Es gab kein rauschendes Fest, vielmehr ein bescheidenes "Mahl der einladenden Kirche" und eine Vesper vor dem Wiener Stephansdom: Mit leisen Tönen, von den Medien nur en passant wahrgenommen, beging die Plattform "Wir sind Kirche" den fünften Jahrestag des Kirchenvolks-Begehrens, das im Juni 1995 immerhin eine halbe Million Unterschriften erreichte.
Dass in der katholischen Kirche Österreichs - nach den aufregenden Jahren bis 1998 - der große Aufbruch nicht zu spüren ist, braucht niemanden zu wundern. Sowohl Österreichs Kirchenspitze und erst recht Rom wussten mit dem Potenzial, das durch das Kirchenvolks-Begehren und auch dann im "Dialog für Österreich" sichtbar wurde, wenig anzufangen oder versuchten ängstlich, jeden Reformwunsch als häretisch abzuhaken.
Dabei war spätestens beim "Dialog für Österreich" 1998 (zu dem sich die Bischöfe die Delegierten ja selbst ausgesucht hatten) klar, dass die Forderungen der Kirchenvolks-Begehrer - Zölibat, Weiheämter für Frauen, Umgang mit Sexualität, Mitsprache bei Bischofsernennungen ... - Mainstream-Themen im Aktivsegment des österreichischen Katholizismus sind. Und auch in anderen Ländern Europas und Nordamerikas werden diese Fragen ähnlich diskutiert.
Die Leistung der Kirchenvolks-Begehrer war es, ungeahnte Kräfte der Kirche Österreichs zu mobilisieren. Es ist aber auch eine besondere Leistung der Kirchenoberen von Wien bis Rom, von St. Pölten bis Feldkirch, dieses Potenzial verpuffen zu lassen.
Es ging nicht darum, ob die Forderungen des Kirchenvolks-Begehrens ausgewogen und in den Konsequenzen genug durchdacht waren, auch nicht darum, ob sie die "eigentlichen Fragen" der Menschen berühren: Sondern es wäre der Dialog vonnöten, eine harte Auseinandersetzung - mit zwei unabdingbaren Voraussetzungen: dem christlichen Glauben verpflichtet zu bleiben und das Ergebnis der Auseinandersetzung nicht im Voraus als feststehend zu betrachten.
Letztere Voraussetzung wurde nicht erfüllt, die Ängstlichkeit der lokalen wie der universalen Kirchenleitung blieb unüberwindbar: So bietet sich - fünf Jahre nach der halben Million Unterschriften - die Perspektive einer Friedhofsruhe anstatt des produktiven und kreativen Streites um die Zukunft der (europäischen) Kirche.
E-Mail: o.friedrich@styria.com
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