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Religion ist in die politische Diskussion und Wirklichkeit zurückgekehrt. Das ist gut so.

Noch im Sommer hätte kaum jemand darauf gewettet, dass die Religion unversehens und vermutlich nachhaltig in die Politik zurückkehren würde.

In den Zeichen: Wer hätte gedacht, dass dieses Bild aus dem Weißen Haus um die Welt gehen würde - ein Imam spricht Gebete an der Seite von Präsident George W. Bush, bei einem Ramadan-Dinner, zu dem die Botschafter islamischer Länder geladen sind.

Im Diskurs: Jürgen Habermas, erste Adresse für bedeutende Zeit-Worte in Deutschland, dachte vor wenigen Wochen bei seiner Dankesrede für den Friedenspreis des deutschen Buchhandels laut über ein neues Verhältnis von Religion und Gesellschaft nach; wie oft dem letzten Protagonisten der Frankfurter Schule da die Worte Glaube, Gott oder Religion über die Lippen kamen, war erstaunlich.

Man mag diese Beispiele als politisches Kalkül oder mit der Bemerkung abtun, man sehe, dass Not eben beten lehre, auch wenn diese Not mehr ein globales Gefühl sei als eine Realität in westlichen Präsidenten- oder Gelehrtenstuben. Niemand kann aber umhin, der Religion neue Aktualität zuzubilligen - und zwar bei allen Playern der gegenwärtigen weltweiten Auseinandersetzung. Das Interesse konzentriert sich vielfach - aber nicht ausschließlich - auf den Islam und die ihm zugeschriebenen politischen Implikationen.

Nicht nur im (inter)religiösen Gespräch ist das Verhältnis zu den Muslimen ein Top-Thema. Auch der Wiener Philosophieprofessor Rudolf Burger (der zuletzt in Bezug auf die Vergangenheitsbewältigung sein Plädoyer fürs Vergessen pflegte) mischte sich - nicht minder provokant und vereinfachend - in die Islamdebatte ein: "Trotz allen Geschwätzes, man solle kein Feindbild Islam aufbauen", ließ Burger via Format verlauten, "ist der Islam eine feindliche Religion". Gleichzeitig warnte Burger vor einer "Retheologisierung der Politik".

Anti-islamische Ressentiments, die hier wieder geschürt werden, helfen in der politischen Auseinandersetzung nicht weiter. Der Ärger über solche Wortspende sollte aber Burgers Sorge über "religiöse" Einmischung in die säkulare Politk nicht beiseite schieben.

Denn diese Diskussion um die Religion im säkularen Staat ist in der abendländischen wie in der islamischen Welt zu führen: Der Erfolg des liberalen Rechtsstaats westlicher Prägung beruht wesentlich darauf, dass dieser ein "agnostisches" System darstellt, das heißt, dass in ihm Angehörige unterschiedlicher Weltanschauungen leben und mitgestalten können. Allerdings ist dazu ein gemeinsamer Grundkonsens nötig, der aber nicht nur aus der säkularen Gesellschaft kommt: Es gibt fließende Grenzen zwischen säkularen und religiösen Motiven. Jürgen Habermas forderte in seiner Friedenspreisrede die Diskussion darüber als "kooperative Aufgabe" von Religiösen und Nichtreligiösen ein.

Religiös - säkular

Derartige Auseinandersetzung dreht sich beileibe nicht nur um die Fragen, die nach den Anschlägen des 11. September aufs Tapet kamen. Schon zuvor - auch Habermas benannte dies als Beispiel - zeigte sich in der Bioethik-Debatte, wie sehr die Politik zur Zeit von religiösen Fragestellungen beeinflusst wird und umgekehrt.

Das bedeutet keine Abkehr vom säkularen Staat; aber es bedarf der neuen Bestimmung eines fruchtbaren Zueinanders von Religiösem und Säkularem. Die oft zitierte These des deutschen Staatsrechtlers Ernst-Wolfgang Böckenförde, der "freiheitliche, säkularisierte" Staat lebe "von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren" könne, erhält so neue, brennende Aktualität.

Das Böckenförde-Paradox - auf die gegenwärtige Auseinandersetzung umgelegt - bedeutet, dass auch der säkulare Staat auf nichtsäkulare Voraussetzungen zurückgreifen muss, etwa auf religiöse Prinzipien. Das heißt nichts weniger, als dass den Religionen und ihren Protagonisten (wie sehr wünscht man sich, die schwachbrüstigen Großkirchen würden ihre Chance wahrnehmen!) eine aktive Rolle zukommt. Auch Jürgen Habermas ging in der Friedenspreisrede davon aus, dass die moralischen Grundlagen des liberalen Staates religiöser Herkunft sind.

Mit Habermas - und gegen alle Ängste vor einer "Theologisierung" der Politik - gilt es, auch im agnostischen Staat den religiösen Positionen neues Gehör zu verschaffen.

Um zur Auseinandersetzung mit dem Islam zurückzukehren: Die skizzierte Option für den säkularen Rechtsstaat, in den Religionen sich sehr wohl einbringen, der aber von keiner Religion usurpiert werden darf, steht im Widerspruch zu gängigen innerislamischen Vorstellungen von Gesellschaft und Staat. Es wird großer Überzeugungsarbeit bedürfen, um islamische Mitstreiter für säkulare, pluralistische Modelle des Zusammenlebens zu gewinnen: Ist im Westen der "Wiedereinstieg der Religion" in den Staat angesagt, geht es in der islamischen Welt um eine "Enttheologisierung" der Politik.

Die Auseinandersetzung mit der islamischen Welt unterscheidet sich von der innerwestlichen Kontroverse um den Stellenwert der Religion in der Gesellschaft in einem weiteren Punkt grundlegend: Der Berliner Islamwissenschaftler Peter Heine wies dieser Tage bei einem Vortrag in Wien darauf hin, dass islamische Gelehrte sich in den letzten Jahrzehnten ausführlich mit westlichem Denken auseinander gesetzt haben, umgekehrt jedoch - dass der Westen islamische Denkansätze rezipiert hätte - könne keine Rede davon sein.

Heine monierte etwa, dass in Europa - wo es im Westen vor 30, im Osten vor 15 Jahren noch Diktaturen gab - niemand das Demokratiemodell des islamischen Staates Bangladesch zur Kenntnis nehme (Rudolf Burger im Format: "Es gibt in der ganzen islamischen Welt keinen einzigen im westlichen Sinn demokratischen Staat ").

In der Beschäftigung mit dem Islam reicht das derzeitige "westliche" Wissen um den anderen also bei weitem nicht aus. Dabei könnten, so Heine, abendländisches und islamisches Weltbild über ihre gemeinsamen Wurzeln zueinander finden: die klassische Antike (Aristoteles kam über den Islam ins christliche Europa!) und den Monotheismus.

Bei allen Unterschiedlichkeiten gilt zur Zeit weltweit: Religion ist in die politische Diskussion und Realität zurückgekehrt. Das ist gut so.

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