dieFurche: Wie kann zukünftige Gemeindepastoral aussehen?
Rolf Zerfass: Zum Unterschied gegenüber vor 20 Jahren gibt es heute nicht mehr so naiv dieses Sendungsbewußtsein: wir schaffen das, und wir schonen uns nicht, und je mehr wir drauflegen um so besser, bis man nachher zusammenbricht. Gemeinde als Ort der Hoffnung ist auch der Ort wo man Schwächen und Grenzen zeigen kann. Wie es ein Spruch des körperlich behinderten evangelischen Pastors Ulrich Bach so schön ausdrückt: "Was wir können, und was wir nicht können, beides ist uns gemeinsam, und für uns miteinander wird es auch reichen."
Das bedeutet, nicht nur was wir können, sollten wir addieren, und das was wir nicht können, ist Sache des einzelnen, da muß der sehen wie er damit fertig wird - er ist die "Flasche", wir sind gut. Falsch gedacht, unlogisch: Wenn wir die Kräfte zusammenzählen und als Gemeinsames verbuchen, dann müssen wir auch die Defizite als Gemeinsames annehmen!
Ich empfinde das als ein Glaubensbekenntnis an den Gott, der uns akzeptiert, wenn wir die Sache eben nur halb perfekt oder nicht so kompetent gemacht haben. Das Gesetz von Gottes Mächtigkeit in unserer Schwachheit wird hier illustriert.
dieFurche: Ist das Ihr Konzept einer "Gesamtpastoral"?
Zerfass: Der 1968 bei der lateinamerikanischen Bischofssynode in Medellin geprägte Begriff der "pastoral de conjunto" bedeutet so etwas wie gemeinsam eine "Band" - mit vielen Stimmen und Instrumenten - zu bilden. Seitdem wird mir klar, daß dazu natürlich gehört auch das Zusammengehen von Stärken und Schwächen in der wechselseitigen Vielfalt gehört: Das ist ein Medium der Gegenwart Gottes, und nicht ein Hindernis für Gott!
dieFurche: Was bedeutet das für die Beziehung von Seelsorge und Caritas?
Zerfass: Hier gilt dasselbe. Diese Trennung von Pastoral und Caritas hat ja etwas mit Organisation und Effizienz zu tun. Die haben sich ja getrennt, weil sie geglaubt haben, das sei effektiver - und das hat auch einiges für sich.
Aber andererseits hat die Überprofessionalisierung ihren hohen Preis darin, daß die Milieus mit ihren eigenen Möglichkeiten zur Heilung und Stützung kaputtgehen. Das alles wurde sträflich abgewertet, auch im kirchlichen Bereich. Aber heute sehe ich einen echten Klimawandel darin, daß die Selbstherrlichkeit der Professionellen im Therapiesektor von selber an ihre Grenzen gekommen ist, und die Kooperationswilligkeit wächst.
Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.
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