Wasted-Lifes- - © Foto: Hermann Glettler

Gottloser Karfreitag – Gottes Schabbat

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Jesu Verlassenheitsruf am Kreuz hallt durch die Geschichte – bis heute ungehört: Wie das Christentum mit der Erinnerung an den „rettenden Schabbat“ die Botschaft der Hoffnung überzeugender verkünden könnte.

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Jesu Verlassenheitsruf am Kreuz hallt durch die Geschichte – bis heute ungehört: Wie das Christentum mit der Erinnerung an den „rettenden Schabbat“ die Botschaft der Hoffnung überzeugender verkünden könnte.

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Aus meiner frommen Demut bin ich erwacht zu rotem, rebellischem Trotz. Ich möchte Dich leugnen, Gott, wenn ich lebendig wäre und nicht vor Dir stünde. Da ich Dich aber mit eigenen Augen sehe und mit meinen Ohren höre, muss ich Böseres tun als Dich leugnen: Ich muss Dich schmähen! … Gegen Dich rebelliere ich, nicht gegen jene. Du bist schuldig, nicht Deine Schergen. Hast Du Millionen Welten und weißt Dir keinen Rat? Wie ohnmächtig ist Deine Allmacht! Hast Du Milliarden Geschäfte und irrst Dich in den einzelnen? Was bist Du für ein Gott!

Diese Zeilen schrieb Joseph Roth 1924 im Roman „Die Rebellion“. Er ließ sie seinen tragischen Protagonisten Andreas Pum sprechen, einen Invaliden und Ausgestoßenen, der nichts mehr zu verlieren hat, sich gegen Gott auflehnt und alles von sich weist, was er bis dahin von günstigem Geschick und vor allem von Duldung gehört hat.

Mit christlicher Duldung eines Karfreitagsopfers oder des Karfreitagsopfers schlechthin ist es hier nichts, mit seiner Erhöhung zu einer Gabe, die die Sünden der Welt hinwegnähme. Sie blieben zurück, sie entfalteten sich, nahmen an Härte zu und ergriffen immer größere Menschenmassen. Die Sublimierung der Hinrichtung als Erlösungsopfer für die Sünden versagt und funktioniert nur in Wohlstandszonen, in denen man es sich leisten will, Elend und Morden zu vergessen.

Entschiedenes Nein ohne Gott

Genau 20 Jahre später, im Jahr 1944, wird Jean Améry in Breendonk der Folter unterworfen. Seine Rebellion traf nicht mehr auf Gott, auch auf keinen überlieferten, weil dieser für ihn keine Realität besaß, im Unterschied zu den Toten. Etwa drei Jahrzehnte nach Folter und KZ schreibt Améry in seinem Essay „Hand an sich legen“: Tote sah ein jeder schon einmal, der Gott bleibt stets in Verborgenheit, das ist der Trick, von dem er lebt. Doch dem harten Verneiner Gottes, zu dem Améry durch die Verlassenheit von Gott und Mensch im Folterkeller und im KZ geworden war, dämmerte im Blick auf den Gekreuzigten eine Botschaft, in der Rebellion und Resignation sich zusammenfassen ließen zu einem entschiedenen Nein, nun jedoch ohne Gott. Dieses Nein fand in der Selbstaufgabe der Existenz, deretwegen es gesprochen und getan wurde, einen traurigen Ausgang; begleitet war es auch durch eine Erfahrung im Blick auf den Gekreuzigten, die ihm beschied, er habe der Todesneigung nachgegeben, so wie ja sein Haupt, am Kreuze der Erde zugeneigt, uns von jedem Abbild ergreifend anspricht; uns wird zumute, als habe der Crucifixus vordem nicht nur aufgeschrien, nach seinem Gotte, von dem er nicht verstand, dass er ihn verließ, sondern auch den Menschen gedeutet: Lasst gut sein, schlecht sein, geht dahin, es ist alles einerlei.

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