"Grenzen sind gefährlich"

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Der Biochemiker Hans Tuppy über das Wesen der Wissenschaft

die furche: Sie haben vor zwei Jahren in einem furche-Interview gesagt, es gebe weder in der Praxis noch in der Ethik absolute Grenzen. Mittlerweile macht der italienische Gynäkologe Severino Antinori regelmäßig mit seinem Plan Schlagzeilen, Menschen klonen zu wollen. Bleiben Sie dabei?

Hans Tuppy: Ja. In der angewandten Ethik müssen immer Güterabwägungen getroffen werden. Die Statuierung von Grenzen auf Grund eines "absoluten" Prinzips ist dagegen gefährlich. Vergessen wir nicht, dass im Lauf der Geschichte der Wissenschaft immer wieder Fesseln angelegt worden sind. Auf geisteswissenschaftlichem Gebiet haben die jeweiligen Autoritäten versucht, sogar dem Denken Grenzen zu setzen. In jahrhundertelanger Bemühung musste die Freiheit der Wissenschaft erkämpft werden. Und jetzt wiederholt sich etwas ähnliches auf naturwissenschaftlichem Gebiet. Das bedeutet keineswegs, dass ich ethische Kategorien missachte und meine, es dürfe alles gemacht werden. Versuche des reproduktiven Klonens von Menschen halte ich etwa für unzulässig. Wogegen ich mich aber wehre ist eine Vorgangsweise, ohne Güterabwägung "absolut" Grenzen zu statuieren.

die furche: Einer, der nicht nur von Grenzen spricht, sondern meint, sie seien längst überschritten worden, ist Erwin Chargaff. Sowohl durch den Eingriff in den Atomkern als auch durch jenen in den Zellkern seien Schranken überschritten worden.

Tuppy: Das mag er meinen. Ich kann jedoch keine scharfe Grenze zwischen der Erforschung des Atoms und des Atomkerns oder zwischen der Erforschung der Zelle und des Zellkern sehen. Offensichtlich verbindet Erwin Chargaff mit dem Wort "Kern" eine mythische Vorstellung.

die furche: Was Chargaff damit wohl meint ist die Genmanipulation. Ärzte und Biologen würden dadurch zu "Kämpfern gegen das Schicksal des Menschen". Arbeiten wir tatsächlich daran, das Schicksal auszuhebeln?

Tuppy: So lange es Menschen gibt, haben sie in das Naturgeschehen eingegriffen. Die ganze Medizin ist nichts anderes als das. Mit dem, was Chargaff sagt, stellt er die gesamte Medizin in Frage.

die furche: Es sei aber ein grundlegender Unterschied, ob man die Natur erforscht und durch die Wissenschaft helfend einzugreifen versucht, oder ob man die Natur selbst verbessern will.

Tuppy: Wenn Chargaff es so gemeint hat, habe ich dafür Verständnis. Es sind wirklich zwei verschiedene Dinge: Menschen von Krankheiten zu heilen oder, ausgehend von Menschen, wie sie sind, vermeintlich bessere Menschen zu "schaffen". Das ist höchst dubios. Wenn Sie eine Umfrage machen, wie der Mensch zu verbessern wäre, würden Sie äußerst subjektive und vom jeweiligen Zeitgeist bestimmte Antworten erhalten. Heute meinen vielleicht manche, dass es erstrebenswert wäre, Idole wie Schwarzenegger zu erzeugen. Nein: Es ist nicht Aufgabe der Wissenschaft, einen neuen und besseren Menschen zu kreieren. Und das darf sie auch nicht.

die furche: Wo die Grenzen der Wissenschaften liegen, war auch Inhalt einer Kontroverse zwischen dem deutschen Bundespräsidenten Johannes Rau und dem Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft, Hubert Markl. Während Rau "viel Raum diesseits des Rubikon" ortet, betrachtet Markl gerade das Überschreiten des Rubikon als cäsarische Herausforderung ...

