Gott - ein Betrüger?

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Wie die Ringparabel in Lessings "Nathan der Weise" jeden religiösen Fundamentalismus entlarvt.

Was würden wir zu einem Vater sagen, der einen besonders wertvollen Ring besitzt, sich aber nicht entscheiden kann, welchem seiner drei Söhne er diesen vererben soll; der daraufhin zwei unechte Ringe von gleichem Aussehen anfertigen lässt und jedem seiner Söhne einzeln einen dieser Ringe als den echten gibt? Alle drei können, wenn sie ihrem Vater vertrauen, mit Recht annehmen, den einen ersehnten Ring erhalten zu haben. Sie werden einander verdächtigen, Betrüger zu sein, und unweigerlich untereinander in Streit geraten. Der eigentliche Betrüger aber ist der Vater, der sie alle getäuscht hat, auch jenen Sohn, der den echten Ring erhielt; weil er ihm nicht sagte, dass er seinen Brüdern auch einen Ring als den echten gab.

Die Ringparabel

In der Ringparabel in Lessings Schauspiel "Nathan der Weise" nimmt Gott die Stelle dieses Vaters ein. Die drei Ringe, von denen nur einer echt ist, versinnbildlichen die drei monotheistischen Offenbarungsreligionen Judentum, Christentum und Islam. So heißt es schon in der Fassung der Ringparabel in Giovanni Boccaccios "Decamerone" (1. Buch, 3. Novelle), die Lessing als Vorlage diente: "Und eben dieses sage ich Euch, mein Herr, von den drei Religionen, die Gott der Vater den drei Völkern gegeben hat, wegen welcher Ihr mich befraget. Ein jedes derselben glaubt, sein Erbteil, seine Lehre und seine Gesetze unmittelbar von ihm empfangen zu haben. Von welchem unter ihnen aber sich dieses mit Wahrheit behaupten lasse, das bleibt (so wie bei den drei Ringen) noch unausgemacht."

Eigentlich müssten alle diese drei Religionen gegen eine solche Vorstellung von Gott als Betrüger energisch Einspruch erheben. Dieser Gott wäre selbst die Ursache der Konflikte zwischen den Religionen, anstatt sie zu gegenseitiger Toleranz zu führen. Aber es ist noch ärger: Ein solcher Vater-Gott wäre sogar zynisch. Denn er hätte allen drei Glaubensgemeinschaften dieselbe wahre Religion geben können, nicht nur einer von ihnen. Weder die Gründergestalten Abraham und Mose, Jesus sowie Muhammad, noch die Gläubigen, die diesem Gott vertrauten, wären schuldig an den Auseinandersetzungen zwischen den drei Religionen, sondern der Vater selbst.

Wo der Fehler liegt

Nun kann und muss man zwar sagen, dass die drei Glaubensgemeinschaften im Gegensatz zur Ringparabel überzeugt sind, dass Gott durch seine Propheten (Söh-ne) nur eine Religion gegründet hat. Diese wurde in christlicher Sicht durch Jesus als Messias (Christus) erneuert und musste in muslimischer Perspektive nach dem Versagen von Judentum und Christentum von Gott durch Muhammad nochmals gestiftet werden. Nichtsdestoweniger begründen alle drei religiösen Traditionen - trotz der Aufklärung auch das Christentum - die Wahrheit der eigenen Lehre mit einer Offenbarung, an die man zu glauben habe, weil sie von Gott komme und Gott absolut wahrhaftig sei. Daher kann Nathan auf den Einwand Saladins, dass die Religionen sehr wohl zu unterscheiden wären, antworten: "Und nur von Seiten ihrer Gründe nicht."

Die Ringparabel geht also mit Recht davon aus, dass alle drei Religionen ihren Glauben auf eine unhinterfragbare göttliche Botschaft zurückführen. Anstatt diesen Anspruch direkt zu kritisieren, zeigt sie durch ihren Vergleich auf, dass Gott dann der eigentliche Urheber der Konflikte wäre, weil er alle drei betrogen hätte.

Die vermeintliche Absicherung des Absolutheitsanspruchs der eigenen Religion mittels einer Offenbarung ist das Wesen des Fundamentalismus, von Dietrich Bonhoeffer als "positivistische Offenbarungslehre" bezeichnet, "... wo es dann heißt: friss, Vogel, oder stirb'". Hier wird ein blinder Glaube an eine Botschaft verlangt, weil sie von Gott kommt. Wenn überhaupt eine Begründung versucht wird, dann in einem Zirkelschluss: Weil sie von Gott kommt, ist alles wahr, was sie sagt, und deshalb auch, dass sie von Gott kommt.

