Gott lästern: Verbot oder gar Pflicht?

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FURCHE-Round Table: Ein katholischer Priester, ein orthodoxer Christ und eine Muslima diskutieren über Blasphemie heute.

Es muss diskutiert werden, wenn es um Gott, Glauben, Religion und deren Verspottung geht. Aber auch religiöse Menschen sind sich nicht einig, was dabei möglich, erlaubt oder gar notwendig sein soll. Das zeigt auch nachstehender FURCHE-Round Table.

Die Furche: Kann man Gott beleidigen?

Carla Amina Baghajati: Allahu akbar. Gott ist größer als alles, was man sich als Mensch vorstellen kann. Und steht natürlich auch über jeder Art von Beleidigung. Auf muslimischer Seite wurde etwa schon sehr früh gefragt: Braucht Gott das Gebet, oder brauchen wir das Gebet? Gott könnte auch ohne unser Gebet weiter existieren. Aber es ist etwas, das für uns auch eine Bestärkung ist. Analog könnte man bei blasphemischer Rede sagen: Die fällt eher auf die Gesellschaft zurück, auf eine Kultur von Respekt.

Mirko Kolundzic: In der Orthodoxie sehen wir natürlich die Liebe zu Gott und die Liebe zum Nächsten als oberste Gebote an. Mit dieser Prämisse ist eine Beleidigung Gottes per se ein Widerspruch bzw. ein Vergehen gegen das Gebot der Liebe. Die Beleidigungen und die Blasphemie, die es zurzeit verstärkt gibt, sind nicht gegen Gott gerichtet. Sondern es geht hier um die Beleidigung jener, die an Gott glauben. Säkularistische Bewegungen haben sowieso keinen Bezug zu Gott, Gott ist ihnen egal; nicht egal sind ihnen die Menschen, die an Gott glauben und die Werte vertreten, die mit Gott verbunden sind.

Gustav Schörghofer: Ich denke, man kann Gott beleidigen - aus christlicher Sicht, muss er sogar beleidigt werden! Im Evangelium heißt es, der Menschensohn muss den Händen der Sünder ausgeliefert werden, und sie werden ihn verspotten, bespucken und sich über ihn lustig machen. Also, er muss beleidigt werden. Aber er selbst ist nicht beleidigt, man merkt das am Verhalten Jesu.

Kolundzic: Das kann ich nicht stehen lassen! Denn diese Textstelle kann man auch so deuten: Der Mensch neigt seit dem Fall von Adam und Eva prinzipiell eher zum Negativen, Bösen, er muss sich das Gute erkämpfen. Der Mensch wurde ja nach dem Antlitz Gottes geschaffen, und Jesus hat gesagt: Wenn ihr einen von meinen Brüdern beleidigt, dann tut ihr das mir an. Das soll bedeuten, dass wir Christus ähnlich sind, und deshalb ist jede Beleidigung des Menschen gleichzeitig eine Beleidigung Christi.

Baghajati: Es stellt sich auch die Frage des Hintergrunds einer blasphemischen Äußerung. Da kommen wir schnell in den Bereich des Rechts auf Meinungsfreiheit. Hier muss wohl unterschieden werden: Geht es um ein inneres Anliegen, ein Kunstwerk zu schaffen? Geht es um einen Diskurs, wo vielleicht auch etwas Verletzendes fällt? Oder zielt man einzig auf das Schüren von Hass. Da sind womöglich Muslime durch die Mohammed-Karikaturen-Krise besonders berührt. Das war etwas ganz anderes als bei Salman Rushdie.

Die Furche: Warum ist das etwas anderes?

Baghajati: Hier hat sich ein Schriftsteller geäußert, er hat ein Werk geschaffen. Dagegen kam bei der dänischen Zeitung Jyllands Posten ein Redakteur drauf, dass Muslime empfindlich sind, wenn es um die Abbildung des Propheten Mohammed geht. Es ist keine Reaktion der Muslime auf diese Karikaturen gekommen. Dann hat Posten nachgelegt und sie an muslimische Vereine verschickt. Die haben gesagt: Wir finden das geschmacklos, das verletzt uns. Dann ist es in die Krise abgedriftet mit Dialogverweigerung. Den Muslimen wurde ausgerichtet: Ihr könnt verletzt sein, wie ihr wollt, ihr habt Meinungsfreiheit zu lernen. Dann erst haben sie sich Hilfe geholt. Manche Länder in der islamischen Welt, die selbst keine Meinungsfreiheit kennen, haben das zum Anlass genommen, die Leute sich auf der Straße austoben zu lassen.