Tuppy: Man kann jede Grenzverschiebung von zwei Seiten betrachten. Zunächst gehört es zum Wesen der Wissenschaft, dass sie mehr Wissen erwerben will. Die Wissenschaft hat nicht die Aufgabe, Grenzen zu setzen, sondern - im Gegenteil - jene, Grenzen zu verschieben und auf Neuland vorzustoßen. In diesem Sinn halte ich es für völlig richtig, was Markl gesagt hat. Was der Bundespräsident sagt, ist dagegen ein Hinweis auf die Sitte: Was ist in unserer Gesellschaft erlaubt?

die furche: Darüber zerbrechen sich immer öfter Bioethikkommissionen den Kopf. Manche deuten das als Zeichen politischer Ratlosigkeit.

Tuppy: Die Einsetzung solcher Kommissionen ist vor allem ein Zeichen dafür, dass man in unserer Gesellschaft viele Menschen für bioethische Überlegungen heranzieht und das nicht einer einzigen Instanz überlässt. Das mögen Vertreter absoluter ethischer Prinzipien für falsch halten, die sich in ihrem Wissen, was richtig und falsch ist, nicht beirren lassen wollen. Anders gestaltet sich jedoch die Frage, wer die Kommissionen einsetzen soll. Wenn es die Politik tut, kann sie sich beraten lassen; sie kann aber auch nur versuchen, einen vorgefassten Standpunkt zu legitimieren.

die furche: Die heimische Bioethikkommission berät gerade über gangbare Wege für Österreich. Welche würden Sie sich wünschen?

Tuppy: Als Wissenschafter wünsche ich mir, dass die Bioethik nicht nur über die Verhinderung von Eingriffen nachdenkt, die ethisch bedenklich und abzulehnen sind, sondern auch positive Optionen fördert. Dazu gehört auch die Erforschung neuer Krankheiten. Stellen Sie sich vor, wir hätten bei Ausbruch der Aids-Epidemie nichts von Viren gewusst. Nach Chargaff hätten wir ja gar nicht an Viren forschen dürfen. Die Wissenschaft eröffnet Optionen des Denkens und des Handelns. Was dann damit geschieht, ist nicht allein Sache der Wissenschafter. Da sind sie mit den anderen in einem Boot.

die furche: Mit im Boot sitzt auch die Wirtschaft. Blickt man auf die Zahl von Biopatenten, gewinnt man jedoch den Eindruck, die Biowissenschaft würde immer mehr mit der Industrie verschmelzen. Wie frei ist die Forschung auf diesem Gebiet überhaupt noch?

Tuppy: Zunächst zu den Biopatenten: Ich bin nicht für einen so weitgehenden Patentschutz, wie er derzeit gehandhabt wird. Aber selbst wenn etwas patentiert ist heißt das noch nicht, dass die jeweilige nationale Gesetzgebung die Verwertung des Patents zulassen muss. Und zu den Zwängen: Natürlich gibt es die. Wenn jemand einer Familie angehört, ist ein Zwang dabei, und auch, wenn man der katholischen Kirche angehört. Worauf es ankommt ist, dass wir abwägen, wo wir Widerstand zu leisten haben.

die furche: Leistet die Wissenschaft genügend Widerstand gegen illegitime wirtschaftliche Zwänge?

Tuppy: Es gibt sicher Beispiele dafür, dass wegen einer wirtschaftlichen Verwertung die Risiken zu gering eingeschätzt worden sind. Aber es gibt auch Beispiele aufrechter Wissenschafter, die sehr klar die Risiken gegenüber den Nutzen veranschlagt haben - auch wenn große wirtschaftliche Werte im Spiel waren.

die furche: Wissenschafter fördern nicht nur neue Erkenntnisse zu Tage, sondern auch Utopien. Diese Utopien kämen jedoch nach Hans Magnus Enzensberger nur von einigen wenigen Disziplinen, die sehr viel Geld dafür erhalten.

Tuppy: Ich bin nicht der Meinung, dass die wirtschaftlichen Verlockungen die wichtigsten bei Utopienerzeugung sind. Wenn Sie das Klonen von Menschen, wie es Severino Antinori angekündigt hat, als eine Utopie bezeichnen, dann entspringt sie wohl eher der Gier nach Aufsehen und medialer Präsenz.

die furche: Woher auch immer die Motivation kommt: die Rede vom geklonten Menschen lässt in den Köpfen der Menschen Fiktionen entstehen ...

