„Haben zu lange zugesehen“

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Parlamentspräsidentin Barbara Prammer über die politische Unkultur, den Populismus zu Lasten von Asylwerbern und die abhandengekommene Solidarität – auch in der SPÖ. Das Gespräch führte Oliver Tanzer

Barbara Prammer sitzt dem österreichischen Parlament seit 2006 vor. Im Furche-Interview rügt Prammer den untergriffigen Umgangston mancher Parlamentarier. Sie fordert die Zivilgesellschaft zu mehr Engagement auf und kritisiert auch die eigene Partei SPÖ für ihren falschen Umgang mit dem Thema Ausländer und Asylwerber.

Die Furche: Das Niveau der Diskussion um ein Asylerstaufnahmezentrum in Eberau, die politischen Details der Beinahe-Pleite der Hypo, jetzt noch die Korruptionsaffäre um Uwe Scheuch: Ist die Kontrolle und Selbstkontrolle der Politik in Gefahr? Sind Sie überrascht, wie wenig sie funktioniert?

Barbara Prammer: Ich muss sagen, es überrascht mich nicht. Warum? Wir sind noch lange nicht an dem Punkt, uns eine endgültig entwickelte Demokratie nennen zu können. Dazu gehört eben auch, dass sich das Parlament als Kontrollorgan versteht, das den Gesetzesvollzug kontrolliert. Das ist derzeit noch nicht in ausreichendem Maße der Fall.

Die Furche: Man hat eher den Eindruck, manche Parlamentarier würden eher vor der Kontrolle fliehen, als sie auszuüben. Wir denken an den Fall Winter, den Fall Westenthaler.

Prammer: Wenn ich mir vorstelle, dass man ein Mandat erst dann verliert, wenn man ein Jahr und einen Tag hinter Gitter geht, dass man in der Zwischenzeit entschuldigt ist, sein Gehalt weiterbezieht und dann einfach wiederkommt: Das ist für mich nicht vorstellbar. Ich frage mich, wo bleibt der Anstand? Früher wären Personen freiwillig oder weniger freiwillig zurückgetreten. Es muss einen Ehrenkodex geben.

Die Furche: Das ist so wahrscheinlich, wie es eine Offenlegung der Parteifinanzen geben wird. Wären Sie auch dafür?

Prammer: Ja, dafür wäre ich und ich glaube auch, dass die Diskussion in der SPÖ in diese Richtung geht.

Die Furche: Hans Rauscher fürchtet zumal in Krisenzeiten den Ruf nach dem starken Mann. Sehen Sie das ähnlich?

Prammer: Der Ruf ist leider schon wesentlich länger als die Krise da. Das hat die Wertestudie gezeigt, laut der sich 20 Prozent der Befragten einen starken Mann wünschen, der sich nicht um Wahlen und Parlament kümmern müsste. Das ist mehr als besorgniserregend. Die Politik muss alles daransetzen, die Menschen am Zusammenleben und für die Politik zu begeistern. Wenn man das möchte, fühlt man sich schon manchmal etwas alleine.

Die Furche: Bekommen Sie keinen Zuspruch von der Zivilgesellschaft.

Prammer: Die Zivilgesellschaft ist sehr leise geworden. Friedensbewegung, Frauenbewegung und viele Initiativen sind kaum mehr erkennbar. Wenn man dann Menschen fragt, die tätig waren, warum sie nicht mehr aktiv sind, sagen sie, es habe keinen Sinn mehr. Das kann es für mich nicht sein.

Die Furche: Was wollen Sie dagegen tun?

Prammer: Ich habe mir vorgenommen, das Parlament noch viel weiter zu öffnen und Diskussionen mit hoher Qualität hereinzuholen.

Die Furche: Liegt es nicht auch am Niveau eines Hauses, in dem ein Abgeordneter den anderen jüngst als „Landtagsschwuchtel“ beschimpfte?

Prammer: Wogegen ich mich wirklich wehre, ist, die Politik pauschal zu bewerten. Wie kommen jene dazu, die die Politik ernstnehmen, wegen einer Handvoll Leute in ein und denselben Topf geworfen zu werden?

Die Furche: Aber was ist denn die Konsequenz?

Prammer: Die Konsequenz ist: Solch Mandatare dürfen nicht mehr gewählt werden. Das liegt aber am Wähler, an der Wählerin. Eine Demokratie funktioniert nur, wenn es aufgeklärte, mündige Bürger gibt, die wachsam gegenüber ihren eigenen Vertretern sind und nicht nur danach urteilen, wer am lautesten ist.

Die Furche: In der SPÖ ist es so gesehen auch manchmal ziemlich laut. Wenn etwa der burgenländische Landeshauptmann Niessl Unterschriften gegen ein Asylerstaufnahmezentrum Eberau sammelt …

Prammer: Ich habe den Landeshauptmann unlängst beim Parteipräsidium erlebt und wenig gefunden, was ich hätte kritisieren müssen. Er war der erste, der gesagt hat: Wenn ich mir ansehe, was da in Eberau geplant ist, erinnert mich das an dunkle Zeiten, da fehlt nur noch der Stacheldraht.

