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"Der Wert des Menschen. An den Grenzen des Humanen" - unter diesem Thema stand das 9. Philosophicum Lech. Der bioethische Diskurs, aber auch die Sorge um zunehmende Ökonomisierung bildeten den Rahmen der Veranstaltung. Exemplarisch für die Debatte um Anfang und Ende des Lebens standen die Vorträge von Norbert Hoerster und Eberhard Schockenhoff, die wir stark gekürzt dokumentieren (S. 10, 11); ebenso wie den Beitrag von Dieter Thomä, der sich mit dem inkriminierten Wort "Humankapital" befasst (S. 12). Redaktion: Rudolf Mitlöhne. Über die Bedrohung des Humanums im Zeitalter von Biotech und Globalisierung.

Die Würde des Menschen ist unantastbar": Kaum ein Satz wurde beim diesjährigen Philosophicum Lech häufiger zitiert, als der erste Paragraph des Deutschen Grundgesetzes. Er verstand sich freilich von Anfang an, darauf machte Eröffnungsredner Konrad Paul Liessmann zu Recht aufmerksam, als Postulat, nicht als Feststellung; andernfalls wäre der darauffolgende zweite Satz - "Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt" - sinnlos: Etwas ohnedies Unantastbares bedürfte nicht des Schutzes durch die öffentliche Hand.

Antastbare Würde

Sehr wohl aber haben Entwicklungen der letzten Jahre die Zweifel genährt, ob denn überhaupt diese Forderung aufrecht zu erhalten sei. "Die Würde des Menschen ist antastbar", überschrieb etwa die Frankfurter Allgemeine einen Leitartikel im Jahr 2001 und meinte: "Die gegenteilige Behauptung des Grundgesetzes ist trügerisch, wenn nicht mehr unumstritten ist, dass sie auf der biblischen Aussage von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen gründet."

Nun mag man einwenden, dass die "Gottesebenbildlichkeit" seit geraumer Zeit schon nicht mehr "unumstritten" ist - wie es bei Glaubensüberzeugungen eigentlich selbstverständlich ist, seit die Kirchen ihre mit dem Anspruch allgemeiner Verbindlichkeit praktizierte Deutungshoheit verloren haben. Und, wie schon gesagt, es geht eben nicht um eine "Behauptung" des Grundgesetzes; sondern weil man um die Antastbarkeit, Verletzlichkeit der Menschenwürde wusste, forderte man mit aller zu Gebote stehenden Autorität ihren unbedingten Respekt und Schutz.

Aber der faz-Kommentator brachte zum Ausdruck, was außer Streit steht: große Worte wie Menschenwürde und -rechte, Schutz des Lebens und ähnliches kommen uns nicht mehr leicht über die Lippen. Je nach persönlichem Standpunkt erfüllen sie uns - aus dem Gefühl ihrer Gefährdung - mit Unbehagen oder halten wir sie für zumindest teilweise obsolet.

Zwei nicht unmittelbar zusammenhängende, freilich in einem weiteren Sinn doch verbundene Bereiche sind es, die hier in den Blick kommen müssen: Bioethik und Ökonomie. Bei beiden gab es zuletzt einen in dieser Dynamik nie gekannten Schub hin zu mehr Liberalisierung und Deregulierung, auf beiden Themenfeldern werden wohl die entscheidenden Zukunftsfragen verhandelt, bei beiden spüren immer mehr Menschen, dass wir uns zunehmend "an den Grenzen des Humanen" (so der Untertitel des Philosophicums) bewegen.

Die Natur des Menschen

Freilich - immer schon hat sich der Mensch "an den Grenzen des Humanen" bewegt, immer schon hat er sich tendenziell so verhalten, dass das Humanum prinzipiell zur Disposition stand, gefährdet scheinen konnte. Er ist von Natur darauf aus, sich selbst und die Welt, die ihn umgibt, zu entschlüsseln; und er hat bei all seinem Tun auch stets nach Kosten und Nutzen, nach dem Verhältnis von Aufwand und Ertrag gefragt. Der technologische Fortschritt aber hat sich in den welthistorischen letzten paar Sekunden derart beschleunigt, dass wir es nunmehr tatsächlich mit qualitativ veränderten Rahmenbedingungen zu tun haben, nicht einfach mit einer bloß quantitativen Erweiterung unserer Handlungsmöglichkeiten.

Wir ahnen, dass es kein Zurück zu überschaubareren Verhältnissen geben kann und wird. Vor allem in den Fragen der Bioethik merken wir aber auch überdeutlich, wie wir an die Grenzen des Denkens geraten. Wenn es um Anfang und Ende des Lebens geht, muten Grenzziehungen, seien sie nun liberaler oder restriktiver, immer willkürlich an. Selbst ein prononciert liberaler, wenn man so will weltanschaulich betont neutral sich gebender Ansatz wie der des Mainzer Rechtsphilosophen Norbert Hoerster (siehe Seite 10) musste sich fragen lassen, wo er denn die Kriterien für das von ihm postulierte "Überlebensinteresse" als Grundlage eines Lebensrechtes hernehme. Woher wüssten wir denn, dass dem Menschen drei Monate vor seiner Geburt ein solches Interesse nicht eigen sei - oder aber, dass dieses nicht erst Monate oder gar Jahre nach der Geburt gegeben sei?

Auf der anderen Seite wurde deutlich, dass das von Eberhard Schockenhoff vorgetragene Plädoyer für einen umfassenden Lebensschutz sich wohl argumentativ stützen lässt, letztlich sich aber aus einem Menschenbild speist, dessen Grundlagen von Glaubensfragen nicht zu lösen sind.

Die Mühe der Definition

Je mehr möglich wird, je rasanter die Entgrenzung fortschreitet, desto mehr wird alles davon abhängen, was wir wollen, wird es an jedem einzelnen sein, Grenzziehungen vorzunehmen, den Wert des Humanums zu definieren - in der Bioethik wie in der Wirtschaft. Der einfache Rückgriff auf vorgegebene Normen wird nicht genügen, kein Verfassungstext kann uns diese Mühe abnehmen; aber es verbietet sich auch die Ausrede auf vorgeblich anonyme Mächte, denen wir ausgeliefert seien.

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