Globaler Marshallplan

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Beim letzten Symposium zum Mitteleuropäischen Katholikentag trafen einander in Warschau Verfechter einer ökosozialen Marktwirtschaft, Landwirtschaftsexperten und Kirchenvertreter, um über die Zukunft des ländlichen Raumes nachzudenken.

Der "Glaube an den freien Markt" bestimme die Entwicklung im postkommunistischen Polen, klagt der Ulmer Wirtschaftsforscher Franz Josef Radermacher. Dieser habe für manche den Charakter einer Religion angenommen. Die Balance zwischen Solidarität und Individualität hängt für Radermacher von vier Faktoren ab: ein gutes Regierungssystem, eine exzellente Infrastruktur, den Zugang zu Ressourcen und "Gehirne in Körpern, die funktionieren". Dabei ergibt sich die Frage, wie diese Größen finanziert werden sollen.

Ökosoziale Marktwirtschaft

Beim Katholikentags-Symposium "Die Kirche und der ländliche Raum", das in Warschau stattfand, propagierte Radermacher das Modell einer ökosozialen Marktwirtschaft: Dieses Modell gewährleiste die Balance zwischen den zwei "fast quasireligiösen Systemen", ist sich das Mitglied des "Club of Rome" sicher. Für die am 1. Mai der EU beigetretenen Länder erwartet sich Radermacher Wachstumsraten von sechs bis sieben Prozent. Bei den kofinanzierenden reicheren EU-Ländern müssten diese klein sein: "Das macht asymmetrisch alle reicher, und das ist gut so", stellte Radermacher in seinem Vortrag heraus.

Übertrage man die EU-Logik auf die ganze Welt, sei ein globaler Marshall-Plan, ein "Gegenprogramm zu Fundamentalismus und Freihandel" nötig. Die USA gäben 40-mal so viel für Militär aus wie für Entwicklungszusammenarbeit, kritisierte Radermacher: "Konflikte haben auf diesem Globus oft nicht mit Religion zu tun, sondern mit Ungerechtigkeit."

"Die USA sind im Innern sehr viel vernünftiger organisiert als die Weltökonomie, die über das marktfundamentalistische Denken betrieben wird", analysiert Radermacher im Gespräch mit der Furche. Wenn eine Militarisierung der Welt auch falsch sei, müsse die EU "doppelstrategisch" ihre eigene militärische Kapazität stärken, um nicht "immer ein Spielball der USA" zu sein. Dafür müsse man temporär auch einmal das Gegenteil von dem tun, wo man eigentlich hin wolle: "Damit wir auch auf der Nato-Ebene auf derselben Augenhöhe reden, müssen wir auch in dieser verrückten Welt die militärische und zunächst einmal die politische Power Europas stärken."

Radermacher erinnerte an Entwicklungsziele, die sich die Vereinten Nationen bis zum Jahr 2015 gesetzt haben: zum Beispiel die Kindersterblichkeit zu reduzieren, eine Milliarde Menschen an die Trinkwasserversorgung anzuschließen.

Zur Umsetzung sei wie im EU-Beitrittsprozess eine Kofinanzierung notwendig. Einer weiteren Belastung nationaler Haushalte steht Radermacher skeptisch gegenüber: "Das ist schwierig. Also belastet man sinnvollerweise die globalen Wertschöpfungsprozesse", erklärt er. Spielraum dafür sieht Radermacher im Rahmen der so genannten Sonderziehungsrechte des Internationalen Währungsfonds. Eine weitere Quelle sei die Tobin-Steuer, eine Abgabe auf weltweite Finanztransaktionen. Die dritte Säule bilde eine "Terra-Abgabe" im Rahmen des Fairen Handels, für die sich auch Kirchen einsetzen: eine geringe Belastung weltweiter Wertschöpfungsprozesse: "Es geht um eine Größenordnung, die bei einem Dreißigstel unserer Mehrwertsteuerbelastungen liegt", rechnet Radermacher vor.

An das EU-Parlament

Die Einziehung dieser zusätzlichen Mittel müsse über Welthandelsorganisation, Internationalen Währungsfonds und Weltbank verwaltet werden. Für eine Entscheidung in diese Richtung werde sich das "Ökosoziale Forum Europa" im Herbst an das neue EU-Parlament wenden und an alle Parlamentarier auf den National- und möglicherweise auch Regionalebenen. Unterstützer für die Idee des globalen Marshall-Plans gebe es auch aus der Wirtschaft und aus dem Kreis der Nichtregierungsorganisationen.

