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Grundlagen für einen religiösen Pluralismus

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Nur in einer demokratischen Gesellschaft gibt es die Möglichkeit für einen religiösen Pluralismus", brachte der Londoner Rabbiner und Religionswissenschafter Albert H. Friedlander im Bildungshaus St. Virgil die Zukunft der Religion auf den Punkt. Und das bedeutet, so Friedlander weiter, „zu akzeptieren, daß es mehrere Offenbarungen gibt". Darauf schienen sich die rund 60 Teilnehmer(innen) - Christen, Juden, Muslime, Ruddhisten und Hindu - zu einigen, obwohl deutlich wurde, daß dies für die monotheistischen Religionen nicht ganz einfach ist.

Auch für den Sprach- und Religionswissenschafter Michael von Brück aus München, der in Indien, Japan und Texas lehrte, gilt: Religion in einer pluralistischen Gesellschaft ist in erster Linie eine gesellschaftspolitische Frage. Und er plädiert, um den notwendigen interreligiösen Diskurs beginnen zu können, für eine „Hygiene der Sprache". „Sekten" etwa gebe es ja nur in bezug auf dominante Gruppen, die es in einer pluralistischen Gesellschaft nicht geben sollte, und jede Religion sei ein „Psychokult", der Unterschied liege nur im Wie. Und nicht zuletzt sollte der Begriff „Religion" vorsichtiger gehandhabt werden, da es

keine Instanz für die Definition von Religion gibt.

Die Voraussetzungen für einen interreligiösen Diskurs mit demokratischen Spielregeln sieht Brück in gerechteren Wirtschafts- und Sozialstrukturen, im bewußten Verzicht, die eigene Identität höher zu stellen, andere als gleichwertig anzusehen und Gespräche an der Basis zu beginnen, weil nur dort Widersprüche aufgedeckt werden könnten. Auch Atheisten und Agnostiker seien Gesprächspartner, das wirkliche Problem wären die Indifferenten.

Auch Heinrich Ott, evangelischer Theologe aus Basel mit Professuren in den USA und Ostasien, der auch zwölf Jahre Mitglied des Schweizerischen Bundesparlamentes war, betonte den demokratiepolitischen Aspekt. Im Geist des Föderalismus sieht er eine anthropologische Tiefendimension: das Akzeptieren der Begrenztheit durch andere, der Vielfalt des gesellschaftlichen und religiösen Lebens und die Notwendigkeit des Zusammenlebens unterschiedlicher Gruppen, das nicht nur friedlich, sondern auch fruchtbar sein soll.

Klang in den beiden Vorträgen schon an, daß fundamentalistische Strömungen unter anderem auch eine Folge der fehlenden Voraussetzungen des interreligiösen Diskurses sein könnten, verdeutlichten die Länderberichte aus England, den USA und Indien, daß es zu diesem Diskurs kaum Alternativen gibt. Konkrete Themen - Ökologie, Soziales, Frieden und Religionsfreiheit - führten in London zu Gesprächen zwischen Christen, Juden und Muslimen, sogar in Synagogen und Moscheen. Außerdem - so Rabbiner Friedlander -habe er die Erfahrung gemacht, daß

die größten Probleme jeweils im innerreligiösen Bereich liegen, die Brüche jeweils zwischen den „offenen" und „geschlossenen" Gruppierungen innerhalb der Religionen verlaufen. Und für Europa betonte er, daß für den interreligiösen Diskurs, Auschwitz eine Zäsur gewesen sei; es spielt eine Rolle, daß Teile des christlichen Denkens dafür verantwortlich waren.

Über seine amerikanischen Erfahrungen sprach der katholische Theologe Oaul F. Knitter, der als wichtigster Vordenker der pluralistischen Religionstheologie gilt. Während der interreligiöse Dialog mit Juden und Muslimen die Folge von Antisemitismus und politischem Haß war, entstand das Gespräch mit Buddhisten und Hindus aus dem Bedürfnis von Christen nach einer persönlichen Gotteserfahrung in der Meditation, die im Christentum fehle. Eine Erfahrung, die zweifellos auch für Europa gilt. Der islamische Referent aus Köln hatte kurzfristig abgesagt, zu Wort kam der Inder Shivacharya Shi-vamurthy Swamiji. Auch er berichtete von interreligiösen Versuchen.

Interreligiöser Dialog in den Kinderschuhen

In den Diskussionen wurde deutlich, daß der interreligiöse Dialog in Österreich noch in den Kinderschuhen steckt, nicht nur im Vergleich mit den USA und England, sondern auch mit Deutschland. Als weltweites Problem nannten alle die Medien: Sensationslust, Vorurteile, Klischees und Unwis-sen dominieren die Berichterstattung und schaden dem Religionspluralismus, der mühsam an der Basis im Entstehen ist.

Ein Manko begleitete die informationsreiche Enquete: unter den insgesamt 14 Referenten befand sich nur eine einzige Frau; da scheint der Pluralismus noch nicht einmal in den Kinderschuhen zu stecken. Die schönste Erfahrung: auf den Vorschlag, es möge gemeinsam gebetet werden, meinte St.-Virgil-Leiter Ernst Fürlinger, er fürchte, damit könnte sich manche überfordert oder auch vereinnahmt fühlen; sein Vorschlag, gemeinsam zu schweigen, fand Zustimmung.

In dieser Sensibilität liegt eine wichtige Voraussetzung für religiösen Pluralismus in einer pluralistischen Gesellschaft.

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