"Gott kommt mit uns auf Hühneraugenhöhe"

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Auch im Buch "Jessas, Maria und Josef" geht Münchens rebellischer Pfarrer Rainer M. Schießler mit seiner Kirche ordentlich ins Gericht.

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Auch im Buch "Jessas, Maria und Josef" geht Münchens rebellischer Pfarrer Rainer M. Schießler mit seiner Kirche ordentlich ins Gericht.

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Enfant terrible unter Münchens Pfarrern" wird er oft genannt. Was ja suggeriert, die Kollegen trauten sich rein gar nichts -oder seien schlicht langweilig. Rainer Maria Schießler sind solche Etiketten egal. Er macht sich nichts daraus. Weiß aber, dass sich Ressentiments entwickelt haben. Dass er beargwöhnt, dass ihm sein Ego (das nicht klein ist) vorgehalten wird. Die "invidia clericalis"(Neid der Kleriker) schlägt ordentlich zu.

Schießler nutzt seine "Narrenfreiheit" aus. Zugunsten der Menschen: seiner Schäfchen in St. Maximilian ("St. Max") und Heilig Geist, zwei Innenstadtpfarreien, im Glockenbachviertel und am Viktualienmarkt. Und natürlich wegen der vielen, die am Rand stehen, die er ausgegrenzt sieht - von "Mutter Kirche". Die für Schießler Heimat ist seit Kindesbeinen. Und über die Mama lässt er nichts kommen. Weder über die eigene, die ihn wegen ihrer Verehrung für Rilke auf Rainer Maria taufen ließ. Noch über die Kirche - als Kirche Jesu. Mit der Institution Kirche hat er allerdings seine liebe Not.

Wider die fortlaufende Unbeweglichkeit

Denn er macht eine latente Resignation angesichts der fortlaufenden Unbeweglichkeit meiner Kirche aus, sich in den essenziellen Fragen der Zukunft zu öffnen: wie wir Kirche und Glauben wieder in die Mitte der Gesellschaft bringen, wie wir Frauen am Gottesdienst beteiligen, ob wir Wiederverheiratet-Geschiedene ernsthaft weiterhin von der Kommunion ausschließen wollen oder die immer noch fehlende Akzeptanz und Ausgrenzung von gläubigen Menschen, die sich entschlossen haben, gleichgeschlechtlich zu leben und zu lieben, sowie die ungeklärte Lösung für ein reformiertes Zölibat, das []sich öffnet und Raum lässt, auch als verheirateter Mann und Vater Priester zu sein.

Er lässt nichts aus. Und deckt die Krise meiner Kirche auf, weil sie so unfähig scheint, sich in einer Zeit zu wandeln, die nichts dringlicher fordert, als es rasch und umfassend zu tun. Noch direkter als vor zwei Jahren tut er es, bei seinem ersten Buch Himmel, Herrgott, Sakrament. Manche missverstanden den Kraftausdruck als Fluch -und unterstellten Blasphemie. Schießler rangierte 64 Wochen lang auf der Bestsellerliste des Spiegel und verkaufte 150.000 Exemplare, Schießler rutschen tolle Metaphern aus dem Mund - und die Medien stürzen sich darauf.

Auch Jessas, Maria und Josef ist ein Hinschauer-Titel. Diesen Kraftausdruck kann man in Bayern ebenso hören wie in Wien. Und könnte ihn wieder verwechseln mit einem Fluch oder mit einem Stoßseufzer. Dabei ist er erneut -ein Bekenntnis. So wie Schießler der Himmel wichtig ist, der Herrgott und die Sakramente, so bedeuten ihm auch Jesus, Maria und Josef etwas. Im Kontrast dazu: lebensferner Sitzungskatholizismus, Limousinenpark bei der Deutschen Bischofskonferenz, um mehr als 100 Millionen Euro kernsaniertes Ordinariat, Debatten über glutenfreie Hostien

Die Kirche verwalte den eigenen Untergang. Klammere sich an Macht. Verliere sich in Nebensächlichkeiten. Die Erosion des Glaubens werde vom Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz als Erfolgsmeldung umgedeutet. "Weiter so"-Mentalität. Wir müssen raus aus der Komfortzone unserer Pfarrhäuser. Wir dürfen nicht länger aus Eitelkeit in den eigenen Mauern beleidigt zuwarten, in der Hoffnung, dass doch noch jemand kommt. Die Kirche ist für Schießler vor allem eines: Überaltert, konservativ, frauenfeindlich. Fehlende Lebensnähe. Spiritueller Rollator. Sein Gegenprogramm: Wir müssen reduzieren. Zurück zur Einfachheit und Klarheit der Urgemeinden.

