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Heidnisch-christliches Gespräch

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Im dritten Jahrhundert n. Ch. ist eine Diskussion über grundlegende Fragen des Gegensatzes zwischen heidnischer und christlicher Anschauung geführt worden, die, trotz der großen zeitlichen Entfernung, so aktuelle Gedanken enthält, daß sie verdient, aus dem Staube der Bibliotheken sowie aus der Werkstatt der historischen und philologischen Forschung hervorgezogen und einer weiteren Öffentlichkeit vorgelegt zu werden. Gewiß haben wir das Einverständnis des Lesers, wenn wir den oft durch Abschweifungen unterbrochenen Gang der Diskussion auf das Wesentliche zurückführen, andererseits manche nur angedeutete Linien der Gedankenführung vertiefend nachziehen, ohne

doch irgendwie die Aktualität der Gedanken nachträglich und künstlich zu verstärken. Argument und Gegenargument mögen für sich selbst sprechen.

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Auf der einen Seite steht der Heide K e 1 s o s, ein aufgeklärter, philosophisch denkender Bekämpfer des Christentums, der keineswegs auf dem Standpunkt des „Götzendienstes“ steht, sondern an einen „Allmächtigen“ glaubt, der über allen die Welt durchwirkenden göttlichen Kräften als

ihr Lenker und Urheber eht. K e 1 $ o t hJt seinem christlichen Gegenüber das Argument entgegen:

„Wenn Euer Christus wirklich der vollkommene Weise und Gesetzgeber ist, als den Ihr ihn verehrt und auf dessen Gebote Ihr Euch beruft, dann hätte er einen Staat gründen müssen, ebenso vollkommen, ja vollkommener, als der Staat, den der weise Piaton in seinen Schriften uns vor Augen gestellt hat. Er hätte zeigen müssen, daß das neue Gesetz, das er verkündet, wirklich geeignet, ja unter allen Gesetzen am vollkommensten geeignet ist, das Zusammenleben der Menschen zu regeln und harmonisch zu gestalten. Statt dessen aber hat er nicht einmal seine eigenen Landsleute von der Vortrefflichkeit seiner Lehre überzeugen können; er ist schimpflich am Kreuze gestorben, wie ein Verbrecher und Aufrührer, und auch die, die an ihn glaubten, und seine Lehre in der ganzen Welt verbreiteten, haben nirgends einen vollkommenen Staat zu errichten vermocht — ein Zeichen dafür, daß an seinem „neuen Gesetz“ nichts Vernünftiges und nichts Gesundes, nichts Lebensfähiges und nichts Wertvolles ist.“

Von christlicher Seite antwortet ihm O r i g i n e s, der große Kirchenschriftsteller des dritten Jahrhunderts, den seine glühende Verehrung für die griechische Philosophie zwar in manchen Hinsichten zum Abirren verführt, der aber hier im Gespräch mit Kelsos meisterhaft den christlichen Standpunkt vertritt, Tiefen der christlichen Weltanschauung darlegend, die erst wieder in den Gedanken des heiligen Augustinus über den Gottesstaat zur Sprache kommen.

Ori genes sagt: „Gewiß hätte Christus einen Staat begründen können, um die Vortrefflichkeit des von ihm den Menschen verkündeten Gesetzes zu erweisen. Ja, wenn wir es recht bedenken, so hat die Gefahr, daß es so gekommen wäre, wirklich bestanden. Die Juden hätten ihn nur als den erwarteten, von den Propheten verkündeten Messias anerkennen müssen, und der vollkommene Staat wäre verwirklicht gewesen. Denn wer kann behaupten, daß die mosaische Gesetzgebung, wenn sie nur wirklich befolgt würde, den Gesetzen des platonischen Idealstaats nicht ebenbürtig, ja überlegen sei? Wie gesagt: die Gefahr hat bestanden, beinahe wäre es dazugekommen. Aber es wäre eine Gefahr gewesen: Gottes Fügung hat es verhindert, daß dies eintrat. De.in was wäre der Erfolg gewesen? Das Volk der Juden hätte, unter der Leitung eines göttlichweisen Staatslenkers, die denkbar beste Staatsverfassung verwirklicht, hätte sich, um sie möglichst rein und unverbildet und unentstellt zu erhalten, noch mehr als bisher von den umliegenden Völkern abgeschlossen. Als vollkommener, idealer Staat hätte dieses Staatswesen keine Eroberungsgelüste gehabt und hätte daher seine Staatsform nie seinen Nachbarn aufnötigen wollen; diese hätten es vielleicht bekämpft, aus Neid über den Wohlstand und die innere Harmonie dieses Staates. Dieser hätte sich verteidigt, aber gewiß nie andere mit Gewalt unterworfen. — Was wäre schließlich der Erfolg gewesen? In einem „Winkel der Erde“ wäre, als ein Vorbild, das von niemandem befolgt wird, der denkbar beste Staat verwirklicht gewesen, und die Welt selbst wäre nicht im geringsten dadurch verändert worden. Wo wäre das Heil der Heiden, wo wäre die Erlösung der ganzen Welt, wo wäre die Umgestaltung der ganzen Menschheit durch den Geist Gottes geblieben? Sollte dieser nur dazu dienen, das Lebensprinzip einer kleinen, unbedeutenden Gemeinschaft innerhalb der Menschheit in einem verachteten Winkel der Erde zu sein und nicht vielmehr von dort aus über die ganze Welt, die ganze Menschheit verbreitet zu werden, um die ganze Welt zu erneuern und umzugestalten?