Die Ringparabel entlarvt diese Argumentationsstruktur als die eigentliche Ursache der Konflikte. Auch wenn jede Religion den beiden anderen abspricht, ihre Botschaft wirklich von Gott erhalten zu haben oder ihr treu geblieben zu sein (also nicht - wie die Ringparabel - dem Vater, sondern den beiden anderen Söhnen die Schuld gibt), begründen alle drei Offenbarungsreligionen in ihrer traditionellen Form ihre Wahrheit wie in der Parabel fundamentalistisch. Darin liegt ihr gemeinsamer Fehler.

Denn dass es sich um eine Offenbarung Gottes handelt und dass diese richtig verstanden wurde, kann nicht damit abgesichert werden, dass diese Botschaft von Gott kommt. Das müssen die Empfänger erkennen können, also die Menschen, die aber keine göttlich-absolute Erkenntnisfähigkeit haben. Auch der Glaube an eine göttliche Offenbarung ist daher menschlich begrenzt, in diesem Leben in geschichtlicher Entwicklung und dabei anfällig für Irrtümer.

Nach dem Zeugnis des Neuen Testaments hat Jesus Christus selbst nicht fundamentalistisch argumentiert, sondern seinen Hörerinnen und Hörern ein eigenes Urteil über die Wahrheit seiner Botschaft zugetraut und zugemutet: "Wer bereit ist, den Willen Gottes zu tun, wird erkennen, ob diese Lehre von Gott stammt oder ob ich in meinem eigenen Namen spreche" (Evangelium nach Johannes 7,17).

Nach Jesus besteht also die Wahrheit des Glaubens aus den Erfahrungen der Praxis, die er lehrt und vorlebt, und den religiösen Deutungen, die durch diese Erfahrungen legitimiert werden (ähnlich wie das mitmenschliche Vertrauen auf Erfahrungen und deren Deutung beruht). Offenbarung heißt nach diesem biblischen Verständnis, dass Jesus eine neue Praxis in Gang gesetzt hat, die eine bessere religiöse Auslegung des Daseins ermöglicht und bezeugt.

Der Ausweg

Mit dieser biblischen Sicht deckt sich der Rat, den Nathan dem Richter in den Mund legt: "Es eifre jeder seiner unbestochnen, von Vorurteilen freien Liebe nach! Es strebe von euch jeder um die Wette, die Kraft des Steins in seinem Ring an Tag zu legen! Komme dieser Kraft mit Sanftmut, mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun, mit innigster Ergebenheit in Gott, zu Hilf'!" Das Kriterium der Wahrheit einer Religion ist also nicht eine blind zu glaubende Offenbarung, sondern ob sie den im Ur-Gewissen erfahrbaren Maßstäben unseres Wesens mitsamt seinen Beziehungen zu Gott und zum Nächsten entspricht (mit Ur-Gewissen ist das mit dem Dasein mitgegebene Gespür für das wahre Menschsein gemeint, das vor den Gewissensurteilen liegt und diese prägen soll). Dieses Kriterium müsste allerdings bereits die Grundlage für die Annahme einer Religion oder für die bewusste Übernahme der ererbten religiösen Tradition sein. Dies verlangt von allen drei Religionsgemeinschaften, jeden Fundamentalismus aufzugeben.

Das bedeutet jedoch keinen Relativismus, für den alle Religionen gleich gültig sind, sodass es gleichgültig wäre, welcher man angehört. Denn es gibt in diesem Ringen um die Menschwerdung im Glauben eine mühsame geschichtliche Entwicklung auf dem Weg zu einer vollkommeneren Erkenntnis der objektiven Wahrheit, eine verschieden große Nähe zu ihr. Dabei kann jede Religion selbst bei der Annahme, der Wahrheit alles in allem am nächsten zu kommen, noch von den anderen lernen (etwa das hellenistisch überformte Christentum vom Judentum und vom Islam, wieder vorsichtiger von Gott zu reden). Ein solcher selbstkritischer und lernbereiter Dialog (auch mit Atheisten) würde zu einer besseren Theorie und Praxis des eigenen Glaubens sowie zu gegenseitiger Annäherung führen und die Glaubwürdigkeit von Religion überhaupt erhöhen.

Was die Christen einbringen

Was das Christentum da vor allem einzubringen hätte, ist seine Sicht einer prinzipiell universalen personalen Nächstenliebe (auch zu den Feinden) und das entsprechende Bild Gottes, der in sich schon "Liebe ist" (1. Johannesbrief 4,8.16). Es fällt auf, dass auch die von Nathan genannten Maßstäbe Lessings für den Wetteifer der Religionen diesen christlichen Idealen entsprechen. Daher lässt der Dichter den Klosterbruder zu Nathan, der vorbildlich die Feindesliebe übte, sagen: "Bei Gott, Ihr seid ein Christ! Ein bessrer Christ war nie!" Diese Haltung wäre auch heute höchst wichtig: Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern und der dadurch motivierte Terror werden ohne Feindesliebe kein Ende finden.

Der Autor ist Dozent für Pastoraltheologie an der Universität Innsbruck (vgl. Buchtipp rechts).

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