Kreuz - © Foto: Pixabay

Gott nach dem Kommunismus

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"Gott nach dem Kommunismus" war das Thema einer pastoraltheologischen Untersuchung in den zehn nachkommunistischen Reformländern: Litauen, Polen, Ukraine, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Rumänien, Slowenien, Kroatien und Ostdeutschland.

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"Gott nach dem Kommunismus" war das Thema einer pastoraltheologischen Untersuchung in den zehn nachkommunistischen Reformländern: Litauen, Polen, Ukraine, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Rumänien, Slowenien, Kroatien und Ostdeutschland.

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Miklos Tomka, mit dem Wiener Pastoraltheologen Paul M. Zulehner hauptverantwortlich für das Projekt, interpretiert im Furche-Gespräch das "Religions"-Gefühl im östlichen Europa.

Die Furche: Worin liegen in den einzelnen Reformländern die Unterschiede in bezug auf Religion?

Mikl'os Tomka: In der Art der Religiosität. In Rumänien, zum Teil in Kroatien und der Westukraine ist das Transzendente, das Übernatürliche eine absolute Selbstverständlichkeit. Also eine Art mittelalterlicher Glaube, von dem man nicht denken würde, daß er noch existiert. Allerdings geht es hier um eine kulturelle Selbstverständlichkeit, welche keineswegs automatisch Konsequenzen für den Alltag oder moralischen Bereich nach sich zieht. Die Verbindung zwischen persönlicher Einstellung und Religion ist nicht vorhanden.

dieFurche: Wie stark hat der Atheismus in Osteuropa Fuß gefaßt?

Tomka: Eine Generation wurde atheistisch erzogen. Das heißt, ein rein traditionelles Christentum wurde in sehr vielen Fällen abgebrochen. Hier konnte ein ebenso unreflektierter Atheismus eingepflanzt oder indoktriniert werden. Einen Mehrheitsatheismus gibt es in Ostdeutschland und Tschechien - sonst nirgends. Und praktisch keinen Atheismus in Rumänien, kaum einen in Kroatien und Litauen.

dieFurche: Sie diagnostizieren aber einen "differenzierten Atheismus".

Tomka: In unserer Untersuchung haben wir uns nicht einfach mit der Pauschalantwort: "Ich glaube nicht an Gott", begnügt, sondern umfassender gefragt. Dann stellt sich heraus, daß sehr viele Menschen, die zuerst sagen, sie glauben nicht an Gott, in einem anderen Zusammenhang zu erkennen geben, daß sie doch ohne Vorbehalte an so etwas wie Gott glauben. Generell herrscht in vielen Köpfen ein Chaos. Und wir waren gezwungen, die Aussagen zu ordnen: Neigt dieses Chaos eher zur Verneinung Gottes oder eher in die andere Richtung? Und da können ganz klare Abstufungen gemacht werden.

dieFurche: Erlebt der Osten zur Zeit eine christliche Renaissance?

Tomka: Das Wort "Renaissance" ist für mich zu hochtrabend. Es gibt sehr kleine aber wachsende christliche Gruppen, in Tschechien fünf Prozent, in Ungarn 15 Prozent, in Slowenien bis zu 20 Prozent, die wirklich mit Leib und Seele versuchen Christen zu sein. Eine Gruppe, die in der Lage ist, das Christsein im eigenen Kreis zu tradieren, und die Beispielfunktion für die Gesellschaft hat. Und da in den meisten osteuropäischen Ländern die Gesellschaft nicht sehr strukturiert ist, kann eine markante Gruppe von zehn Prozent eine ganz wichtige Funktion haben.

dieFurche: Wie stark sind Sekten und fundamentalistische Strömungen?

Tomka: Die Sekten liegen überall unter zwei Prozent. Auch wenn es hier und da spektakuläre Entwicklungen gibt, in keinem dieser Länder sind Sekten ein wichtiger Faktor. Mit den Fundamentalismen ist es etwas anders: Die neue Vielfalt empfinden sehr viele als Bedrohung, als "Libertinismus", als "grenzenlose" Freizügigkeit. Daher gibt es bei Bischöfen, bei Priestern, bei Gläubigen aller Bildungsschichten derartige Fundamentalismen. Trotzdem handelt es sich dabei weder um eine Gegenkirche, noch krempeln sie die Kirche um.

dieFurche: Ist die ehemalige Verfolgung der Kirchen heute ein Thema?

Tomka: Darin liegt eine Ursache innerkirchlicher Spannungen: Die Jungen haben die Verfolgung nicht mehr erlebt; die Alten schämten sich, fühlten sich gedemütigt, und über die eigene Demütigung spricht man nicht so gern. So wuchs die jüngere Generation auf, ohne hinreichend informiert zu sein. Heute tun die Jüngeren Verfolgungsberichte sehr oft als Märchen, im besten Fall als längst vergangene Geschichte ab. Und es gibt auch Differenzen, zwischen Priestern und Laien, die diese Verfolgung sehr verschieden erlebt haben.

dieFurche: In den Reformstaaten ist auch die Forderung der Kirche nach Rückgabe ihrer Güter ein heißes Thema.

Tomka: In manchen Ländern wäre nach der Rechtslage die Restitution die einzig legitime Lösung. Allerdings das Recht ist eine Sache, und eine ganz andere Sache ist das moralische Empfinden der Menschen. Und die Menschen lernten 40 Jahre lang, daß die Kirche nichts besaß, es gab nur relativ kleine soziale Differenzen. Viele Menschen sind nun empört über das Anwachsen dieser sozialen Differenzen. In dieser Situation sind Restitutionsforderungen - welcher Art auch immer - sehr gefährlich, weil die Menschen das nicht hinreichend verstehen und meinen, ihnen werde da etwas weggenommen.

dieFurche: Welche Ergebnisse Ihrer Untersuchung haben Sie überrascht?

Tomka: Erstens, daß die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern größer sind, als wir gedacht haben. Zweitens, daß in der Gottesvorstellung der jüngeren Generation eine massive Verschiebung zum unpersönlichen Gott, zur unpersönlichen Macht festzustellen ist. Drittens, daß - trotz aller Aufbruchstendenzen - die religiöse Kultur schon stark geschwächt ist. Weniger überraschend, aber immer wieder erschütternd ist das Fehlen einer christlichen Bildungsschicht. Nicht in Polen, aber in allen anderen Ländern. Natürlich weiß man, daß Christsein nicht durch Bildung vermittelt wird. Trotzdem: Wie kann eine europäische Kultur wiederhergestellt werden, in Ländern, in denen die Bildungsschicht grundfalsche Vorstellungen von Christsein und 2000 Jahren Christentum hat?

dieFurche: Welche Maßnahmen sollten Kirchen im Osten ergreifen?

Tomka: Jene Länder, die ich die "modernen" nenne (Slowenien, Ungarn, Tschechien, Ostdeutschland), sind in einer ganz klaren Missionssituation - mit einer sehr kleinen christlichen Minderheit. Diese Länder müssen aufwachen und wahrnehmen, daß die sozialen Mechanismen der traditionellen Religion nicht existieren. Wenn die Kirchen in diesen Ländern überleben wollen, dann müssen sie solche gemeinschaftliche Strukturen schaffen, wo das Christsein tradiert werden kann. In den anderen Ländern, die im Augenblick bis gut 200 Jahre hinter der westeuropäischen Gesellschaftsentwicklung zurückliegen, die aber jetzt auch vom Wirbelwind der Globalisierung und der EU erfaßt werden, stellt sich auch für die Kirchen die große Frage, ob sie sich auf diesen schnellen Wandel einstellen können, ob sie hinreichende Hilfe bekommen, und ob sie die Unvermeidlichkeit des Wandels akzeptieren.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

Zur Person Soziologe, vorher Hilfsarbeiter Miklos Tomkas Biographie ist geprägt von den Schwierigkeiten eines Christen im Ostblock: Tomka, Jahrgang 1941, wurde zwischen 1950 und 1954 gemeinsam mit seiner Familie von Budapest in eine nordungarische Siedlung deportiert. Nach Abschluß der Grundschule verwehrte man ihm den Besuch der staatlichen Oberschule. An die Universität durfte er trotz bestandener Aufnahmsprüfung nicht. Über den Umweg des Hilfsarbeiters und Buchhalters in landwirtschaftlichen Genossenschaften gelang ihm schließlich der Weg zum Studium der Volkswirtschaft und Soziologe. Mehrere Studienaufenthalte im Ausland folgten. Zur Zeit ist Tomka Direktor der Religionssoziologischen Forschungsstelle des Ungarischen Pastoralinstitutes und Dozent für Religionssozologie an den Hochschulen Budapest und Szeged.

RELIGION IN DEN REFORMLÄNDERN OST(MITTEL)EUROPAS.

Von Miklos Tomka und Paul M. Zulehner. Schwabenverlag, Ostfildern 1999. 244 Seiten, brosch., öS 350,

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