"Haltbar. Achtsam. Gerecht." Wie heute religiös sprechen?

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Leider fehlen in den Kirchen die Dichter, die 'Gott' auf eine Weise in den Mund nehmen, dass auch der suchende Zeitgenosse eine Ahnung davon verspürt.

Religiös Sprechende sollten bei den Dichtern in die Schule gehen, da religiöse Rede und Poesie mehr gemein haben, als es den Anschein hat, meint der Autor, der in dieser Woche von Fronleichnam die Ö1-Morgensendung Gedanken für den Tag gestaltet.

I Haltbare Sätze machen

Auf 140 oder 280 Zeichen lange Botschaften werden die Fragen der Menschen heruntergebrochen. Was die Länge eines Tweets überschreitet, scheint in der Welt von heute nicht mehr verhandelbar. Eine infantile Sprache greift weltweit um sich.

"Einen einzigen Satz haltbar machen / auszuhalten in dem Bimbam von Worten", hat Ingeborg Bachmann vor mehr als 50 Jahren gedichtet. Sie wusste nichts von Twitter &Co. Und doch geht es auch heute darum, haltbare Sätze zu machen.

Das gilt gerade für Religionen. Denn die treten an, die Herzen der Menschen zu erreichen. Insbesondere Judentum und Christentum tun das mit Sprache. "Sprache macht die Schöpfung zur Welt, den Schöpfer zu Gott, / für diese Welt verantwortlich." So dichtet es der israelische Lyriker Elazar Benyoëtz.

Benyoëtz, 1937 in Wiener Neustadt als Paul Koppel geboren und mit seinen Eltern vor den Nazis nach Palästina geflüchtet, ist so einer, der mit Sprache das Herz trifft. Viele Dichter sind der Religion nahe. Alle, die religiös sprechen, alle, die das Herz der Menschen treffen wollen, sollten bei den Dichtern in die Schule gehen.

"Sprache -Schauplatz des Unsichtbaren": So übertitelt Elazar Benyoëtz eines seiner Gedichte. Ein Satz wie dieser bringt zeitgenössische religiöse Erfahrung auf den Punkt. Eine Erfahrung, der das Wort "Gott" kaum mehr über die Lippen kommt, die aber dennoch darüber spricht, was Wissen und Erfahrung übersteigt. Elazar Benyoëtz redet selber in paradoxen Formulierungen über Gott: "Gott ist mit mir auf der Suche nach Ihm." Und wenn Gott spricht, fordert Benyoëtz seinen Leser auf: "Höre laut zu.""Höre laut zu."

II Um eine gerechte Sprache

Man kann die Gegenwart als Zeit des abfallenden Glaubens denunzieren und klagen, dass auch in den Kirchen immer weniger von Gott die Rede sei. Vielleicht liegt das daran, dass die institutionalisierte Religion und deren beamtete Verkünder es nicht verstehen, so von Gott zu sprechen, dass dies auch die Herzen der Menschen trifft.

Zu vermuten ist, dass die technokratische Sprache der Dogmen-Bewahrer die Botschaft verdunkelt. Der gegenwärtige Papst versucht genau dies seiner Kirche auszutreiben. Es gibt aber auch die Gefahr der Biedermeier-Moderne: Wellness-Religion lacht aus den Titeln der spirituellen Ratgeber entgegen, und die Sonntagspredigten sind dagegen nicht minder gefeit.

Dabei ist gerechte Sprache eine Grundbedingung für die Religion. Diese Rede hat mehr mit Poesie zu tun als mit dem Dogma. Leider fehlen in den Kirchen weitgehend die Dichterinnen und Dichter, die "Gott" auf eine Weise in den Mund nehmen, dass auch der suchende Zeitgenosse eine Ahnung davon verspürt.

" in einem Schacht, dort hab ich mich verkrochen, / daß Gott als Halt zu denken doch gelänge ": So drückt dies der Lyriker Christian Lehnert aus.

Lehnert, evangelischer Pfarrer in Ostdeutschland, wird dem beschriebenen poetischen Imperativ gerecht. Sein Essay "Der Gott in einer Nuss", eines der aktuell herausragendsten religiösen Bücher, stellt ein Mahnmal wider kirchliche Sprachbeliebigkeit dar.

Lehnert sucht von Gott zu reden "und zwar", wie er schreibt, "nicht in einer unsäglichen Leier , die kaum noch erträglich ist, wie klebriger Zuckerguß über fauligem Konfekt, zähes Rinnsal einer völlig kontaminierten Sprache".

Gottesrede kann ganz schlicht sein. Einfach. Verdichtung. Im Buch "Der Gott in einer Nuss" beschreibt Lehnert ein stilles Gebet in einer Kirche: ",Gott', das bedeutet jetzt: Es lauscht und wartet."

III Sprache und Symbol

Brot ist ein Grundnahrungsmittel. Aber stimmt das auch? Zweifelsohne gibt es viele andere Lebensmittel, von denen sich die Menschen ernähren. Dennoch hat das Wort "Brot" einen besonderen Klang -es ist poetischer als "Reiswaffel" oder "Kartoffelpüree".

Brot ist also zur Ernährung nicht unbedingt notwendig. Aber es kann aus dem Alltag nicht weggedacht werden. Warum ist das so? Vielleicht, weil bei "Brot" eine tiefe religiöse Dimension mitschwingt. In der Bibel gibt es zahllose Brotgeschichten -von den ungesäuerten Broten, die das Volk Israel hastig bäckt, um es dann bei seiner Flucht vor den Ägyptern mitzunehmen, bis zum Brot, das Jesus am Abend vor seinem Tod verteilt.

Brot ist ein religiöses Ursymbol, das für Christinnen und Christen die Anwesenheit Gottes repräsentiert, wenn sie in der Eucharistie den Segen darüber sprechen, es brechen und austeilen -also das tun, was Jesus aufgetragen hat: Brot als Gotteszeichen klingt bis heute auch in der säkularen Welt nach.

Aber das Zeichen wird religiöses Symbol erst durch die Sprache, es wird erst ein lebendiges Zeichen durch das Wort, das darüber gesprochen wird: Symbol und Sprache sind miteinander verbunden.

Huub Oosterhuis, der niederländische Dichter, für den religiöse Sprache eine poetische Sprache ist, hat das, worauf es in der Eucharistie, im Abendmahl ankommt, so umschrieben: "Wer hier zu dieser Stunde / seine offene Hand hinhält, / Brot nimmt und isst, / sagt damit: / dass er eine neue Welt will, / wo Brot und Freiheit ist / für alle Menschen."

Wahrhaftiger kann man den Zusammenhang zwischen religiösem Tun und der Verantwortung für Menschen und Welt kaum zum Ausdruck bringen. Gottesdienst wird da auch zum politischen Akt.

Morgen ist Fronleichnam, das katholische Fest, an dem das Zeichen des Brotes besonders im Mittelpunkt steht.

Weitere "Gedanken für den Tag" zum Thema religiöser Sprache mit Otto Friedrich werden am 1. und 2. Juni um 6.56 auf Ö1 ausgestrahlt.

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