Gottes Weisung heraus gerufen

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Ein Professor als Prophet: Frank Crüsemanns Plädoyer fürs Alte Testament.

Professoren sind keine Propheten, insbesondere wenn sie als gut bezahlte Beamte in ihrer gemütlichen Studierstube Theologie betreiben. Sie forschen im akademischen Elfenbeinturm - so ein erstes, weit verbreitetes Vorurteil. Das Alte Testament verherrlicht Gewalt, ist frauenfeindlich, fordert und fördert eine buchstäbliche Gesetzesbefolgung, so eine weitere, immer noch nicht auszurottende christliche Grundeinstellung.

Das Buch "Maßstab: Tora" vermag beide Pauschalurteile schon beim Überfliegen der Titel der zwanzig Beiträge zu falsifizieren. Der Band vereinigt Vorträge aus zwei Jahrzehnten, die Frank Crüsemann, emeritierter Professor für Altes Testament an der evangelischen Hochschule Bethel, bei verschiedensten Gelegenheiten gehalten hat - auf Kirchentagen und Delegiertenversammlungen, bei Tagungen von Gefängnisseelsorgern und politischen Ausschüssen.

Zwei Hauptanliegen prägen Crüsemanns theologisches Forschen und sein engagiertes prophetisches Auftreten. Zum einen möchte er in immer neuen Versuchen die Christen auf ihre religionsgeschichtliche, ja religiöse Basis im Judentum, im Ersten Testament aufmerksam machen. Zum anderen fühlt er sich gedrängt, aus diesen sehr alten Texten heraus Gottes weise Weisungen für die Probleme der Gegenwart und der Zukunft heraus zu lesen und die Gläubigen entsprechend zu pro-vozieren, heraus zu rufen, zu motivieren.

Die Gerechtigkeit Gottes ist kein Gegensatz zu Barmherzigkeit und Liebe, sie ist vielmehr in beiden Teilen der christlichen Bibel Ursache und Maßstab für ein gelingendes Miteinander der Menschheit. Der Dekalog - die Zehn Gebote - kann nur mit der Präambel: "Ich bin Gott, der dich befreit hat" als Grundlage jeglicher Ethik verstanden werden.

Der (gewaltlose) Kampf gegen die Gewalt in den Strukturen der modernen Wirtschaft und Gesellschaft - gegen Frauen, gegen Fremde und Asylanten -, die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit und Solidarität leitet Crüsemann überzeugend aus den Texten des Alten Testaments ab. Selbst die Beiträge zur pluralistischen Religionstheologie, zu den Widersprüchen der Globalisierung oder zur schulischen Bildung und Erziehung klingen überzeugend und motivierend, hochaktuell.

Wer von einem gelehrten Professor wenig Text und viele Anmerkungen gewohnt ist, wer für den akademischen Betrieb trockene, sachliche Aussagen, und diese nach Möglichkeit in für Laien unverständlicher Fachsprache erwartet, wird durch dieses Buch überrascht. Aber was soll man eigentlich von einem Theo-Logen Besseres erwarten als das gesprochene, überzeugende, wirksame Wort, das die Welt verändert?

MASSSTAB: TORA Israels Weisung für christliche Ethik Von Frank Crüsemann.

Verlag Chr. Kaiser/Gütersloher Verlagshaus, München 2003, 300 Seiten, brosch., e 29,80

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