Gottesmann auch auf hoher See

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Hans Bensdorp, pensionierter Pfarrer in Wien, hat einen Zusatzjob: Er ist einer von etwa dreißig deutschsprachigen Kreuzfahrt-Seelsorgern.

Wer am Vorstellungsabend nicht dabei war, errät die Funktion des schlanken grauhaarigen Mannes in Hemd und Leinenhose auf dem Oberdeck des schneeweißen Ozeanriesen kaum. Der Vorstellungsabend an Bord steht immer am Beginn jeder neuen Etappe einer Kreuzfahrt.

An jenem Abend hatte sich der Clown mit ein paar Gags präsentiert, der Bauchredner einige Sätze gesagt, ohne den Mund zu verziehen, und mittendrin hatte sich jener jugendlich wirkende Herr vorgestellt: Hans Bensdorp, 67 Jahre alt, pensionierter katholischer Pfarrer aus Wien, Bord-Seelsorger für den nächsten Abschnitt der Reise.

Angst vor der neuen Aufgabe? "Überhaupt nicht“, sagt Bensdorp. "Vielmehr neugierig: Wie funktioniert das, wie gehen sie mit einem um?“ Offenbar ganz gut, und da der Seelsorger an Bord organisatorisch zu den Künstlern gehört, wohnte er auch während seiner ersten Kreuzfahrt in einer der Künstlerkabinen hinter der Bühne: "Der eine Nachbar war der Zauberer, der andere der Clown, und über dem Gang wohnten ein paar Sängerinnen. Das hatte den Vorteil, dass man sich ständig getroffen hat, und wir uns auf dieser Reise sehr gut kennengelernt haben.“ Man ist von Anfang an miteinander per Du und wird von den Künstlern ernst genommen: "Der Pfarrer gehört dazu. Punkt.“

Nicht nur entspannende Wochen auf See

Bensdorp reist gerne. Irgendjemand hatte ihn auf die Möglichkeit der Kreuzfahrtseelsorge aufmerksam gemacht, als er sich, nun in Pension, nach neuen Herausforderungen umsah. "Ich wollte nicht etwas machen, was nur Arbeit ist“, sagt er. Flucht vor der beruflichen Enge daheim? Vor dem Ärger mit der Amtskirche, weshalb Bensdorp stellvertretender Vorsitzender der "Pfarrer-Initiative“ geworden ist? Er verneint entschieden: "Bestimmt nicht. Ich habe auch auf meinen bisherigen zwei Kreuzfahrten die Pfarrer-Initiative mit keinem Wort erwähnt.“

Und so steht er erstmals vor der MS Artania am Kai von Bremerhaven, von wo aus der weiße Kreuzer an Spanien und Portugal entlang das Mittelmeer und schließlich Genua ansteuern soll. Aber anders als bei den übrigen Reisegefährten rundum ist es bei ihm nicht nur Vorfreude auf entspannende zwei Wochen auf See, zumindest nicht nur. Bensdorp zögert, wie er seine zwei Reisen für sich verbuchen soll. "50 zu 50“, sagt er dann, "vielleicht sogar ein bisschen mehr Urlaub.“

Täglich eine Morgenandacht, am Sonntag ein Gottesdienst, mit den Passagieren ins Gespräch kommen, da sein für ihre Sorgen und Nöte - das sind seine Aufgaben in den nächsten Tagen. Entlohnt wird er dafür nicht, er muss aber auch nichts für die Reise bezahlen. Mehrere deutsche Reedereien legen Wert auf geistliche Betreuung während der von ihnen angebotenen Kreuzfahrten. So ist annähernd in einem 14-Tage-Rhythmus, entsprechend den Abschnitten einer Reise, abwechselnd ein evangelischer und ein katholischer Seelsorger an Bord der Schiffe.

Hans Bensdorp, 1945 in den Niederlanden geboren, stammt aus der Dynastie eines bekannten Schokoladenerzeugers und wurde 1971, als er noch Theologie studierte, Österreichs erstes Entführungsopfer.

Missionarischer Eifer unangebracht

Am Vorstellungsabend hat er die Mitreisenden an Bord zum geistlichen Angebot eingeladen: Rund 1000 Menschen verbringen auf so einem eleganten Kreuzfahrtschiff Tage, Wochen, bisweilen Monate. Zur täglichen Andacht kommen rund 20 Passagiere, bei der Sonntagsmesse sind es etwa 70, mitunter sogar 100. Die meist ruhige Fortbewegung im unendlichen Blau macht gelassen, missionarischer Eifer fiele an Bord unangenehm auf: "Das Angebot muss eben auch zu allen anderen Dingen passen.“

Der Tagesablauf für den Schiffsseelsorger ist unterschiedlich. An einem Seetag hat er nach der Morgenandacht Freizeit für sich: "Ich lese, genieße das Deck, mache auch eine gründliche Siesta, was ich mir zu Hause nicht leisten kann. Beim Aperitif kommt man später mit irgendjemandem ins Gespräch.“

