Graz - wer hätte das gedacht?

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Einige Beobachtungen über die Steiermark und den Wahltag hinaus.

Nun, Frau Winter hat also "den Nagl" nicht "auf den Kopf" getroffen, wie das die FP-Plakate im Grazer Gemeinderatswahlkampf großspurig verkündeten. Im Wortsinn war das ohnedies nicht zu erwarten gewesen - das hieße die Partei im allgemeinen und Susanne Winter im besonderen maßlos zu überschätzen. Aber auch im von der Parteiwerbung intendierten Sinn funktionierte es nicht: Unter all den Nägeln, die zur Wahl standen - von Walter "Hilfe, wer will mich" Ferk (SP) über die gnadenlos gut und nett wirkende KP-Frontfrau Elke Kahr, die sympathische BoBo-Frau von nebenan Lisa Rücker (Grüne) bis zum unsäglichen Gerald "Wir säubern Graz" Grosz (BZÖ) und der unmöglichen, bereits erwähnten FP-Kandidatin - unter all diesen also blieb der Nagel namens Siegfried siegreich. Unter Blinden hat es der Einäugige leicht, insbesondere wenn er schon König ist.

Man könnte also zur Tagesordnung übergehen, hoffen, dass der symapthisch-alerte, aber allzu geschmeidig-glatte Jungbürgermeister in seiner zweiten Amtsperiode an Ecken und Kanten gewinnt oder jedenfalls - dem Besitzer eines Nobelgeschirrgeschäfts müsste das beizubringen sein - nicht wieder Porzellan zerschlägt, wie er das mit diversen Sagern (Stichworte: Homosexuelle, Bettler, Graz als "Bollwerk im Abwehrkampf gegen die Türken") getan hat - und mit Spannung nach Niederösterreich blicken, wo am 9. März gewählt wird.

Man könnte, aber … "Graz - wer hätte das gedacht?", einer der Slogans der Kulturhauptstadt 2003, hat sich einmal mehr bestätigt. Die schlimme Farce "Winter in Graz" (nicht von Reinhold Schneider) hält doch einige Lehren bereit, welche über die Grazer oder steirischen Grenzen sowie den Wahltermin hinaus von Relevanz sind.

Zunächst die gute Nachricht, frei nach einem anderen "2003"-Motto: (Auch) Graz darf nicht alles. Die verhetzenden antiislamischen Schmähworte von Susanne Winter haben nicht den von der Grazer FP erhofften Wahlerfolg gebracht. Es hat sich schlicht nicht ausgezahlt. Sicher, 3,1 Prozent Zugewinn sind 3,1 Prozent zuviel - aber die böse Saat ist nicht im zu befürchtenden Maß aufgegangen. War das Kalkül mit der gezielten Provokation allzu durchsichtig, kam die Botschaft allzu plump und tumb daher? Vielleicht - was aber zählt, ist das mäßige Ergebnis. Daraus lässt sich die begründete Hoffnung ableiten, dass uns die "Radikalisierung" im politischen Tagesgeschäft der kommenden Zeit einschließlich der Wahlkämpfe einigermaßen "erspart" bleibt, wie die Presse schrieb. Freilich: den Hang zum Populismus bei allen Parteien sollte man nicht zu gering veranschlagen, an eine Läuterung bei Blau/Orange gar nicht erst denken.

Dann aber bleibt noch etwas festzuhalten: Ausfälle wie jener von Susanne Winter evozieren eine Art zivilgesellschaftlichen Schulterschluss, ein Zusammenrücken aller Wohlmeinenden (das auch noch die wohl Kalkulierenden - siehe BZÖ - umfasst). Das ist als primäre Reaktion nicht nur verständlich, sondern auch richtig und notwendig. Allerdings haben es Schulterschlüsse an sich, dass sie einer differenzierten Betrachtungsweise nicht eben förderlich sind. Kritische, wichtige Fragen werden nicht gestellt, um nicht Wasser auf die Mühlen der Tabubrecher zu leiten. Politiker des extrem rechten Lagers in Österreich, von Jörg Haider angefangen und abwärts, haben solcherart eine im Wortsinn diabolische (durcheinanderbringende, -werfende) Wirkung auf den gesellschaftlichen Diskurs des Landes entfaltet: Zunehmend schrumpfte er auf das Muster von Provokation und Reflex und verkam solcherart zum Zerrbild seiner selbst.

Dabei darf der Anteil jener an dieser Entwicklung nicht unterschlagen werden, deren Geschäft die ritualisierte Empörung ist, mittels derer sie sich beständig ihrer moralischen Überlegenheit vergewissern. "Sieben Jahre politischer Fehlerziehung" ließen sich nicht "über Nacht wieder auswetzen", schreibt etwa Süddeutsche-Korrespondent Michael Frank zur Causa Graz im Standard (22. 1.). - Gott behüte, möchte man hinzufügen: Woran sollten Frank & Co. denn sonst sich aufrichten, kämen ihnen die periodisch wiederkehrenden Winter-Einbrüche abhanden.

rudolf.mitloehner@furche.at

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