Grundrechte vor Demokratie

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Das liberale Menschenbild steht für ihn über der Demokratie: Der amerikanische Kultur- und Gesellschaftstheoretiker William W. Rasch optiert für einen Primat der Menschen- und Grundrechte über die absolute Beachtung des "Volkswillens" und fordert die Abkehr von einer "Ideologie der Demokratie".

Die Furche: Herr Professor Rasch, der Islam ist heute ein geopolitischer Player. Wie bewerten Sie das?

William Rasch: Ich bin kein Islamfachmann. Aber natürlich sehe ich, dass es da einen konservativen Flügel gibt, der die Politik in islamischen Ländern stark beeinflusst, um die "islamische" Gesellschaft durchzusetzen - wie jetzt wieder in Afghanistan. Interessant ist, dass die "säkularen" Staaten das unterdrücken - wie Saddam Hussein es im Irak getan hat. Hier gibt es innerhalb des Islams ein Problem, das nicht auf Dauer zur Seite geschoben werden kann. In Ägypten oder in Algerien sieht man es zwischen Fundamentalisten und so genannten Säkularisten.

Die Furche: Würde man in Ägypten freie Wahlen abhalten, dann wären die Islamisten an der Macht, in Palästina ist genau das passiert.

Rasch: Wenn man freie Wahlen macht und demokratisch verfährt, dann kommen diese Mächte hervor - Hamas in Palästina, die Fundamentalisten in Algerien, Ägypten. Das ist paradox, weil sie nicht demokratisch sind. Um Demokratie zu haben, muss man ein demokratisches Verfahren unterdrücken! Das ist seltsam. Das ist eine "demokratische" Form von Politik, von Verwaltung - parlamentarisch, bürokratisch, rechtspositivistisch. Aber es ist nicht "Volkswille" im ursprünglichen Sinn von Demokratie.

Die Furche: Was bedeutet das für die Zukunft der parlamentarischen Demokratie?

Rasch: Da ist eine Krise. Wenn wir den Irak demokratisieren wollen - wie George W. Bush sagt -, dann ist das nicht Demokratie, sondern es wird bloß eine Form von Ökonomie, Recht und Politik eingeführt, damit wir mit ihnen verhandeln können - ökonomisch oder was auch immer. Aber Demokratie im idealistischen Sinn ist das nicht. Man müsste hier die Ideologie von Demokratie aufgeben und nur von einer Regierungsform sprechen. Ist "demokratisch" das Wort für die Regierungsform oder dafür, Minderheiten zu verteidigen? Aber dafür lautet das Wort eher "liberal" als "demokratisch". Damit kann man den Kampf um Unterscheidung anders beschreiben: Zur Zeit gibt es eine starke Spaltung zwischen Demokratie und Liberalismus. Wofür wir kämpfen, ist der Liberalismus und nicht unbedingt Demokratie.

Die Furche: Verstehen Sie unter Liberalismus einen Liberalismus des Rechts oder einen der Wirtschaft?

Rasch: Beides. Natürlich gehört die Wirtschaft dazu, die gehen Hand in Hand: Ohne positivistisches Recht, gibt es keine liberale Wirtschaft, und ohne eine liberale Wirtschaft gibt es die Freiheiten, die wir schätzen, nicht. Wenn ich hier das Wort Liberalismus benutze, dann meine ich Grundrechte, die von der Mehrheit nicht angetastet werden können - die Bill of Rights der USA, die Menschenrechte: die sind bürokratisch liberal und nicht demokratisch, weil sie nicht änderbar sind. Religionsfreiheit heißt, man kann Sunnit oder Schiit sein, man kann Christ oder Jude sein in einem Land. Das ist liberal, aber nicht unbedingt demokratisch im ursprünglichen Sinn: Wenn 90 Prozent eines Territoriums islamisch ist, warum sollten sie die Christen dulden? Das ist eine liberale Frage. Ich meine, dass die Kluft zwischen liberal und demokratisch größer wird.

Die Furche: Viele fühlen sich vom vorherrschenden Wirtschaftssystem des Neoliberalismus aber nicht befreit, sondern unterdrückt.

Rasch: Aber das gehört zum Weltbild des Liberalismus. Man meint, dass der Neoliberalismus demokratisch wird im Sinn von Freiheit des Individuums, Freiheit von Verträgen. Aber von der Weltgemeinschaft, vom Internationalen Währungsfonds, der Weltbank, der UNO wird "good governance" gefordert: Damit etwa die Länder der Dritten Welt Geld und Hilfe bekommen, haben sie keine Freiheit mehr für ihre eigene Wirtschaft, sie können nicht immer selbst entscheiden. Das ist auch der Unterschied zwischen Selbstbestimmung (ein anderes Wort für Demokratie) und liberalen Institutionen. Aber was wir verbreiten, sind diese Institutionen.

Die Furche: Wenn eine weltweite soziale Bewegung zu orten ist, dann das, was unter "Antiglobalisierung" läuft. Das ist aber doch eine sichtbare Gegenbewegung.

Rasch: Gegenbewegung ja. Aber ich sehe nicht, was die Alternative ist: Wie soll das anders gehen? Und wie könnte man das ändern? Das ist das Problem. Beim G8-Gipfel von Heiligendamm im Sommer war das sichtbar: Die Macht grenzt sich ab hinter Gittern, und dann gibt es die Proteste, aber es gibt überhaupt keine Kommunikation zwischen beiden. Was ist die Alternative? Das wissen wir noch nicht. Es gibt keine einzige Ideologie, keine zusammenhängende Bewegung, es gibt nur Proteste. Und die machen die Probleme, die wir haben, sichtbar. Aber die Proteste sind keine Lösungen und es gibt - soweit ich sehen kann - auch keine Vorschläge dazu.