Schörghofer: Künstler müssen auch gut vermitteln können. Manches, das aufs erste blasphemisch wirkt, muss nicht so gedeutet werden. Zurzeit läuft etwa im Bank Austria Kunstforum eine Ausstellung von Siegfried Anzinger (vgl. Seite 23, Anm.). Der hat das Bild eines gekreuzigten Schweins gemalt. Ein Schwein am Kreuz. Jetzt kann man sagen: Der macht sich über Jesus lustig. Aber es wird im Katalog der fünfjährige Sohn Anzingers zitiert, der gesagt hat: "Du Papa, schau, dem Schwein ist das Gleiche passiert wie Jesus.“ Dass also gewissermaßen das Schwein das Schicksal Jesu teilt. Das ist eine völlig andere Sichtweise. Da wird es dann nicht mehr blasphemisch, sondern die Tiere leiden mit dem gekreuzigten Gottes Sohn.

Baghajati: Das ist eben die Möglichkeit, Diskussionen in Gang zu setzen - eine ganz andere Qualität, als wenn jemand sagt, wie kann ich diese Religionsgemeinschaft möglichst provozieren. Apropos Provokation: Da haben wir im Islam das Vorbild unseres Propheten Mohammed, der, was die praktische Religion betrifft, immer die erste Referenz ist. Ihm selbst wurde Mist vor die Wohnungstür geleert - als Provokation und sichtbare Ablehnung seiner Lehre. Und er hat völlig gelassen reagiert. Er hat jeden Tag den Mist selbst weggeräumt, und das ist darin gegipfelt, als der Mist dann einmal nicht dalag. Er aber wusste, von wem das kam, hat dann diese Nachbarin besucht, die völlig verblüfft war, dass er auf einmal in ihrem Zimmer steht und sagt: "Ich mache mir Sorgen um dich. Heute war kein Mist da.“

Kolundzic: Natürlich ist die Meinungsfreiheit ein Gut, auf das wir stolz sind. Aber bei solchen Kunstereignissen läuft man oft Gefahr, das Gefühl einer leider schweigenden Mehrheit zu verletzen. Es gibt Grenzen, deren Überschreitung die Mehrheit verletzt - wir sehen das bei den Geschichten, die in Russland passiert sind; später hat man dann auch in Wien ähnliche Aktionen versucht. Das sind Dinge, die nichts mit Kunst zu tun haben. Das sind eindeutige Provokationen, obwohl man versucht, sie unter dem Deckmantel der künstlerischen Freiheit zu verstecken. Das provoziert, weil es in einem Gotteshaus passiert. Sonst könnte man diese Performance auch woanders machen, nicht direkt vor einem Altar.

Schörghofer: Sie meinen Pussy Riot?

Kolundzic: Diesen Namen möchte ich gar nicht in den Mund nehmen.

Die Furche: Sie haben Grenzen angesprochen, wie lassen sich diese bestimmen?

Baghajati: Das ist ungeheuer schwer, wir merken es ja auch bei unserer Gesetzgebung, bei den Blasphemie-Paragraphen. Hier kommen doch eher schwammige Begriffe vor. Und die sind auch darum nicht mehr einfach zu fassen, weil unsere Gesellschaft von Pluralismus gekennzeichnet ist. Da ist Dialog umso wichtiger. Es kann etwas Schreckliches passieren, aber dann ist es wichtig, das in einen Diskurs überzuführen, wo ich denen, die sich verletzt fühlen, zeige: Ich kann verstehen, dass du verletzt bist.

Kolundzic: Wir leben heute in einer Welt, in der viele gegen das Christentum oder auch den Islam das Wort ergreifen. Natürlich leben wir in einer pluralistischen Gesellschaft, aber wir sind immer noch in der Mehrheit, die religiöse Empfindungen und Einstellungen hat und sich oft von einer Minderheit angegriffen fühlt. Von einer Minderheit, die hier einen Kampf führt gegen christliche oder auch muslimische Werte, die eben traditioneller Art sind. Ich glaube nicht, dass das eine große Masse ist.

Die Furche: Ist aber nicht die Kunst nicht per se eine Minderheitsposition?

