Hassprediger, der zur Friedenspartei wurde

Werbung
Werbung
Werbung

"Da feixte Paisley mit (ehemaligen) IRA-Männern, als wäre er auf einem Maturatreffen " Mit solchen Worten beschrieb anno 2007 der Korrespondent der FURCHE das Szenario, das sich niemand auch nur in kühnsten Träumen ausmalen wollte: Neun Jahre nach dem Karfreitagsabkommen, das er noch erbittert bekämpft hatte, wurde Ian Paisley, für den die Bezeichnung "protestantischer Scharfmacher" noch untertrieben schien, Erster Minister von Nordirland -in einer Koalition mit einem Todfeind, dem ehemaligen IRA-Aktivisten Martin McGuiness. Es gibt viele Mutmaßungen über diese wahrscheinlich spektakulärste Von-Saulus-zu-Paulus-Werdung des letzten Jahrhunderts. Aber auf jeden Fall war Ian Paisley der menschliche Beweis dafür, dass ein notorischer Hetzer und Unfriedensstifter zur Friedenspartei werden konnte. Hassprediger - auch solches, zurzeit inflationär gebrauchtes Attribut passte auf diesen Kirchenmann: Legendär sein Eklat in Straßburg 1988, als Papst Johannes Paul II. vor dem Europaparlament sprach und der Abgeordnete Paisley aufsprang und dem römischen Pontifex "Antichrist, ich verurteile dich und deine verkehrte Lehre!" entgegenbrüllte. Das rhetorische Brecheisen war die sichtbarste Waffe des presbyterianischen Geistlichen, und was er in die Herzen seiner nordirischen Konfessionsgeschwister säte, war vor allem Unversöhnlichkeit gegenüber den Katholiken, denen er alle menschliche Schlechtigkeit unterstellte. Ende der 1960er-Jahre gründete Paisley die Democratic Unionist Party (DUP), die heute noch stärkste protestantische Partei Nordirlands. Er gehörte 25 Jahre dem Europaparlament und 40 Jahre dem Unterhaus in London an. Alle Versuche, die Gewalt und das Töten in Nordirland friedlich und mit Verhandlungen zu beenden, torpedierte er: das Abkommen von Sunningdale 1973 ebenso wie den Anglo-Irischen Vertrag 1985, und auch die Verhandlungen zum Karfreitagsabkommen von 1998 boykottierte er nach einem ersten Treffen, weil er nicht mit der Sinn Féin, dem politischen Arm der IRA, an einem Tisch sitzen wollte. Aber die nordirischen Wähler stimmten - entgegen seiner Agitation - dem Abkommen zu. Als Paisley dann 2007 zum Regierungschef Nordirlands aufstieg, war er bereits 81 Jahre alt - er blieb auch nur ein Jahr an der Spitze der gebeutelten britischen Provinz. 2010 wurde er als Lord Bannside Mitglied des Oberhauses in London. Am 12. September ist der 88-Jährige in Belfast verstorben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung