GOTT-LOS glauben

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Der aktuelle Religions-Diskurs gewinnt neue Qualität: Auch Atheisten wollen "religiös" sein. Gläubige sollten diese Debatte keinesfalls abtun.

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Der aktuelle Religions-Diskurs gewinnt neue Qualität: Auch Atheisten wollen "religiös" sein. Gläubige sollten diese Debatte keinesfalls abtun.

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Wenn die Leitmedien von der Alster zeitgleich ein Thema in den Fokus rücken, dann ahnt der gelernte Debattenverfolger, dass etwas in der Luft liegt: Letzte Woche titelte der Spiegel mit "Die Zukunft der Religion: Glaube ohne Gott". Und schon zuvor, in ihrer Pfingstausgabe, rückte die Zeit "Suche Segen ohne Gott" auf ihre Titelseite; der zugehörige Beitrag handelte von Ritualen rund um Geburt, Heirat und Tod, die viele Menschen "jenseits der Kirche" suchten - und auch bekämen.

Man muss nicht immer alles, was aus Hamburg in die deutschsprachige Debattenkultur eingespeist wird, gleich zum diskursiven Olymp erklären. Aber mit den obigen Beispielen wurden sehr wohl Entwicklungen aufgezeigt, die nicht nur in der Luft liegen, sondern sich bereits als manifest erweisen: Nach Jahren aggressiver Religionskritik, in denen Protagonisten wie der britische Evolutionsbiologe Richard Dawkins ("Der Gotteswahn") religiöse Menschen als ihrer Sinne nicht mächtig erklärten, tun sich mehr und mehr Brücken zwischen Nichtglaubenden und der Religion auf. Im diesbezüglich sehr lesenswerten, eben erschienenen Sonderheft "Gottlos?" der renommierten (katholischen) Monatsschrift Herder Korrespondenz, spricht der Salzburger Fundamentaltheologe Gregor Hoff gar von "frommen Atheisten".

Von frommen Atheisten

Auch in der FURCHE hat dieser Diskurs schon Spuren hinterlassen. So kanzelte der atheistische Philosoph Franz Josef Wetz intellektuelle Berserker wie Dawkins als "religiöse Analphabeten" ab und prognostizierte, dass Europa auf eine "Gesellschaft ohne Gott" zusteuere, wobei Wetz dabei die Bedeutung von Religion keineswegs schlecht machen will (FURCHE 13/2013). Auch das Buch des niederländischen "atheistischen Pfarrers" Klaas Hendrikse, "Glauben an einen Gott, den es nicht gibt"(FURCHE 13/2013), oder der Zugang des französischen Philosophen Alain de Botton in "Religion für Atheisten"(FURCHE 47/2013) deuteten an, dass die Auseinandersetzung mit den Gott-losen über das Stadium aggressiver Religionsfeindschaft hinausweist.

Eine Entwicklung, der durchaus ein quasi-ökumenisches Potenzial innewohnt, die also den Keim neuer Gesprächsbasis zwischen etablierter Religion und freischwebenden Formen von "Spiritualität" bis hin zu einem nicht per se religionsfeindlichen Humanismus zeitigt.

Als Schlüsselwerk kann dabei das Buch "Warum ich kein Christ bin" des deutschen Philosophen Kurt Flasch gelten, der sich darin mit den Denkfiguren und Glaubensgrundsätzen des Christentums auseinandersetzt - ganz und gar nicht gehässig, sondern immer wieder sympathisierend, der aber dennoch zum Schluss kommt, dass ein Leben ohne Gott keineswegs sinnlos ist. Es sind Zugänge wie dieser, die zeigen, dass die Front, wie sie die "Naturalisten" - etwa Evolutionsbiologen, welche ihre wissenschaftliche Erkenntnis als unumstößliche "Glaubenssätze" wider den religiösen Glauben zu positionieren suchen - aufgebaut haben, längst brüchig geworden ist.

