Grenzkontrollen durch die Hintertür

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Ein neues Kameraüberwachungs-System an der niederländischen Grenze soll einreisende Autofahrer filmen. Die Regierung in Den Haag will damit die Kriminalität bekämpfen. Doch Datenschützer sind beunruhigt.

Wenn eine reflexartige Verteidigungshaltung ein Gradmesser ist für Nervosität, dann ist man dieser Tage wohl einigermaßen angespannt im niederländischen Immigrationsministerium. Ein Sprecher von Minister Gerd Leers jedenfalls lässt ungefragt wissen, dass selbstverständlich "alles ordentlich geregelt“ sei beim aktuellen Hightech- Großprojekt seines Hauses. Dabei ist der Anlass der Anfrage lediglich, wann der Starttermin ist für das automatische Kamerasystem, installiert an 15 Autobahn-Grenzübergängen Richtung Belgien und Deutschland, das demnächst einreisende Fahrzeuge frontal fotografieren wird. Zusätzlich sollen der Grenzpolizei sechs mobile Kameras zur Verfügung stehen.

Das Vorhaben basiert auf der ANPR-Technologie (Automatic Number Plate Recognition), mit der die Autokennzeichen gelesen werden. Anfang Januar erklärte Minister Leers das Prinzip auf recht joviale Weise im TV- Magazin "Eén Vandaag“: Überquere ein verdächtiges Nummernschild die Grenze, so der Christdemokrat, "gibt das System ein, Piepchen‘ von sich, sodass der Grenzschutz weiß, hier kann etwas vorliegen“. Und weiter? "Nur Verkehrsströme“ würden analysiert, um "illegale Aktivitäten“ zu verhindern, aber weder Kennzeichen noch persönliche Daten gespeichert. Dabei blickte Leers treuherzig in die Kamera, als könne er so alle Zweifel beseitigen.

Kritik am System

Genau das aber gelingt nicht. Seit die Tageszeitung NRC Handelsbad "@migo-boras“ im Herbst einen langen Artikel widmete, gibt es immer wieder Kritik am System, dessen Abkürzung für "mobiles Informations-gesteuertes Vorgehen - besseres operationelles Resultat und fortgeschrittene Sicherheit“ steht. Laut Regierung dient es der Bekämpfung von Kriminalität. "Illegale Einreise in Zusammenhang mit Menschenschmuggel, Menschenhandel, Identitätsbetrug und Geldwäsche“, so umreißt in eine Pressemitteilung die Zielgruppe des 19 Millionen Euro teuren Projekts.

Wer hier allein die Handschrift der konservativen Minderheitsregierung zu erkennen glaubt oder gar ein Zugeständnis an die immigrationsfeindliche Partij voor de Vrijheid, die die Koalition im Sattel hält, täuscht sich: Seit Jahren wird an dem System getüftelt, und bereits 2005 gab es einen ersten Probelauf. Ähnlich wie in anderen Ländern sind auch in den Niederlanden Sicherheitskonzepte, die auf Prävention und Überwachung basieren, parteienübergreifend konsensfähig.

Datenschützer überzeugt das Vorhaben dagegen wenig. Die Stiftung "Privacy First“ spricht von einem "enormem Eingriff in die Privatsphäre“. Ein solcher, so argumentierte Direktor Vincent Böhre in der bereits genannten Eén- Vandaag-Reportage, sei nur bei konkretem Verdacht einer strafbaren Handlung zu rechtfertigen. Würden dagegen alle Fahrzeuge kontrolliert, um bei irgendeinem etwas Verdächtiges zu finden, liefe dies auf eine "Umkehrung des Rechtssystems“ hinaus. Die gewonnenen Daten, befürchtet Privacy First, könnten je nach Bedarf mit sogenannten "schwarzen Listen“ von Polizei und Justiz, Staatsanwaltschaft oder Geheimdienst abgeglichen werden.

Missbrauch und schwarze Listen

Die Regierung bestreitet diese Absichten konsequent. Doch selbst wenn man ihr Dementi ernst nimmt, birgt @migo-boras noch immer die Gefahr des "function creep“. Dies bezeichnet die Benutzung einer bestimmten Technologie zu anderen Zwecken als dem ursprünglich geplanten. Wie naheliegend diese Möglichkeit im Fall der Grenzkameras ist, zeigt ein aktuelles Gesetzesvorhaben. Demnach sollen alle mit Kameras (beispielsweise entlang der Autobahnen) ermittelten Kennzeichen zusammen mit Angaben über Zeitpunkt und Ort der Aufnahme künftig vier Wochen lang gespeichert werden können. Bislang ging das nur, wenn ein bestimmtes Nummernschild im Rahmen polizeilicher Ermittlung verdächtig war. Erst im Dezember beschloss der niederländische Ministerrat, die juristischen Möglichkeiten dieses Vorhabens prüfen zu lassen. Ein entsprechender Plan ist schon im Koalitionsvertrag von 2010 enthalten.

Nicht nur Datenschützern bereitet das Kamerasystem Kopfschmerzen, auch die EU-Kommission ist skeptisch (siehe unten). Im Herbst hatte Deutschland, das sich zehn der 15 betroffenen Grenzübergänge mit den Niederlanden teilt, in Brüssel eine Klage eingereicht. Grund ist die Sorge um den freien Binnenverkehr zwischen Mitgliedsstaaten. Malmströms Sprecher Michele Cercone sagte der FURCHE, das weitere Vorgehen der Kommission hänge vom Inhalt dieses Schreibens ab. Bis Mitte Januar hatte man im Kabinett Malmströms allerdings noch nichts vernommen.

Der Journalist Dimitri Tokmetzis, verantwortlich für die Privacy-Website sargasso.nl, spricht von einer "de facto 100-Prozent- Kontrolle“. Dies verstoße gegen den Schengen-Vertrag (siehe Kasten). Kritisch äußert er sich auch über das Prinzip des Profilierens als "Vorschuss zukünftigen Verhaltens“. Anhand ihrer Nummernschilder würden Menschen dabei nach Risikogeraden wie Autotyp, Zeitpunkt und Häufigkeit des Grenzübertritts klassifiziert. Ganz falsch scheint Tokmetzis nicht zu liegen: Sowohl seitens der Regierung als auch der Medien wurden mehrfach das Klischee eines Kleinbustransporters bemüht, in dem vermeintlich osteuropäische Menschenschmuggler einreisen.

Einführung verschoben

Vorläufig ist die Einführung, die eigentlich für Januar geplant war, auf einen unbestimmten Zeitpunkt "im Sommer“ verschoben worden. Ein Sprecher des Grenzschutzes hatte um den Jahreswechsel noch von "Februar oder März“ gesprochen. Dass @migo-boras zurzeit probeweise im Einsatz ist, räumt das Immigrationsministerium ein. Diese Testphase soll nun in die Verlängerung gehen. Mit den Beanstandungen aus Brüssel, heißt es, habe die Verzögerung aber nichts zu tun. Vielmehr steckten dahinter "operationelle Gründe“.

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