Die Furche: Das liberale Menschenbild steht für Sie über der Demokratie?

Rasch: Ja. Liberales Menschenbild heißt, dass der Mensch autonom ist, sich entscheiden kann. Er kann Gemeinschaften wechseln usw. Dieses Weltbild wird dann propagiert. Es gehört zur Wirtschaft, es gehört zum Recht, es gehört zur Politik. Wir alle sind autonome Menschen in der globalen Welt. Das ist nur in dem Sinn demokratisch, als dass wir alle unsere Rechte haben. Die Entscheidungen, die ich treffen kann, sind aber beschränkt, denn das ökonomische System hat schon viele davon getroffen. Demokratisch können wir das nicht ändern.

Die Furche: Nehmen wir China, das einen unheimlichen Wirtschaftsaufschwung erlebt, eine starke Individualisierung entgegen der kollektivistischen Ideologie, die immer noch herrscht, aber keine Demokratie. Funktioniert das deswegen, weil sich das Individuelle öffnet - noch kein liberales System, aber liberaler als vor 20 Jahren.

Rasch: Man kann anscheinend gleichzeitig wirtschaftlich liberal und politisch autoritär sein. Wie lang das geht, ist eine andere Frage: Man kann die ganze Gesellschaft nicht wie eine Organisation leiten. Es muss Selbstkontrolle geben, und die wird durch liberale Institutionen verbreitet. Damit kommen einige Rechte - wir nennen das dann Demokratie. Das ist dann nicht im Sinn von Abstimmung, Volksmeinung. Aber die liberalen Institutionen, die Grund- und Menschenrechte bringen, werden kommen.

Die Furche: Und Europa, die Europäische Union?

Rasch: Man weiß nicht genau, wie Europa sich identifiziert. Wirtschaftlich, nehme ich an, wird die Union weitergehen so wie bisher, stärker werden - als Amerikaner spüre ich das mit meinem schwachen Dollar. Ob es eine politische Union in den nächsten 20 Jahren geben wird, weiß ich nicht. Vielleicht wächst die Union zu schnell. Die EU will ganz schnell politisch Osteuropa einbeziehen, obwohl diese Länder ökonomisch und politisch vielleicht noch nicht bereit dazu sind. Aber wenn sie das nicht macht - man sieht das in Polen - dann kommt Amerika und übt Einfluss aus, ökonomisch und politisch. Und Europa fühlt sich geopolitisch eingekreist. Deshalb hat die EU Eile, die osteuropäischen Staaten einzubeziehen. Und dann folgt die Frage, ob Europa wirklich militärisch, politisch selbstständig wird: Das wird nicht diskutiert. Europa denkt ökonomisch und rechtlich. Aber nicht politisch.

Die Furche: Tun die USA aber nicht alles dazu, dass das so bleibt?

Rasch: Ja. Das machen sie in Polen oder in Tschechien - um Europa politisch schwach zu halten. Es ist interessant, dass die Europäer darüber nicht sprechen, denn dann müssten sie militärisch, politisch, geopolitisch reden. Und davor hat man Angst. Jedenfalls in den deutschsprachigen Ländern.

Die Furche: Gerade in Deutschland und Österreich tut man sich schwer, nach der Geschichte des 20. Jahrhunderts über Machtpolitik zu reden.

Rasch: Aber man wird darüber reden müssen!

Das Gespräch führte Otto Friedrich.

Carl Schmitt, Luhmann - aber nicht Habermas

Er ist Germanistik-Professor an der Universität von Indiana in Bloomington/USA. Aber sein Horizont und seine wissenschaftliche Arbeiten gehen weit über die Philologie oder Literaturwissenschaft hinaus: William W. Rasch ist Kultur- und Gesellschaftstheoretiker und untersucht Formen des Politischen (so auch der Titel eines Forschungsprojektes, an dem Rasch im Sommersemester 2007 am Wiener Institut für Kulturwissenschaften - www.ifk.ac.at - arbeitete).

William Rasch knüpft in seinen Arbeiten an die Ideen von Naturrechtstheoretikern des 17. Jahrhunderts wie Thomas Hobbes ebenso an wie an Max Webers Theorie vom Gewaltmonopol des Staates. Er versucht gegenwärtige politische Prozesse anhand der Überlegungen des - wegen seines Engagements zur NS-Zeit auch umstrittenen - Rechtsphilosophen Carl Schmitt (1888-1985) zu interpretieren und setzt sich klar von Neo-Kantianern wie Jürgen Habermas ab. Rasch hat sich auch intensiv mit dem Werk des deutschen Systemtheoretikers Niklas Luhmann (1927-98) auseinandergesetzt und ist Herausgeber einer englischen Übersetzung von Luhmann-Schriften. 2004/05 veröffentlichte Rasch das Buch "Konflikt als Beruf: Die Grenzen des Politischen" (Kulturverlag Kadmos, Berlin). 2005 editierte er ein Themenheft der "South Atlantic Quarterly" über Carl Schmitts "Nomos der Erde", 2006 war er auch Mitherausgeber eines Sammelbandes zu literarischen und filmischen Schilderungen des Bombenkriegs 1938-45 über Europa und Japan.

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