Baghajati: Beim Kampf um Meinungsfreiheit und die Freiheit der Kunst ging es darum, ein Recht der machtlosen Minderheit gegenüber einer Mehrheit zu definieren. Bei den Vorgängen in Dänemark nach den Mohammed-Karikaturen wurde das umgekehrt ausgespielt: Da war eine Mehrheit an der Macht, auch meinungsmachend, bestimmend gegenüber einer Minderheit.

Schörghofer: Religionen sind keine statischen Größen. In Österreich sind zur traditionellen katholischen Kirche die Muslime und auch die Serbisch-orthodoxen dazugekommen. Wir haben oft den Eindruck, dass die Muslime noch einiges zu lernen haben. Außerdem ist das Wissen umeinander sehr wichtig, und dass man einen gewissen Respekt vor Religion hat - an dem hapert es manchmal. Aber man könnte manche Dinge mit Humor betreiben: Möglicherweise hat Mohammed den Mist vor seiner Tür unter die Erde gemischt, das macht ja fruchtbar. Dieser Humor fehlt mir oft …

Baghajati: … und wir haben noch zu wenig auf den Punkt gebracht, dass gerade die Verteidigung des Zelebrierens von Blasphemie von einer Seite kommt, die mit Religion nichts mehr anfangen kann. Und da aber oft in einen Gestus fällt, den sie gerade den Religionen ankreidet, nämlich der absoluten Wahrheit: "So wie wir es machen, wir sind das aufgeklärte Nonplusultra, besser geht es nicht - ihr habt das gefälligst zu kapieren. Und darum tun wir euch weh!“ Gegen diesen Absolutheitsanspruch haben die Religionsgemeinschaften im Laufe der Zeit eine gewisse Demut entwickelt.

Kolundzic: Natürlich wollen auch die Christen, dass durch die demokratischen Verfassungen die Minderheiten geschützt werden. Aber diese Rechte dürfen nicht so interpretiert werden, dass dann die Minderheit eine Mehrheit terrorisiert. Natürlich ist Kunst immer eine Minderheit, in dem Sinn, dass ein Künstler herausgeht und sich etwas im Sinne seiner künstlerischen Freiheit erlaubt. Aber genau da ist auch die Gefahr, dass Grenzen überschritten werden, wo genau diese Mehrheit mit dieser Aussage verletzt wird. Hier haben wir die Tendenz, dass diese Werte, für die die Kirche steht, zurückgedrängt werden als etwas Reaktionäres.

Schörghofer: Ich habe sehr viel mit Künstlern zu tun und komme da unwillkürlich an die Grenze, wo es ein wenig heikel wird. Aber ich habe immer sehr viel gelernt, wenn man sich darauf eingelassen hat. Man muss natürlich etwas davon verstehen. Otto Mühl zum Beispiel ist sowieso verurteilt worden, wegen Missbrauch. Seine Bilder sind künstlerisch schwach, da muss man sich nicht extra noch aufregen. Hermann Nitsch hingegen ist jemand, der wird in diesem Kontext sehr oft erwähnt, weil er sich sehr stark auf die katholische Liturgie bezieht. Es gibt da natürlich manche Momente, die ich nicht verteidigen möchte. Aber im Großen und Ganzen ist es ein respektables Werk. Man kann auch viel lernen für die Liturgie. Zum Beispiel das kraftvolle In-Szene-Setzen von Inhalten. Bei Siegfried Anzinger sage ich dann: Warum kann man nicht sehen, dass ein Schwein gekreuzigt wird? Warum muss man im Schwein gleich Jesus sehen?

Kolundzic: Ja, warum musste der Künstler das Schwein kreuzigen? Er hätte die Gewalt gegenüber Tieren, die wir natürlich verurteilen, auch anders darstellen können. Das ist die Frage! Da muss man jegliche Naivität über Bord werfen. Ja, er will, dass wir uns drüber Gedanken machen sollen. Es ist ganz eindeutig, was hier propagiert wird. Wenn jemand drauf schaut, auch wenn er kein Christ ist, weiß er sofort, wer damit gemeint ist. Das ist schon ein Problem.

Schörghofer: Aber es könnte doch sein, dass man auf diese Weise einen zentralen Inhalt neu wahrnehmen lernt. In so vielen Räumen hängen Kreuze mit einem Plastik-Christus - also nullachtfünfzehn. Das bringt gar nichts mehr zum Ausdruck vom Erschreckenden dieses Bildes. Die Künstler bringen das wieder hinein.