Während sich andernorts Kirchen leeren, Schießlers Gottesdienste sind rappelvoll. Er will begeistern: Nicht berechnend predigen, nicht langweilig predigen, nicht verwaltungsmäßig predigen, nicht strafend predigen, nicht Furcht auslösend predigen - sondern den Menschen klar machen: Du bist wichtig! Ausgetretenen schreibt er: Wir sind nicht auf Ihr Geld aus [ ] Ich bin auf Sie aus!

Schießler spitzt zu, übertreibt, karikiert. Seine Zunge sitzt ebenso locker wie seine Feder (die ihm Co-Autor Stefan Linde führt). Bayerisch liebevoll oder derb, je nachdem. Sonst hört keiner hin. In der Kirche schon gar nicht. Predigten, die Hetzreden sind, Seitenbemerkungen, die von Homophobie zeugen, die ausgrenzen und abkanzeln -viele Beispiele sind genannt: verbales Glyphosat. Kein Wunder, dass in dem Zusammenhang Weihbischof Laun erwähnt wird.

Zehn Mal ist in diesem Buch, fast mantrenhaft, von "Hühneraugenhöhe" die Rede: Er, Gott, kommt mit uns auf "Hüheneraugenhöhe" und er schämt sich nicht dafür. Die Alternative dazu: eine abgehobene Kirchensprache, Kleriker, die Probleme akademisch statt praktisch angehen. Schießler lebt eine Treppenhaus-Ökumene mit einem pensionierten Pastor, dessen Frau konvertierte, damit ihr Mann ordiniert werden konnte -und die wieder katholisch wurde, als er in Pension ging. Wir beide haben keine Ahnung, warum es noch eine Trennung gibt.

Rückenwind durch Papst Franziskus

Eucharistie als Serienveranstaltung, abgehetzte Pfarrer in einer Art Pastoral-Ralley: Schießler kennt und leidet unter der Einsamkeit (Hölle). Ohnmacht ist ihm nicht fremd. Große Sinnkrisen sind ihm erspart geblieben. Aber er hat Fragen, und die setzen auch ihm zu. Nach 25 Jahren in derselben Pfarre nutzt sich manches ab. Der personellen Insolvenz der Kirche setzt er eine Aufwertung von priesterlosen Gemeinden entgegen, will weg von monströsen Verwaltungseinheiten. Sein Horrorbild: Dienst nach Vorschrift und Öffnungszeiten wie auf dem Amt und keinerlei Empathie für die Bedürfnisse der Menschen? Und ich dachte: Wo sind wir denn hier? Wo ist die Fußwaschung. Die Hühneraugenhöhe?

Schießler spürt Rückenwind. Denn Papst Franziskus hat Türen geöffnet: Aussagen, wofür ich vor fünf Jahren noch einen Rüffler aus dem Ordinariat bekommen habe, stammen jetzt aus Rom. Alles müsse auf den Prüfstand. In "Amoris laetitia" vermisst Schießler ein positives Wort dazu, dass es natürlich auch in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften Liebe, Treue, Zärtlichkeit und Partnerschaft gibt und dass es in meiner Kirche zukünftig auch ein solches Sakrament der Gemeinschaft geben würde.

Am echtesten, authentischsten ist Schießler dort, wo er von persönlichen Begegnungen erzählt: von einer Bäuerin im Dachauer Hinterland, die er besucht; von der Frau auf dem Bahnsteig, die ihn nach einer Lesung umarmt; von der Nottaufe in der Klinik, wo ihm die Stimme wegbricht; von einem schwulen Paar, das sich seit Jahrzehnten liebevoll umeinander kümmert.

Die Kernfrage lautet für Schießler: Wo ist die rechte Gewichtung? Denn es eilt: Wir müssen sofort anfangen und vielleicht neu lernen, was wirklich wichtig ist, was uns Christen weltweit anzugehen hat und was wir endlich getrost beiseitelegen können. Sein Buch kann man nicht einfach beiseitelegen. Motiviert es? Ja. Es ärgert manchmal auch! Nicht umsonst gilt: Jessas, Maria und Josef!

Rainer M. Schießler

Bayerisches Original mit Priesterweihe und schonungsloser Kirchendiagnostiker mit losem, aber den Kern treffenden Mundwerk. Auch in seinem neuen Buch lässt Schießler wenig für sich sprechende Metaphern aus.

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