Tuppy: Doch gute Wissenschafter vermeiden Fiktionen. Von ihnen wird erwartet, dass sie zwischen Wissen und Vermutung unterscheiden und auch ihren eigenen Ergebnissen gegenüber skeptisch bleiben. Das macht es so schwer im Verhältnis von Wissenschaft und Medien; die wollen ja immer göttliche Wahrheiten vom Wissenschafter hören. Doch das darf er nicht. Man sollte aber von Wissenschaftern erwarten können, dass sie sich ihrer Verantwortung im allgemeinen, auch gegenüber den Medien, bewusst sind.

die furche: Gegenüber den Biowissenschaften herrscht besondere Sorge, ob sie dieser Verantwortung gerecht werden.

Tuppy: Das ändert sich im Lauf der Zeit, eine Zeit lang war es bei den Atomwissenschaften, und ich bin überzeugt, als nächstes kommt die Hirnforschung dran. Wir haben alles vergessen, was wir bisher für so gefährlich gehalten haben.

die furche: Die Biowissenschaften stehen jedoch vor besonderen Herausforderungen. Nehmen wir etwa die Präimplantationsdiagnostik: Was würde in Ihrer Güterabwägung dafür sprechen?

Tuppy: Das hängt von den Umständen ab: Den Eltern kann sehr viel daran liegen zu wissen, ob sie auf ein gesundes Kind hoffen oder mit einem kranken rechnen müssen. Dem steht der Anspruch des Kindes auf Leben entgegen, ein sehr hoher Anspruch. Aber wer einfach sagt, Leben ist heilig, verkennt, dass es auch andere überlegenswerte Argumente gibt.

die furche: Hat auch der Katholik Hans Tuppy mit der Präimplantationsdiagnostik keine Probleme?

Tuppy: Natürlich habe ich damit Probleme: Ich bekenne mich zum Prinzip, dass Leben geschützt werden soll; aber ich weiß auch, dass wir es mit Menschen zu tun haben, die Lasten zu tragen haben. Wir sollen ja nicht nur christliche Prinzipien haben, sondern wir sollen Christen sein; als solche müssen wir auch prüfen, was wir dem Nächsten zumuten können. Religion ist nicht Moral. Das glaubt die katholische Kirche oft, aber bei Religion geht es um Gottesliebe und Nächstenliebe, nicht nur um Gebote und Verbote.

die furche: Die Bioethikdebatte wird so erhitzt geführt, dass manche von einem Kulturkampf sprechen: zwischen Anhängern eines christlichen und jenen eines szientistischen Menschenbildes ...

Tuppy: Diese Diskrepanz ist heute viel weniger akut als im 19. Jahrhundert. Heute erkennt die Wissenschaft an, dass sie nicht für alles zuständig ist und dass ihr alle normativen Fragen eigentlich nicht anstehen. Und die Religion weiß umgekehrt, dass sie nicht ex cathedra wissenschaftliche Fragen klären kann, wie man das noch im 19. Jahrhundert geglaubt hat.

die furche: Also fühlen Sie sich als Wissenschafter und Katholik nicht zwischen zwei Fronten?

Tuppy: Nein, ich habe innerhalb der Wissenschaft meine Bedenken, und solche habe ich auch innerhalb des kirchlichen Raumes.

Das Gespräch führte Doris Helmberger

im Dienst des Wissenso

Hans Tuppy wurde 1924 in Wien geboren und studierte von 1942 bis 1948 ebendort Chemie. In den 50er Jahren war er in Cambridge wesentlich an der Strukturaufklärung des Insulins beteiligt. 1958 wurde er Professor für Biochemie an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien, deren Rektor er von 1983 bis 1985 war. Von 1987 bis 1989 stand der engagierte Katholik an der Spitze des Wissenschaftsministeriums. Noch heute ist Tuppy als Wissenschafter und Universitätslehrer tätig. DH

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