Steht ein Landtag auf dem Kreuzfahrtprogramm, sieht es die Reederei gerne, wenn der Seelsorger die Betreuung in einem der Autobusse übernimmt: "Da ich ja immer wieder mit der Pfarre Ausflüge organisiert habe, war das für mich kein Problem.“ Eine Notfalltasche mit Pflastern mitnehmen, zählen, ob alle da sind, mit dem Langsamsten mitgehen, die Gruppe beisammen halten …

Ein paar Monate zuvor war Bensdorp im Konferenzsaal eines Bonner Hotels gesessen, wo es einmal im Jahr um die Verteilung der Reisen geht, für die geistliche Begleitung gesucht wird: Rund 30 katholische Geistliche brüten da angestrengt über ihren Terminkalendern. Melden sich zwei oder mehr Interessierte für einen aufgerufenen Termin, entscheidet das Los. "Kreuzfahrtseelsorge“ heißt jene Verlockung für fernsüchtige Kleriker, die vom Auslandssekretariat der Deutschen Bischofskonferenz koordiniert wird. Bei diesem Termin werden die Kandidaten mit Tipps auf ihren Einsatz vorbereitet: Dass man Liedtexte schon daheim zusammenstellen soll. Dass man sich bei den Mahlzeiten stets an einen anderen Tisch setzen soll. Dass man auch mit schweren Erkrankungen rechnen und auf Krankensalbungen vorbereitet sein müsse. "Natürlich hofft man, dass es nicht vorkommt, aber es ist etwas Alltägliches, man ist vorbereitet, nimmt die entsprechenden Gebete mit“, sagt Bensdorp.

Es bleibt ihm bislang erspart. Und so sucht er das Gespräch mit den Menschen: Während seiner ersten Reise, die knapp nach dem letzten Papstbesuch in Deutschland stattfand, war er mit viel Kritik konfrontiert, meist, dass der Papst zu wenig offen für Erneuerung sei. "Auch Evangelische haben sich beklagt.“

Immer wieder kommen Menschen zum Pfarrer, die um ein Gespräch unter vier Augen bitten: Eheprobleme, Probleme mit den Kindern, Glaubensfragen, bis hin zu Beichtgesprächen. "Vielleicht ist es so, dass man auf See, wenn man auf Urlaub ist, mehr zum Denken kommt, mehr zum Überlegen in der Stille. Ein Problem, das von älteren Leuten angesprochen wurde, die erstmals, nachdem sie verwitwet waren, wieder eine Reise wagten, war das "Warum“. Manche plagt schlechtes Gewissen, weil sie sich auf der Reise entspannen. Schließlich gibt es solche, die gleich zu Beginn sagen: "Eigentlich gehe ich nicht in die Kirche, aber ich möchte trotzdem mit Ihnen reden.“ Selbst zu den Gottesdiensten zieht es manchen, der zwar kirchenfern, aber neugierig ist. Die neutrale Atmosphäre auf dem Schiff senkt Hemmschwellen. "Es waren einige dabei, die mir nachher "gebeichtet“ haben, dass sie nie in die Kirche gehen“, erinnert sich Bensdorp.

Schwieriger ist der Kontakt zur Schiffs-Mannschaft, auch wenn sie selbst daran interessiert ist: Sie steht nahezu ständig im Einsatz. "Aber hin und wieder gibt es doch die Möglichkeit, mit ihnen eine Messe zu feiern, was vor allem die philippinischen und polnischen Crew-Mitglieder sehr gerne haben“, sagt Bensdorp. "Das ist dann meistens zu einer unmöglichen Zeit. Einmal hat es geheißen, wir beginnen um 22 Uhr, tatsächlich wurde es halb elf.“

Seelsorger auch für die Crew

Spät am Abend steht der Bordseelsorger wieder mit den Künstlern beisammen, nach deren Auftritten im großen Saal, wo sonntags Gottesdienst gefeiert wird, bei einem Bier an der Bar. Und er lernt sie als Menschen mit entbehrungsreichem Job kennen: "Die sind sechs oder acht Monate auf so einem Schiff, und da sind manche zu mir gekommen mit ihren Sorgen“, erzählt Bensdorp: Die Partnerin ist zu Hause, ich sehe sie solange nicht, wir können nur zweimal in der Woche telefonieren, hoffentlich hält meine Beziehung.

Beim Segensgottesdienst am Schluss der Reise lädt er die Anwesenden ein, um einen persönlichen Segen, etwa für ein Ehejubiläum, zu bitten. "Da sind auch Leute gekommen, die mich um ein Segensgebet ersucht haben, weil zu Hause jemand krank war. Das war sehr berührend und schön.“

Auch in diesem Jahr sticht Hans Bensdorp wieder in See: Im August ist er als Geistlicher bei einer Nordkap-Reise dabei, im Oktober nimmt er an einer Kreuzfahrt von Südafrika nach Madagaskar und Reunion teil.

Ist seine Arbeit auf Schiff eine Art moderne Mission? "Ich würde sagen: ein niederschwelliges Seelsorgeangebot“, sagt Bensdorp. "Wir sind da. Kirche ist zugegen. Du kannst hineinschnuppern, du kannst Kontakt aufnehmen, zuschauen. Du kannst es auch negieren.“

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