Mut für seine eigene Existenz verloren und das Vertrauen zu seinen Mitmenschen. - Es könnte das Kernproblem unseres Jahrhunderts sein, daß die Technik, die uns umgibt, eine solche Haltung ungebührlich fördert.

Nächste Woche: Hubert Feichtlbauer 1981 über die Solidarno´s´c.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung