Gott oder Darwin? Beide!

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Die Evolutionstheorie gilt fundamentalistischen Christen wie fundamentalistischen Darwinisten als Gegenstück zur Schöpfung. Dabei war die biblische Schöpfungsgeschichte ursprünglich selbst ein revolutionärer Bruch.

Die Alternative ist bekannt: Glaubst du an die Bibel oder an Darwin? Wer auf die Bibel setzt, gilt bei Darwin-"Gläubigen" als wissenschaftsfeindlich und hinterwäldlerisch. Ein Blick in die Geschichte zeigt jedoch, dass es sich bei Darwinismus und christlichem Schöpfungsverständnis um Geschwister handelt, die sich ähnlicher sind, als man glaubt.

Ein Naturwissenschafter, der die Entstehung des Lebens untersucht, darf nicht mit Gott rechnen andernfalls wäre er kein Wissenschafter. Schließlich könnte eine spätere Erkenntnis doch zeigen, dass ein natürlicher Vorgang ein bisher unverständliches Phänomen erklären kann. Ein Blick in die Bibel bereichert: Bereits in den Psalmen steht (Ps 14,1): "Die Toren sagen in ihrem Herzen: Es gibt keinen Gott." Ein Wissen um Gott war damals nicht zwingend aus der Schöpfung ableitbar. Dabei sollten wir es auch heute belassen.

Entmythologisierung

Die Tragik liegt für den Historiker in einem anderen Aspekt: Man übersieht von christlicher Seite die ursprüngliche Funktion des ersten biblischen Schöpfungsberichts. Verzweifelt in den Text verkrallt, sucht man Gottes Finger in der Entwicklung des Lebens, blind dafür, dass es sich bei diesem Text ursprünglich um eine höchst aufklärerische und entmythologisierende Erzählung gehandelt hat. Dass nicht nur ein, sondern zwei Schöpfungsberichte in der Bibel zu finden sind, ist an dieser Stelle zweitrangig. Viel wichtiger ist, dass dieser Text vor rund 2500 Jahren entstanden ist. Dass dieser Text dem damaligen Wissen um die Natur entspricht, ist eine derartig banale Aussage, dass man sich fast schon geniert, es überhaupt zu erwähnen. Trotzdem wird heute zuweilen dieser Text völlig aus seinem historischen Kontext gelöst und mit Kategorien der Moderne gedeutet.

Nach dem Schöpfungsbericht vollzieht sich die Erschaffung der Welt in sieben Tagen, das Verhältnis von sechs Arbeits- und einem siebten Ruhetag wird als ein Anspruch, der für alle Menschen gilt, durch das Vorbild des Handelns Gottes sakral legitimiert. Das war in der Antike revolutionär!

Ein weiterer, wichtiger, wenn nicht der entscheidende Aspekt ist jedoch die Betonung der Geschaffenheit des ganzen Universums. Wissen die Gegner des Darwinismus überhaupt, was ein solcher Text in der damaligen Welt bedeutete, in der es nur so von Naturgottheiten wimmelte? Das war eine revolutionäre Entmythologisierung der antiken Welt! Da blieb kein Stein auf dem anderen! Verglichen damit ist die durch den Darwinismus hervorgerufene Revolution unseres Weltbildes eine müde Geschichte: Der Sturm, der ein Boot auf dem Meer in seiner Gewalt hat, das ist kein Gott, das ist nur eine Naturgewalt. Der Nil, der jeden Sommer auf geheimnisvolle Weise zur trockensten Zeit anschwillt und Ägypten Nahrung und Reichtum schenkt, ist kein Gott, sondern geschaffene, unbelebte Natur und dabei waren Priester in Ägypten nur damit beschäftigt, durch ihren Dienst den göttlichen Segen, der durchs jährliche Hochwasser auf Ägypten ruhte, herabzurufen. Als dann im Jahr 391 n. Chr. ein Kultbild des Sarapis vernichtet wurde, weil man von christlicher Seite diesen Zauber ablehnte, war Ägypten geteilt. Viele befürchteten, dass das Hochwasser des Nils ausbleiben würde. Nun, es kam wie jedes Jahr. Allerdings kam in diesem Jahr noch mehr Wasser als gewöhnlich. Pech für die dadurch arbeitslos gewordenen Priester.

Der Laientheologe Prudentius spottet zu Beginn des 5. Jahrhunderts: "In den Wundern der Erde und des Meeres suchen sie Götter." Das ist eine radikale Entmythologisierung der Welt! Und wahrscheinlich würde sich dieser Mann heute darüber wundern, dass man in der Ursuppe stochert und dort einen Schöpfergott zu finden hofft. Hier fischt man im Trüben. Damals redete man von Gott als dem, der jedes menschliche Erkennen übersteigt und bis heute weigern sich die ostkirchlichen Traditionen aus diesem Grund, Gott darzustellen.

Das Anliegen der biblischen Schöpfungsgeschichte war die radikale Entmythologisierung dieser Welt. Mit dem Ende des religiösen Pluralismus in der Antike und dem Sieg des Christentums verschwand dieser revolutionäre Aspekt des Schöpfungsberichtes völlig aus dem Blickfeld: In einer Welt, in der es keine Götter mehr gab, musste diese Funktion des Textes in Vergessenheit geraten. Und so wurde der Text neu gedeutet und gelangte in Widerspruch zur Wissenschaft.

Ambivalentes Verhältnis

Und so stehen heute Kirchenlicht und Leuchte der Wissenschaft, so will es scheinen, einander gegenüber: Der Darwinist Richard Dawkins schart Menschen um sich, die sich aufgrund dieser Entwicklungslehre des Lebens zum Materialismus bekennen, und bezeichnet sie als "bright", also als "hell" oder "blitzgescheit". Gerade weil es sich bei Dawkins um einen Wissenschafter handelt, schockiert um so mehr, dass sich in seinem Werk "God Delusion" Formulierungen finden, die eigentlich nur bei einem religiösen Fanatiker zu erwarten sind. Das jüdisch-christliche Gottesbild unter Bezugnahme vor allem auf den ersten Teil der Bibel polemisch zu verzerren und gar den Gott der Bibel einen "psychotischen Verbrecher" zu nennen ("psychotic delinquent"), darf man getrost als geistige Brandstiftung bezeichnen. Jede Form von Religion ist für Dawkins der Nährboden, auf dem Extremismus gedeiht. Auch hier die Ähnlichkeit: Der Wissenschafter wird zum fanatischen Prediger! Als Historiker sieht man solche Ansichten als Gefahr für eine offene Gesellschaft.

Die Schöpfung ist aus biblischer und theologischer Sicht so weit von Gott losgelöst und selbständig, dass eine eindeutige und unwiderlegbare Gotteserkenntnis aus der Schöpfung unmöglich ist. Der Christ bekennt im Glaubensbekenntnis seinen Glauben (!) an Gott, den Schöpfer der Welt. An einem anthropomorphen Gottesbegriff festzuhalten, um die Schöpfung gegen die Wissenschaft zu "verteidigen", ist kontraproduktiv. Die Kirchenväter des 4. Jahrhunderts dachten von Gott abstrakter. Von ihnen könnte man lernen. Auch ist es hilfreich, die Bibel in ihrem historischen Kontext zu lesen. Dies würde den Dialog mit der Wissenschaft positiv befruchten. Nur dies berechtigt die Theologie, einen naturwissenschaftlich begründeten Materialismus als Grenzüberschreitung zu bezeichnen. Denn eine naturwissenschaftliche Betrachtung der Natur muss die Frage nach Gott aus methodischen Gründen ausschließen. Daher liegen mögliche Antworten außerhalb ihrer Methode.

Der Autor ist Kirchenhistoriker u. forscht, vom Wissenschaftsfonds gefördert, in der Papyrussammlung der Österr. Nationalbibliothek

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