Gott ist kein Sadist

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Eine Replik auf "Gottes Achillesferse" von Bernward Gesang (furche 14/2007).

Im Dossier "Der neue Atheismus" in der Osterausgabe der Furche postulierte der deutsche Philosoph und Publizist Bernward Gesang den Atheismus als Antwort auf die Unbeantwortbarkeit der Frage nach dem Leid. Auch die Theologen würden bemerken, dass mit allen Erklärungsversuchen des Leides ein Gottesbild entstehe, das nicht mehr der Bibel entspreche. Gesang: "Was nützt es, das Theodizeeproblem zu lösen, aber Gott dabei zu verlieren?" Seine "atheistische" Schlussfolgerung: "Weil der Glaube einer vernünftigen Kritik an der Achillesferse des Theodizeeproblems in keiner Weise standhalten" könne, ziehe er sich "dogmatisch" hinter die Grenzen der Vernunft zurück. ofri

Bernward Gesangs Versuch, vom Leiden in der Welt auf die Wahrheit des Atheismus zu schließen, führt seiner Meinung nach zu einer Entscheidung: Der Atheist entscheidet sich für die Vernunft und die Kritik und gegen einen Dogmatismus, der, wie die Inquisition zeigt, genug Unheil angerichtet habe.

Einige wenige Überlegungen sollen zeigen - dass diese Alternative voreilig ist und dass die Argumentation Gesangs etliches nicht bedenkt, was in der abendländischen Tradition bereits viel differenzierter gesehen worden ist.

Für Vernunft entschieden

Zuerst und vor allem: Auch der Christ beziehungsweise der Theologe entscheidet sich für die Vernunft, freilich - so vermute ich - für ein weiteres Verständnis der Vernunft, die auch die Transzendenz zu denken vermag. Wenn ich mich auf diesem Fundament dem Theodizeeproblem nähere, dann werde ich dem Autor zuerst in einigen Punkten recht geben: Der Hinweis, dass das Übel der Preis für die Freiheit des Menschen ist, vermag tatsächlich das Leid der Naturkatastrophen nicht zu erklären. Aber das wurde bereits oft festgestellt.

Und die Allmacht Gottes aufgeben, heißt wirklich, Gott nicht mehr als Gott zu denken. Schwieriger ist schon die Frage, ob Gott ein Wesen zu schaffen vermag, das sich immer frei für das Gute entscheidet. Aber diese umfangreiche Diskussion muss hier nicht aufgerollt werden. Der entscheidende Punkt scheint mir nämlich anderswo zu liegen.

Die Argumentation Gesangs scheint ein Koordinatensystem vorauszusetzen, das Welt und Gott in gleicher Weise umfasst. Gott und Welt werden in einem homogenen Wirklichkeitskontinuum gesehen. Das aber führt unweigerlich zu einer anthropomorphen Gottesvorstellung. Dem gegenüber hat das Gott-Denken in der christlichen Tradition unmissverständlich den Unterschied zwischen Schöpfung und Schöpfer herausgearbeitet. Und das sogar auf lehramtlicher Ebene, auf dem 4. Laterankonzil (1215): "Zwischen Schöpfer und Geschöpf gibt es keine so große Ähnlichkeit, dass zwischen ihnen keine noch größere Unähnlichkeit festzustellen wäre."

Mit anderen Worten: Glaube und katholische Theologie (der Einspruch Karl Barths ist noch nicht vergessen) gehen davon aus, dass es zwar für unsere Erkenntnis der Welt ein Koordinatensystem gibt, dass aber Gott seinen Platz nicht innerhalb dieses Koordinatensystems hat.

Alle Erkenntnis innerhalb dieses Koordinatensystems setze zwar einen Bezug auf das Absolute voraus, das aber ist Voraussetzung aller Erkenntnis, nicht Gegenstand unter anderen Gegenständen. Der Versuch, über diese Voraussetzung und über Gott zu sprechen, bedarf einer eigenen Regelung, die in der Geschichte unter dem Titel analoge Redeweise ausgearbeitet worden ist.

Damit rückt die Schwäche von Gesangs Argumentation deutlich in den Blick. Karl Rahners und Karl-Heinz Wegers kritische Bemerkungen zum Protest gegen Gott im Namen von Güte und Liebe, waren (deutlich erkennbar!) eine Frage und kein Verbot für Fragen oder Kritik, und auch nicht Dogmatismus. Wenn Bernward Gesang hier Dogmatismus diagnostiziert, dann scheint mir das mehr Rhetorik als Logik zusein. Rahner und Weger fragen an, ob wir wirklich unbefangen von unseren eigenen Maßstäben ausgehen können. Oder ist nicht doch eine Güte Gottes denkbar, die - wenigstens vorerst - unbegreiflich bleibt?

Die Rede von Gottes Güte kann auch einem gläubigen Menschen in bestimmten Situationen im Halse stecken bleiben. Wenigstens dann, wenn er als nachdenklicher Zeitgenosse im Wohlstand lebt und mit großen und kleinen Katastrophen anderer konfrontiert wird. Manchmal bleibt nur schweigen oder klagen. Aber es gibt auch die andere Perspektive: Menschen, die in Krankheit und Katastrophen mit der Rede von Gottes unbegreiflicher Güte ihre Hoffnung zum Ausdruck bringen, dass Unheil und Übel nicht das letzte Wort haben werden. Die konkrete Erfahrung mag dagegensprechen, aber die Gewissheit kommt aus anderen Quellen - aus der Überlieferung des Glaubens.

Als Christ und der abendländischen Tradition verpflichtet, bin ich sicher: Der Gott Jesu strapaziert zwar - nicht zuletzt angesichts des Kreuzes sei es gesagt - unsere Denkkategorien, aber er ist kein Sadist. Und im Gefolge der abendländischen Metaphysik kann das Absolute wohl nur als das absolut Gute gedacht werden. Auch das ist eine Entscheidung. Dafür gibt es gute Gründe, und sie führt zu sinnvollen Konsequenzen.

Und es gibt ja auch im Alltag die Erfahrung, dass hier und jetzt etwas nicht verständlich ist, was sich in einem anderen Zusammenhang durchaus als verständlich erweist. Darin liegt der Spielraum der Hoffnung angesichts des unbegreifbaren Leides …

Keine einfachen Alternativen

Apropos Konsequenzen: Am Ende seiner Ausführungen meint Gesang, dass die Entscheidung zwischen Vernunft und Dogmatismus "beträchtliche Folgen" hat. Da ist ihm wohl Recht zu geben. Aber die Alternative, vor die er uns stellt, scheint mir entschieden zu einfach zu sein. Es geht nicht nur um sein Verständnis von Vernunft oder Dogmatismus. Es gibt auch eine vom Glauben getragene Vernunft, die Hoffnung über alle Katastrophen hinaus für möglich hält und eine Praxis für sinnvoll ansieht, die sich im Blick auf Tod und Auferstehung Jesu tatkräftig für die Leidenden einsetzt. Aber hier dürften wir - trotz unterschiedlicher Perspektiven - dann doch wieder einer Meinung sein.

Der Autor ist Professor für dogmatische Theologie an der Karl-Franzens-Universität Graz.

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