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Ob Priester, Psychotherapeuten oder Politiker: Bei allen "heilenden Berufen" ortet Rotraud A. Perner den Drang zum "Sein wie Gott".

Weshalb suchen Menschen Kontakt zu Heilern - zu Priestern, Psychotherapeuten und zu ihren gecoachten Kopien, den Politikern?" Die Frage am Beginn des neuen Buches von Rotraud A. Perner harrt nicht lange ihrer Antwort: "Weil sie vermeinen, dass Heiler wissen, wie man sich selbst, andere, die Gesellschaft, die Wirtschaft, die Umwelt, die Schöpfung heil - ganz - machen kann. Weil diese sich so darstellen - oder so dargestellt werden -, als wüssten sie es, als wären sie selbst ,ganz'."

Dass dem oft nicht so ist, weiß die Wiener Psychotherapeutin und Juristin nur zu gut: Allzu oft würden Heiler Gefahr laufen, dem Allmachtswahn zu verfallen; würden wähnen, sie wären eine Art Gott und Herr über Leben und Tod. Bisweilen sind sie es wirklich, so Perner: "Als Ärzten liegt ihnen oft genug das physische Leben in Händen, als Priestern oder Psychotherapeuten das spirituelle oder/und das psychische, als Politikern das soziale".

Mit großer Mühe zieht sie folglich in ihrem 253-seitigen Opus "Sein wie Gott. Von der Macht der Heiler" Parallelen zwischen diesen "Seelenführern", die in der Tradition des archetypischen "Sacerdos" stünden. Ob Priester, Psychotherapeuten oder Politiker: Sie alle würden sich als Elternfiguren auf eine größere Macht berufen, so Perner - auf die Stimme Gottes, die Stimme der Vernunft, des inneren Kindes oder des Körpers und auf die Wählerstimmen. Sie alle würden - ob auf der Kanzel, hinter der Couch oder auf der Rednertribüne - Distanz halten und ihre Zuhörerschaft in Trance reden.

Sie alle würden schließlich auch ein antwortendes Du brauchen, dem gegenüber sie ihr Herz öffnen könnten. Tatsächlich aber leiden viele "Heiler" selbst unter Einsamkeit, weiß Perner - und sind deshalb vor Missbrauch nicht gefeit. "Auch viele Priester greifen nach jedem sich bietenden Körper - in aller Unschuld natürlich! - und nach getanem Tagwerk zur Flasche und ersetzen Geist durch Weingeist. Und ebenso treiben es etliche Ärzte und Psychotherapeuten und pflegen dazu ihren Fortbildungstourismus, wo in Workshops und Gruppen Pseudonähe inszeniert wird".

Solch genüssliche Rundumschläge geben nicht nur einen Hinweis auf das Ausmaß missbräuchlicher Umtriebe unter den "Heilern" - sondern machen auch die Problematik von Perners Buch offenbar: Mit Gewalt wird darin versucht, drei allzu unterschiedliche Berufsgruppen über einen gemeinsamen Kamm zu scheren. Sexuelle Übergriffe von Politikern auf ihre Mitarbeiterinnen, Missbrauch im Rahmen eines psychotherapeutischen Settings und sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Priester in einem Atemzug zu nennen, wird den unterschiedlichen Schweregraden dieser Tabubrüche nicht gerecht.

Auch an anderer Stelle konstruiert Perner Parallelen, die sich mit freiem Auge nicht ergeben: So wie in den Weihehandlungen mittels Handauflegung "geankert" werde, wäre dies auch bei neugewählten Funktionären mittels Handschlag oder Umarmung der Fall, stellt die Autorin fest. Durch den glücklichen Umstand, dass bei der Diplomübergabe für Therapeuten "das Ritual ähnlich abläuft", ist auch diesmal für Perner die Dreieinigkeit der "Heilberufe" wieder hergestellt...

"Ich möchte nicht den Fehler machen, emotionale und darauf aufbauend religiöse Phänomene mit kulturellen Kategorien zu verwechseln", schreibt Rotraud Perner an einer Stelle. Nach der Lektüre ihres Buches muss man freilich konstatieren, dass genau diese Verwechslung eingetreten ist.

Sein wie Gott. Von der Macht der Heiler. Priester - Psychotherapeuten - Politiker. Von Rotraud A. Perner. Kösel-Verlag, München 2002, 253 Seiten, geb., e 20,60

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