Halal-Frage ist auch: Wie hat das Tier gelebt?

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Senad Kusur ist Imam der Bosniakischen Kultusgemeinde sowie Generalsekretär des Schurarats, des Legislativorgans der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich. An der Donau-Uni Krems arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum Religion und Globalisierung.

DiE FurchE: Was bedeutet das rituelle Schlachten für Muslime?

Senad Kusur: Es handelt sich um eine religiöse und ethische Frage. Schächten bedeutet ja nicht nur, Nahrung zu produzieren, sondern auch einem Lebewesen etwas, was ihm von Gott gegeben wurde - nämlich das Leben -, wieder zu nehmen. Das darf nicht etwas Selbstverständliches oder Industrielles sein, sondern muss durch eine besondere Dankbarkeit Gott gegenüber und einem Verantwortungsgefühl gegenüber dem, was dem Menschen gegeben wurde, geschehen. Es geht also um einen direkten Bezug zu Gott. Darum ist es ein Ritual.

DiE FurchE: Es ist also wichtig, auch auf das Tier, das getötet wird, Rücksicht zu nehmen. Allerdings kritisieren Tierschützer, dass beim Schächten genau das nicht getan wird.

Kusur: Leider geht es in der Debatte nur um die wenigen Sekunden des Schächtens. Aber aus religiöser Sicht ist es nicht nur wichtig, wie ein Tier das Leben beendet, sondern auch, wie es gelebt hat: Wie wurde für es gesorgt? Im Koran wird an zwei Stellen gesagt, man solle nicht nur das Erlaubte, sondern das Gute essen. Unter dem Guten verstehen viele Koranexegeten, dass der ganze Prozess ein guter war, dass das Tier artgerecht gehalten wurde, auf die bestmögliche Weise das Leben führen konnte, also keine Massentierhaltung etc. Und das ist, wenn es um "Halal" geht, eine sehr wichtige Komponente. Halal bedeutet, dass ein Tier nicht nur vorschriftsgemäß geschächtet wurde, sondern dass man sich auch Gedanken darüber macht: Wie hat das Tier gelebt?

DiE FurchE: Töten ist immer gewalttätig

Kusur: Das Nehmen von Leben eines Lebewesens ist in jedem Fall etwas nicht Schönes, kann nicht ohne Qualen sein. Deswegen ist beim Schächten darauf zu achten, dass das Tier möglichst wenig Qual erleiden muss. In modernen sunnitischen Diskussionen wird auch argumentiert, wie man beim Schächten Betäubung anwenden kann. Der Körper des Tieres muss aber in der Lage sein, auszubluten, das ist auch bei einer Kurzzeitbetäubung möglich. Darüber gibt es innerhalb der muslimischen Gelehrtenschaft aber noch viele Diskussionen.

DiE FurchE: Heißt das, dass Muslime den Bedenken von Tierschützern oder auch gesetzlichen Vorschriften Rechnung tragen?

Kusur: Ja. Aber nicht nur deswegen, weil ein gesetzlicher Druck da ist, sondern, weil man sich aus religiöser Überzeugung Gedanken darüber macht, wie das Schächten den Tieren sowenig Qualen wie möglich bereitet. In den klassischen muslimischen Texten, wo es darum geht, wie das Schächten zustande kommen muss, findet man viele Vorschriften, die klar darlegen, dass es um so wenig Qual wie möglich geht, dass es etwa sehr scharfe Gegenstände sein müssen, dass keine Unterbrechungen stattfinden dürfen, dass das Tier vorher nicht verängstigt werden darf: Das sind viele Argumente aus einer längst vergangenen Zeit. Ich sehe keinen Grund, wieso man sich heute in dieser Richtung nicht weiterentwickeln sollte.

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