Schon deshalb durfte Christus nicht den vollkommenen Staat hier auf Erden gründen, mußte er, äußerlich betrachtet, unterliegen. Aber auch noch aus einem tieferen Grunde durfte es nicht zu einem solchen „vollkommensten Staate“ an Stelle des „Reiches Gottes“ kommen. Der Staat — selbst wenn wir voraussetzen, daß er der ideale und denkbar beste Staat ist — verwirklicht zwar die gerechte und harmonische Ordnung des Zusammenlebens der Menschen, aber er tut dies — als Staat — durch eine von außen her den Menschen auferlegte Ordnung und durch einen vielleicht heilsamen Zwang, der aber immerhin Zwang und von außen her wirkende Macht ist. Vom Geist Gottes

durchdrungen, erlöst und des Heiles teilhaftig

sein, heißt aber nicht äußerer Macht und Gewalt gehorchen, weltlicher Ordnung und irdischen Einrichtungen sich beugen. Wahre Sittlichkeit ist — selbst nach den Anschauungen der Heiden — nur diejenige Gesinnung, die aus dem Inneren kommt und der freien Einsicht, dem freien Entschluß entspringt. Der höchste Gesetzgeber muß eine Gemeinschaft, ein „Reich“ gründen, das auf diese wahre Sittlichkeit, auf den inneren Antrieb des Guten, ohne äußeren Zwang, ohne Rücksicht auf Macht und Gewalt gegründet ist. Wäre der „beste Staat“, den Christus im Volke der Juden hätte gründen können, ein solcher Staat gewesen, mit äußeren Machtmitteln und äußerer Strafgewalt, dann wäre es eben nicht der „beste Staat“, die auf reine, sittliche Gesinnung gestellte Gemeinschaft gewesen, wie wir sie als Gründung des Sohnes Gottes, des „Wortes“ und der „Wahrheit“, als Werk des die Welt erneuernden und vom Fluche der Gewalt erlösenden Geistes voraussetzen müssen. Er wäre ein Staat gewesen wie alle anderen, um nichts besser als sie. — Hätte aber der neue Staat, den Gottes Sohn auf Erden gründete, auf alle Machtmittel verzichtet, hätte er seine Anhänger durch nichts anderes an sich gefesselt als durch das Beispiel seines Begründers, dem sie zu folgen gewillt sind, obwohl er äußerlich unterlegen, obwohl er der irdischen Staatsgewalt zum Opfer gefallen ist, an dessen Gesetz sie aus innerer sittlicher Entschließung festhalten wollen, auch wenn sie der bloßen Macht gegenüber, ebenso unterliegen wie er — ja, diesen Staat hat er ja gegründet! Nur daß er sich nicht auf das Land der Juden beschränkt hat, wie es der Fall gewesen wäre, wenn das ganze Volk der Juden sein Gesetz angenommen hätte und dann in seiner Absonderung verblieben wäre, sondern daß er, von den Juden abgelehnt, in der ganzen Welt seine Anhänger gefunden hat, so daß jetzt in jedem, noch so unvollkommenen, noch so verkehrten Staatswesen Bürger dieser vollkommenen Gemeinschaft, dieses idealen „wahren Staates“ leben, dessen Gesetz nicht ein von Menschen gegebenes Gesetz ist, sondern das Gesetz Gottes, das er den Menschen ins Herz gelegt und durch seinen Sohn verkündet hat. — Nur daß wir diesen „wahren Staat“, eben weil ihm das mangelt, was ja doch eigentlich zum Begriff des Staates gehört — äußere Macht und äußere Gewalt —, mit Recht nicht mehr Staat nennen, sondern „Kirche“, die sittliche, weil wahrhaft freie, durch keine äußere Macht, sondern nur durch den Antrieb des ihr innewohnenden Geistes zusammengehaltene Gemeinschaft der Bekenner des „vollkommenen Gesetzes“, das Christus verkündigt hat. Selten hat sich das Wesen des Heidentums, seine Weltvergötterung so klar enthüllt, wie in dem Vor-

wiirf, daß Christus nicht einen wirklichen, konkreten irdischen Staat gegründet hat; dahinter verbirgt sich die Überzeugung, daß der Staat die höchste mögliche Form der sittlichen Ordnung ist. Nur der Heide, der an die Macht des Geistes nicht glaubt, der der äußeren Macht und der durch Zwang verwirklichten Ordnung gegenüber der Freiheit der sittlichen Entschließung Recht gibt, der die irdische Gewalt als das bewegende Motiv der menschlichen Handlungen setzt, nur der Heide kann in der staatlichen Ordnung etwas Höheres sehen als in dieser geistigen Gemeinschaft, die keine Machtmittel und keine Gewaltanwendung kennt, die nur aus ihrem Geiste lebt und wenn es nötig ist, vom Geiste gestärkt zu dulden weiß, um schließlich duldend zu siegen, wie ihr Vorbild und ihr Gründer.“

Es ist, als wenn diese Gedanken für unsere

Tage geschrieben worden wären, als Beitrag zu den Problemen, die uns alle innerlich bewegen. Und das sind sie auch; denn sie haben — in einer geradezu zeitlosen Weise — auf die Grundzüge des Gegensatzes zwischen der heidnischen und der christlichen Auffassung des Verhältnisses zwischen Gewalt und Sittlichkeit, Macht und Freiheit hingewiesen. Diese Gegensätze wird es geben, solange es eine unerlöste Menschheit gibt, solange irrende Menschen die Macht und die - äußere Staatsordnung als letzte Werte ansehen und dem Irrtum ein äußerlich vielleicht unterliegendes, aber aus der Kraft des Geistes und der sittlichen Freiheit lebendes Christentum gegenübersteht.

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