Die Furche: Wie sollte die Gesellschaft mit Provokation durch Kunst umgehen?

Kolundzic: Wir leben in einer freien Gesellschaft, und man soll auch nicht im Vorfeld diese Freiheiten einschränken. Aber wenn gewisse Grenzen überschritten werden aufgrund einer missverstandenen Freiheit, dann muss man auch eine Gelegenheit haben, im Dialog diese andere Position darzustellen und zu sagen: Ja, das war jetzt zu viel, das hat unsere religiösen Gefühle verletzt. Das fehlt meiner Meinung nach in der Gesellschaft - dass auch die Christen, die anders denken als gewünscht, zu Wort kommen.

Schörghofer: Schweigen ist ja schon eine Reaktion. Auch Jesus hat am Schluss geschwiegen. Und das mit der Punk-Band in Moskau hat sich ja nicht gegen Gott gerichtet, sondern meines Wissens gegen Putin. Es gibt da halt anscheinend eine unglückliche Verflechtung von Religion und Politik.

Kolundzic: Aber das basiert ja auch auf Unwissen. Also selbst wenn es ein Angriff gegen Putin war: Putin ist nicht Teil der russisch-orthodoxen Kirche, er ist ein Staatsmann.

Schörghofer: Aber er ist ein Gläubiger.

Kolundzic: Aber das rechtfertigt so einen Auftritt in der Kirche nicht. Das war ja ein bewusster Angriff gegen seine Gefühle. Das hat nichts mit politischem Protest zu tun.

Schörghofer: Ich finde es eigentlich gar nicht so sinnvoll, sich immer gleich zu Wort zu melden. Wozu denn? Man kann manche Dinge auch wirklich im Schweigen belassen, und die erledigen sich dann auch von selber.

Baghajati: Das erinnert an einen Koranvers, wo steht: Wenn ihr leeres Gerede hört, dann geht vorbei und erbietet den Friedensgruß.

Schörghofer: Für manche Dinge wird durch die Aufregung ja auch Werbung gemacht. Wir leben ja in einer völlig durchkommerzialisierten Gesellschaft.

Kolundzic: Mir geht es nicht darum, den Provokateur zu neutralisieren. Sondern es geht darum, die eigenen Leute zu positionieren. Die Kirche sollte Stellung beziehen, um den eigenen Leuten zu sagen: Ja, wir artikulieren eure Meinung, wir verteidigen sie. Wir können nicht schweigen, wenn die Grenzen von Gut und Böse verwischt werden.

Schörghofer: Für mich ist Blasphemie eigentlich nicht, dass jemand etwas gegen Gott sagt. Blasphemie ist die Art und Weise, wie zum Beispiel der Kapitalismus gelebt wird. Oder wie in Russland etwa unter Putin - das hat Diktaturcharakter! - gelebt wird …

Kolundzic: … die sind aber von dieser "Diktatur“ freigelassen worden!

Baghajati: Sie meinen: Es ist eigentlich Gotteslästerung, wenn gravierende soziale Ungerechtigkeit existiert!

Schörghofer: Das ist wahre Gotteslästerung: Dass die Schwachen unterdrückt und ganz bestimmte Leute bevorzugt werden. Dass eine Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht … Und dagegen muss man angehen.

(Mitarbeit: Julia Kernbichler)

Die Diskutanten

Gustav Schörghofer

Der Jesuitenpater und Kunsthistoriker ist Pfarrer von Lainz-Speising in Wien. Er zählt zu den bekanntesten Brückenbauern zwischen katholischer Kirche und zeitgenössischer bildender Kunst und ist Juryvorsitzender des Otto-Mauer-Preises.

C. Amina Baghajati

Carla Amina Baghajati ist Mitgründerin der "Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen“. Sie fungiert als Frauenbeauftragte der Islamischen Glaubensgemeinschaft sowie als Lehrbeauftragte an der Islamischen Religionspädagogischen Akademie.

Mirko Kolundzic

Der serbisch-orthodoxe Christ ist Pressesprecher der Orthodoxen Bischofskonferenz in Österreich, in der alle hierzulande ansässigen orthodoxen Kirchen vertreten sind. Kolundzic betreut auch die Orthodoxe Kirchenzeitung für Österreich.

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