Zivilisation der Nachhaltigkeit

Für den ehemaligen österreichischen Vizekanzler Josef Riegler ist die Idee des globalen Marshall-Plans ein Umstieg von einer "Zivilisation des Raubbaues" zu einer "Zivilisation der Nachhaltigkeit". Bisherige Umweltpolitik habe lediglich aus Verboten, Appellen, Kontrollen und "ein bisschen Förderung" bestanden, damit lasse sich Nachhaltigkeit nicht erreichen: "Dazu ist es notwendig, dass Preise, Kosten, Steuern, Abgaben und Förderungen jene Signale geben, die nachhaltiges Handeln auch für die Bilanzen der Unternehmen und die Geldtaschen der Konsumenten attraktiv macht", beschreibt Riegler die 2001 beschlossene Nachhaltigkeitsstrategie der EU.

Er selbst habe schon 1987 als österreichischer Landwirtschaftsminister die ökosoziale Idee formuliert und habe diesen Begriff geprägt. Im "Europäischen Modell der Landwirtschaft" habe der EU-Kommissar Franz Fischler die Idee verankert und in der zweiten Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik die ländliche Entwicklung festgeschrieben: "Es geht um die Chancen einer nachhaltigen Land- und Forstwirtschaft, um die Vielfalt mittelständischer Unternehmen im produzierenden Gewerbe, in Bauwirtschaft, Tourismus, im Bereich Gesundheit, Freizeit und natürlich im Bereich der neuen Berufe der Informationstechnologie", zählt Riegler die Bereiche auf. Vor allem in Polen seien Investitionen in Infrastruktur und wirtschaftliche Entwicklung der ländlichen Regionen ein "Gebot der Stunde".

Bischöflicher Ökostrom

Alois Schwarz, Bischof von Gurk-Klagenfurt, zeigte sich als Betreiber eines Forstbetriebes, das mit seinem Elektrizitätswerk Ökostrom an das öffentliche Netz liefere, mit dem Nachhaltigkeitsbegriff durchaus vertraut: Jugendliche führen oft viele Kilometer, um zu Bars und "exzessiven Unterhaltungen" zu kommen, kritisierte Schwarz das Leiser-Werden der ökologischen Frage. Das Ordnungsgefüge des Dorfes und die Lebensentwürfe hätten sich pluralisiert: "Es ist eine große Herausforderung, das Gute in noch größerer Freiheit zu tun", skizzierte er Herausforderungen der Seelsorge in ländlichen Gebieten.

Der Seelsorger müsse wie der Bauer Saatgut aussäen und sich darum bemühen, dass der "Boden der menschlichen Herzen gut bebaut" werde, meinte auch sein polnischer Amtsbruder Jan Styrna. Die Heilssuche müsse sich mit dem Alltag der Menschen verbinden, die Familie, das Kulturerbe, die Umwelt und die Landschaftspflege gefördert werden. Aus Bauern würden jetzt "auf einmal Unternehmer", die sich als Laien weiterhin verstärkt für den Schutz des Sonntags einsetzen sollten, wünschte sich Styrma.

Von 2 Millionen auf 400.000

Piotr Stypi´nsky von der Warschauer Landwirtschaftsschule wies auf die Zahl von 2,16 Millionen polnischen Bauernhöfe hin: "300.000 bis 400.000 werden überleben können, die anderen nicht." Es bestehe in Hinblick auf die Förderungen der EU vielfach das Gefühl, wie ein armer Neffe agieren zu müssen, der dem Onkel gegenüber bettelnd die Hand ausstrecke, formulierte Stypinsky die bestehenden Ängste und Vorbehalte. Weiters müsse der Getreideanbau unbedingt gesenkt werden: "Wir vergessen die vielen anderen Anbaumöglichkeiten. Das wird fast zur Monokultur." Vielfach werde auch ein Massenaufkauf des Grund und Bodens durch ausländische Betriebe befürchtet: "Das wird nicht erfolgen", beruhigte Stypi´nsky die eigenen Landsleute.

Von einer Liberalisierung des Agrarhandels profitierten nur Händler, Verarbeiter und Lebensmittelketten, in wenigen Fällen auch die Konsumenten: "Auf keinen Fall aber die Bauern, nicht in den Drittländern und schon gar nicht in Europa!", warnte auch Gerhard Wlodkowsski von der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern Österreichs. Die unterschiedlichen Umsetzungsmöglichkeiten der EU-Agrarpolitik könnten nach der Reform 2003 nicht nur zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Mitgliedstaaten, sondern auch zwischen einzelnen Produktionsbereichen führen.

*) Eine Kooperation der Furche mit der Österr. Bischofskonferenz. Die redaktionelle Verantwortung liegt bei der Furche.

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