Die Furche: Alles in Ehren, was der Landeshauptmann intern gesagt hat, im „Zeit im Bild“-Interview warf er taxfrei Asylwerber und Kriminelle in einen Topf.

Prammer: Das wäre natürlich nicht in Ordnung, aber ich kann das so nicht bewerten, weil ich das nicht gehört habe. Richtig ist, dass in der Asylkoordination Chaos herrscht. Wenn Asylwerber quer durchs Land und wieder zurück geschickt werden, oft nur wegen einer Unterschrift – hinein in den Bus, heraus aus dem Bus, keiner weiß wohin – dann frage ich mich, ob das nicht System hat, die Leute zu verunsichern. Die SPÖ hat da viel zu lange zugesehen. Ein anderer Umgang mit Asylwerbern wäre höchst notwendig.

Die Furche: In diesem Zusammenhang wird immer mit dem subjektiven Sicherheitsgefühl der Bevölkerung argumentiert. Aber ist es Sicherheit, wenn im Burgenland und in Niederösterreich Grundwehrdiener ohne wirkliches Pouvoir an der Grenze herumstehen? Sollte man nicht die Angst bekämpfen, indem man zunächst einmal die Kriminalisierung des Fremden unterlässt? Das Ergebnis der Politik sieht man in der jüngsten OGM-Umfrage: Demnach sind über 70 Prozent für eine Abschiebung von Arigona Zogaj, 62 Prozent für die Schließung der Grenzen, 65 Prozent wollen einen Zuwanderungsstopp.

Prammer: Ich gebe Ihnen da absolut recht. Die Politik hätte die Aufgabe, jene zu ermutigen, die sich positiv engagieren. Unlängst lernte ich eine Frau kennen, die in einem Wiener Gemeindebau ein Netzwerk gegründet hat, in dem Inländer und Ausländer einander helfen. Das Zusammenleben funktioniert dort seither wunderbar. In den Medien lese ich immer nur Negativbeispiele. Wenn ich mir vor Augen führe, wie man den Bosniern während des Jugoslawien-Krieges, den Tschechen 1968, den Ungarn 1956 geholfen hat – dieses Gefühl scheint abhandenzukommen. Dass Solidarität ein Fremdwort geworden ist, ist Tatsache.

Die Furche: Auch in der Sozialdemokratie. Peter Henisch hat unlängst einen sehr treffenden Satz über die beiden Großparteien gefunden: „Die eine hätte die Nächstenliebe verloren, die andere die Solidarität.“

Prammer: Stimmt. Das geht auch an meine Partei. Allerdings darf die Sozialdemokratie für sich in Anspruch nehmen, immer wieder Solidarität einzumahnen.

Die Furche: Wie steht es denn da zum Beispiel mit der Frauenpolitik? Etwa bei der Ungleichheit der Löhne.

Prammer: Dagegen werden wir leider noch lange kämpfen müssen. Die Ungleichheit ist sehr nachhaltig, auch weil das eine Frage der Ideologie ist: Wir sind leider ein konservatives Land und es ist dementsprechend schwierig, Überzeugungsarbeit zu leisten.

Die Furche: Zum Beispiel?

Prammer: Zum Beispiel, dass einem Kind der Kindergarten nicht schadet, sondern dass es dort positive Dinge lernt, die zu Hause bei bestem Willen nicht erlernbar sind. Deshalb fordere ich auch ganztägige Schulen, aber davon sind wir sehr weit weg. Die Diskussion läuft seit mehr als 20 Jahren so, als wären Kinder persönliches Eigentum.

Die Furche: Sie leiten das Kuratorium des Entschädigungsfonds, der mit 210 Millionen Dollar dotiert ist. Nun sind Forderungen von 1,5 Milliarden Dollar eingetroffen. Entschädigung ist da doch ein sehr gewagtes Wort.

Prammer: Deshalb habe ich auch einen Brief veranlasst, in dem festgehalten wird, dass es wieder nur eine Geste und keine wirkliche Entschädigung ist. Niemand der Verhandler glaubte an eine so hohe zu entschädigende Summe. Ich habe mich um eine Aufstockung bemüht, aber das ist nicht mehr möglich. Immerhin funktioniert die Entschädigung auf Basis des Pflegegeldes und Pensionen, die wir an Überlebende in der ganzen Welt zahlen. Wenn ich mir allerdings die Briefe von Landsleuten ansehe, die sich selbst darüber schon auf das Wüsteste beschweren, weiß ich: Wir dürfen bei der Aufklärung und Aufarbeitung der Geschichte nicht nachlassen.

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