Selbiges zeigt in grandioser Weise auch das dieser Tage auf Deutsch erschienene "Religion ohne Gott" des 2013 verstorbenen US-amerikanischen Rechtsphilosophen Ronald Dworkin auf, der auch kein gutes Haar an Dawkins &Co lässt. Dieses Buch war auch der unmittelbare Anlass für die Cover-Story des Spiegel: Dworkin zerpflückt darin in bestechender und auch in naturwissenschaftlicher Hinsicht kenntnisreicher Weise die Argumente des religionsfressenden Atheismus. Er rekurriert unter anderem auf das Gedankengebäude von Albert Einstein, der sich selber ja als Atheist positioniert hat und dennoch in seinem Weltverständnis transzendentale Elemente nie bestritten hat. Dworkin versucht etwa, das Streben nach der "Schönheit" physikalischer Theorien mit derartigen Gedankengängen zu korrelieren und sieht überhaupt keinen Anlass, über den Glauben an Gott herzufallen; sondern er versucht seine Religiosität eben ohne Gottesbegrifflichkeit zu erklären. Und ist erkennbar bemüht, auch einen Dialog mit Gläubigen an Gott auf Augenhöhe zu wagen. Man möchte Letzeren nur raten, sich darauf einzulassen.

Der "Glaube" an die Menschheit

Man entdeckt im Übrigen auch in jüngsten Büchern von bislang in der Schublade "Religionsfeinde" Angesiedelten mehr als eine Spur in diese Richtung. Michael Schmidt-Salomon, Vorstand der religionskritischen Giordano-Bruno-Stiftung, zeigt in seinem neuen Band "Hoffnung Mensch" zwar einmal mehr auf, warum die etablierten Religionen falsch liegen. Aber wie er gleichzeitig ein unbändiges Plädoyer für den Menschen, den er als das wunderbarste Lebewesen darstellt, hält, nötigt Respekt ab - zumal er am Ende des Buches seinen "Glauben an die Menschheit", sein "humanistisches Credo" ausbreitet.

Ähnliches lässt sich auch über Franz M. Wuketits' "Was Atheisten glauben" sagen: Der Wiener Evolutionstheoretiker buchstabiert in diesem Buch eine atheistische Deutung des Lebens ebenso wie die daraus folgende Moral wie Ethik - und er spart auch den Umgang mit dem Tod nicht aus.

Der Diskurs ist also eröffnet - und fordert die etablierte Religion heraus: In welche Richtung soll sich die bewegen? Auch da liegen Vorschläge bereits auf dem Tisch. Der deutsche evangelische Theologe Hans-Martin Barth hat einige Spuren dazu in seinem Buch "Konfessionslos glücklich" gelegt, das er "Auf dem Weg zu einem religionstranszendenten Christsein" untertitelt hat. Dass dieser Autor dabei in seiner Konfession Vordenker(innen) (Karl Barth, Dietrich Bonhoeffer, Dorothee Sölle ) gefunden hat, kann hier nur angemerkt werden. Es zeigt sich somit, dass die christliche Auseinandersetzung sich auf Altvordere moderner Theologie längst stützen kann.

Religion ohne Gott

Von Ronald Dworkin. Aus dem Amerikanischen von Eva Engels.

Suhrkamp 2014.146 Seiten, geb., € 20,60

Warum ich kein Christ bin

Bericht und Argumentation

Von Kurt Flasch.

C. H. Beck 2013.280 Seiten, geb., € 20,60

Hoffnung Mensch

Eine bessere Welt ist möglich

Von Michael Schmidt-Salomon.

Piper 2014.368 Seiten, geb., € 20,60

Was Atheisten glauben

Von Franz M. Wuketits.

Gütersloher Verlagshaus 2014.192 Seiten, geb., € 20,60

Konfessionslos glücklich

Von Hans-Martin Barth.

Gütersloher Verlagshaus 2013. 272 Seiten, geb., € 20,60

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